Rosalie Höhndorf & EMMA

Rosalie Höhndorf: "EMMA war genau die Stimme, die Deutschland gefehlt hat!" - Foto: Bettina Flitner
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Von EMMA erfahren hat Rosalie 1977 in der Zeitschrift Courage. „Da war von einer jungen Frau namens Alice Schwarzer die Rede, die aus Frankreich kommt und alles anders machen will. In Wahrheit hatte Courage zum Boykott von EMMA aufgerufen. Tempi passati.

Als Rosalie die erste EMMA in der Hand hielt, war klar: „Das war genau die Stimme, die in Deutschland gefehlt hat. EMMA war viel näher dran an den Frauen als Courage. Ich habe in EMMA von Vergewaltigungen, Abtreibungen, Häuslicher Gewalt gelesen. Niemand hat vorher über so etwas öffentlich gesprochen!“ Dabei ist es das, worüber Freundinnen, Nachbarinnen, Kolleginnen reden.

Rosalie war von Beruf Kinderkrankenschwester im Diakonissenkrankenhaus in Speyer, später auf der Chirurgie in Essen. Oft hat sie beobachtet, wie Frauen, die Gewalt und Missbrauch erlebt haben, nicht geglaubt wurde. Sie sieht Frauen, die eine gynäkologische Operation hinter sich hatten und die Ärzte anbettelten, noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben zu können, weil ihr „Mann nicht die Finger von ihnen lassen kann“. „Es hieß, ‚Mein Mann ist ein Stier‘. Dann wusste man, was zuhause los ist“, erzählt Rosalie.

Geboren wurde Rosalie Höhndorf 1941 in Rheinland Pfalz in der Nähe von Speyer. Ihren Vater, einen Schreiner, hat sie nur einmal kurz bei einem Lazarettbesuch gesehen. Er war Soldat in Sibirien und galt ab 1943 als vermisst.

Das Leben als Kind einer Näherin und Krieger witwe ist hart, aber auch ein Schutzraum. „Natürlich mussten wir funktionieren, früh selbstständig sein. Wir haben aber nie Hunger gelitten und keine körperliche Gewalt erlebt“, sagt sie. Ist die Mutter arbeiten, sind Rosalie und ihre beiden Geschwister bei der Tante oder der Großmutter. „Meine Mutter hatte Antennen für über griffige Männer. Manchmal war sie auf die Hilfe eines Nachbarn angewiesen. Sie hat dann immer dafür gesorgt, dass wir alle zusammen zuhause sind. Einen neuen Mann hat sie nie gewollt.“

Was die Mutter ihren Mädchen schnell klar macht: „Ihr braucht einen Beruf! Verdient euer eigenes Geld! Werdet unabhängig!“

Rosalie ist unabhängig, bekommt allerdings früh drei Kinder. Die Ehe geht nach kurzer Zeit in die Brüche. „Allein bin ich besser klargekommen“, sagt sie. Das einzige Problem: die Kinderbetreuung. Noch dazu im Schichtsystem als Krankenschwester auf der Chirurgie. „1974 geht sie nach Köln, wird Gemeindeschwester in der evangelischen Gemeinde in Mülheim. „Ich hatte dort endlich Kindergartenplätze und bessere Arbeitszeiten.“ Auch leben dort viele Freundinnen.

Als Gemeindeschwester macht sie Hausbesuche, pflegt alte Menschen, versorgt sie mit Medikamenten, organisiert Ausflüge und schlägt sich für sie mit Versicherungen herum. Manche begleitet sie bis in den Tod. „Ich habe viele Frauen erlebt, die ihre Männer gepflegt haben, bis sie selbst zusammengebrochen sind. Meine Botschaft war immer: Holt euch Hilfe!“ Später hat sie in Mülheim die erste Sozialstation mitaufgebaut.

Vor einigen Monaten ist Rosalie in eine Wohnung in einem Seniorenstift gezogen. „Es ist besser, so etwas selbstbestimmt zu entscheiden. Meine Kinder konnten das anfangs nicht verstehen. Aber hier habe ich Sicherheit, bin unter Leuten und kann trotzdem alles so machen, wie ich möchte“, sagt sie. Dazu gehört zum Beispiel, ihre ambulante Fußpflege weiter zu betreiben. „Mir ist nichts Menschliches fremd. Ich ekele mich auch nicht vor Menschen. Nur solche, die sich ekelhaft benehmen, die widern mich an!“ lacht Rosalie.

EMMA bleibt für Rosalie Herzensangelegenheit. „Frauen, hört nicht auf, auf Frauen zu schauen!“, sagt sie. Sie war selbstverständlich beim Abonnentinnen Fest dabei. Zu DDR-Zeiten hat sie Hefte rübergeschickt, versorgte all ihre Freundinnen mit Abos. Auch Rosalies Tochter liest EMMA. Sie selbst liest am liebsten die Menschen-Porträts. „Das sind immer so wahnsinnig
tolle Frauen!“ Ganz genau.

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