Alice Schwarzer schreibt

Rammstein: Texte und Taten

Rammstein-Leader Till Lindemann: Nicht nur die Gedichte frauenverachtend und -zerstörend? - Foto: IMAGO
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Das Ganze ist schon drei Jahre her. Da erschien eines der „Gedichte“ aus dem Gedichtband von dem Rammstein-Leader Till Lindemann nochmal in einer edlen Auswahl von “100 Gedichte“. Und zwar dieser Reim:

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„Schlaf gerne mit dir wenn du träumst / weil du alles hier versäumst / Und genauso soll das sein (So soll das sein und so macht es Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol im Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen.“

Ebenfalls bereits bekannt war damals das jetzt vom Verlag beklagte Pornovideo („Verhöhnung“), das so obszön ist, dass es nur auf hart pornografischen Seiten zu sehen ist. Darin bumst der Dichter nicht nur x Frauen, zum Teil sichtbar unter Schmerzen, sondern auch seinen durchlöcherten „Gedichtband“. Der war 2015 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen (auch mein Verlag).

Warum trennte der Verlag sich erst jetzt von seinem unverhüllt schmutzigen Autor? Weil eines dieser „schlafenden Mädchen“ mit „Rohypnol im Glas“, die Irin Shelby Linn, gerade Anzeige gegen Lindemann erstattet hat. Sie war ein Fan und Backstage. Aber sie wollte keinen Sex mit Lindemann und sagte ihm das auch. Fatalerweise hatte sie, so sagt sie, zuvor etwas getrunken, mit KO-Tropfen, die seit Jahren auf hippen Partys ahnungslosen jungen Frauen untergeschoben werden. Stunden später wachte Shelby in einem Hotel auf, alleine und übersät mit blauen Flecken.

Werke, in denen Frauenhass und -zerstörung als „Kunst“ verkauft werden, sind nicht neu.

Auf einmal schlagen die Wellen hoch, nicht nur in den Feuilletons. Sieh an: Der Lindemann tut offenbar, was er propagiert. Überraschung.

Werke wie das des Rammstein-Leaders, in denen Frauenhass und Frauenzerstörung in Worten und Bildern als „Kunst“ verkauft werden, sind nicht neu. Sie sind seit einem halben Jahrhundert zentrales Thema des Feminismus. Kate Millett veröffentlichte dazu 1970 das Schlüsselwerk „Sexus und Herrschaft“, in dem sie u.a. die Romane von Henry Miller seziert, und EMMA bekämpft den in den Feuilletons als „Kunst“ gefeierten Frauenhass seit der „Stern-Klage“ (1978), der PorNO-Kampagne (1988) und meiner Analyse der Fotos von Helmut Newton (1993) bis heute.

Dabei sind unsere GegnerInnen längst nicht mehr nur die Wölfe, die die Rotkäppchen fressen – und die Schreibtischtäter, die gerne mitheulen –, sondern auch selbsternannte „junge Feministinnen“, die sogenannte „feministische Pornos“ feiern. Dabei ist das ein Oxymoron, ein in sich widersprüchlicher Begriff. Ein Porno verknüpft sexuelle Lust mit Lust an Gewalt und Erniedrigung. Das ist sexistisch, nicht feministisch. So wie die gewaltverherrlichenden, sexualisierten Selbstinszenierungen von Rammstein. Und das ist seit längerem bekannt. Hier mein Text von 2020:
 

Eine lyrische Vergewaltigung?

Die Wellen schlagen hoch. Was in der großen weiten Pop-Welt (bisher) niemanden stört, erregt den kleinen Literaturbetrieb: die Vergewaltigungs-Propaganda des Rammstein-Leaders. Dabei sind weder diese Töne, noch ist die Masche neu. Gewalt(fantasien) werden als „Kunst“ verkauft und jegliche Kritik daran als Angriff auf die „Freiheit der Kunst“ abgetan.

Die Debatte über die Frage „Kunst oder Propaganda?“ ist alt und wird nicht nur, wenn aus gutem Grund auch verschärft, von Feministinnen geführt. Dabei ist die Unterscheidung gar nicht so schwer: Handelt es sich um die auch für den Autor schmerzliche Darstellung dunkler Abgründe auf literarischem Niveau (wie es Nabokovs „Lolita“ noch zugestanden werden könnte) – oder um das platte Propagieren von Gewaltfantasien und Frauenhass? Um Lyrik jedenfalls handelt es sich bei den eher hilflosen Reimen des Rammstein-Leaders Till Lindemann nicht.

Und Übrigens: Was im Fall von Hass auf Fremde oder Juden gilt, das dürfte auch beim Hass auf Frauen gelten:  Worten folgen Taten (Bundespräsident Steinmeier).

Neu ist das alles nicht. Seit über 20 Jahren brüllt Rammstein diese Art von Hetze in überfüllte Säle und Stadien, in denen Zehntausende grölen. Die „Neue Deutsche Härte“ ist schließlich das Markenzeichen dieser Band. Deutsch. Härte. Kennt man ja. Jetzt also mit tollen Showeffekten. Eigentlich auch nicht wirklich neu.

Neu ist, dass diese brachiale Popkultur, die die Fantasien der jungen Männer vergiftet, als „literarisch“ ausgegeben wird. Und neu ist, dass es nicht mehr durchgeht. Nach MeToo. Die (potenziellen) Opfer wehren sich.

Gewalt-Fantasien werden als "Kunst" verkauft. Aber: Es geht nicht mehr durch.

Helge Malchow, Editor-at-Large von Kiepenheuer & Witsch, hatte zunächst versucht, die Proteste abzuwiegeln mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen dem „sogenannten lyrischen Ich“ und der Person Till Lindemann, sowie auf die „Freiheit der Kunst“. Kam nicht gut. Seine Nachfolgerin, Verlegerin Kerstin Gleba, ruderte wenige Tage später zurück, sprach von „toxischer Männlichkeit“ und versprach den empörten Jungautorinnen, die zum Boykott aufriefen, die „Argumente der Kritiker*innen sehr ernst“ nehmen zu wollen.

Gerade der Verlag Kiepenheuer & Witsch (der auch mein Verlag ist) hätte es auch kurz und knapp mit den Worten einer weiteren Autorin seines Hauses sagen können: Virginie Despentes („Vernon Subutex“). Die sagt in ihrer Wutrede anlässlich der – trotz aller Frauenproteste – Verleihung des Filmpreises César in Paris an Roman Polanski (der seit Jahrzehnten immer noch und immer wieder neu der Vergewaltigung Minderjähriger bezichtigt wird) ganz einfach: „Ihr könnt uns mal!“

ALICE SCHWARZER

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