Rosemarie Trockel: Trockels berühmte

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EMMA Januar/Februar 2006

Sie hat das Triviale zur Kunst, hat mit der weiblichsten und am meisten belächelten handwerklichen Technik international Schule gemacht. Heute werden die Strickbilder der deutschen Künstlerin Rosemarie Trockel auf dem Weltmarkt zu sechsstelligen Summen gehandelt, sie steht auf Platz 4 im internationalen Kunstmarkt-Ranking (als erste Frau und gleich nach Gerhard Richter, Sigmar Polke und Bruce Nauman). Jetzt widmet das Museum ihrer Heimatstadt Köln der heute 53-Jährigen eine Gesamtschau. Auf über tausend Quadratmetern zeigt es bis zum 12. Februar 2006 Wollarbeiten, Installationen, Videos und Objekte von Rosemarie Trockel. Titel: Post-Menopause. Die Künstlerin selber gestaltete die Ausstellung mit und entwarf für die Glasfront im Foyer einen 6x16 Meter großen und 90 Zentimeter tiefen Vorhang aus Wollfäden in Milchweiß und Blutrot. Wer darin eine naheliegende Anspielung auf den Titel der Ausstellung sieht, wird sogleich auf den Platz verwiesen von Trockel, deren zentrales Stilmittel die Ironie ist: Mitten in der Wollfaden-Fläche stecken Teller, auf denen sich die weiß-roten Fäden als Spagetti türmen.

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'Wer ist der beste Künstler?' – 'Polke!' – 'Scheiße.' – 'Richter?' – 'Du ekelst mich an ... Willst Du mich provozieren? Du legst es ja geradezu darauf an. Jetzt sag schon, wer ist der beste Künstler?' ..." Unaufhörlich beschimpft eine herrische Rosemarie Trockel, die sich selbst in ihrem Video 'Continental Divide' (1994) gefangen genommen hat, ihr inhaftiertes, eingeschüchtertes Double und verhört es über ihren Status als Künstlerin. Unerbittlich quält sie Namen aus ihm heraus: Mangold, Gilbert & George, Baselitz, Kippenberger.

Doch auch als endlich der 'richtige' Name – Trockel – fällt, geht die beklemmend-paradoxe Selbstbefragung weiter. Das Verhör kann den Fall nicht aufklären, weil es keine 'richtige' Antwort gibt. Kein Trendbarometer oder Kunstkompass kann die Qualität von Kunst wirklich messen. Nur so viel ist klar: In der immer wieder ausgestoßenen Frage nach dem besten Künstler schwingen Selbstzweifel, Eifersucht, Bitterkeit ebenso mit wie Selbstbefragung und Machtwille.

Im internationalen Kunstbetrieb hat Rosemarie Trockel mittlerweile erreicht, womit sie einst im Titel einer ihrer Arbeiten kokettierte ('Ich wollte schon immer etwas Besonderes sein'). Gelungen ist das Trockel mit den Maschen ihrer Strickbilder.

Mitte der 1980er Jahre greift die Kölner Künstlerin diese banale 'weibliche' Kulturtechnik auf, die man gemeinhin mit mehr oder minder geschmackvollen, harmlosen Handarbeitsprodukten wie Socken oder Topflappen verbindet. Auch wenn zu dieser Zeit der Strickboom selbst StudentenInnen in der Uni und PolitikerInnen im Parlament erreicht, stutzen die BetrachterInnen angesichts Rosemarie Trockels Maschenwerk, das das Rheinische Landesmuseum Bonn 1985 erstmals zeigt. Später kommen Fotocollagen mit eindeutigeren Titeln wie 'Leben heißt Strumpfhosen stricken' dazu.

Beim zweiten Blick auf Trockels Arbeiten aber entgeht nicht die Absurdität und ihre Ironie: Motive wie Hammer und Sichel, das Güte versprechende Wollsiegel oder das Playboy-Häschen Bunny führt die Künstlerin als ewige Masche vor, vom Computer zu fortlaufenden Mustern auf Bilder, in Kleider oder Mützen gestrickt. Schon die industrielle Fertigung pervertiert das Klischee der mit Stricknadeln klappernden Frau, die Motive entlarven es.

Zugleich arbeitet Trockel sich auch am Geniekult der klassischen Maler ab und an der Absage der männerdominierten Minimal Art an handwerkliche Prozesse. Kritisch reflektiert sie Zuschreibungsmuster zur Konstruktion von Weiblichkeit ebenso wie feministische Bastelästhetik. Trockel hasst den einengenden Begriff 'Frauenkunst' und beeinflusst maßgeblich die Entwicklung des feministischen Kunstdiskurses.

"Wer sich nicht wehrt, endet am Herd" – derlei feministische Kampfparolen bekommt Rosemarie Trockel während ihrer Studienzeit zu hören. Das ist 1971, als sie die pädagogische Hochschule in Köln besucht, die Fächer Anthropologie, Soziologie, Theologie und Mathematik belegt und Lehrerin werden will. Drei Jahre später beginnt sie ein Malereistudium an der benachbarten Werkkunstschule und dreht erste Super-8-Filme, darunter 'Sei kein Kind von Traurigkeit'. Reif für den Kunstbetrieb fühlt sie sich aber danach noch nicht.

Erst 1980, als sie die Stadtplanerin Monika Sprüth – ihre spätere Galeristin – kennen lernt, mit ihr in die USA reist und dort die Künstlerinnen Jenny Holzer, Barbara Kruger, Louise Lawler und Cindy Sherman trifft, sieht sie sich bestärkt. Das Frausein wird ihr Thema und sie nimmt in Köln Kontakt auf mit den KünstlerInnen der Gruppe Mülheimer Freiheit.

Am meisten fasziniert sie das Zentrum der Frauenwelt: der Herd. Zu dem Soundtrack 'I feel warm inside, come to me' tastet Trockel den Kochofen mit der Videokamera ab und filmt ihn von seiner erotischsten Seite. Nur die langen Sequenzen seines Ein- und Ausschaltens stören den heißen Flirt. Die blitzblank geputzten Herdplatten werden zu Trockels Label, das sie, ganz wie die 'Strickbilder', beständig variiert. Wie überdimensionale Dominosteine sind die Herdplatten gleichmäßig oder asymmetrisch auf großen emaillierten Stahlplatten angeordnet, hängen an der Wand, sind im Raum installiert oder tauchen in Mobiles, Pullovern, Zeichnungen, Fotografien und Filmen auf. Sogar aufkleben kann man die im Zeitalter von Ceran-Kochflächen schon fast archaisch wirkenden Kochplatten. Aufgeheizt glühen die schwarzen Kreise auf weißem Grund wie infernalische Wundmale auf, abgekühlt aber sind sie nur noch komisch. Scheinbar grenzenlos lassen sich von Picabias Punktebildern über Bridget Rileys Op Art oder Ellsworth Kellys Hard-Edge-Malerei bis zur Kubus-Ästhetik der Minimal Art Bezüge herstellen.

Die Ambivalenz zwischen sozialkritischer Aussage und ironischem Zitieren der Kunstgeschichte, zwischen Objektwitz à la Duchamp und kühler Formenabstraktion ist typisch für Trockels Strategie, Triviales erhaben erscheinen zu lassen. Und umgekehrt. Doch Trockel hat noch andere Obsessionen: Mit Bildern von Hühnereiern in Zeichnungen, Videos und Fotocollagen zeigt sie immer wieder, was für ein Eiertanz weibliche Sozialisation sein kann. Ein besonders schönes Beispiel ist die Zeichnung einer Revolverheldin, der sie den verballhornten Namen jener Technik gibt, die typisch ist für Trockels Kunst: 'Die legendäre Ei-Ronny'.

Durchgängig spielen auch Menschen und Tiere und ihr ambivalentes Verhältnis zueinander eine besondere Rolle in Trockels Arbeiten. Durch ihren ersten Film schleicht ein Tiger. Bald lässt sie eine Motte am eigenen gestrickten Logo nagen. Und dann lässt sie wissen: Beuys’ Diktum, "Jeder Mensch ist ein Künstler", sei männliche Hybris. Denn, so Trockel trocken: "Jedes Tier ist eine Künstlerin."

Keine Überraschung, dass Trockel selbst 'Parasiten' und 'Nutzvieh' beachtet und zusammen mit ihrem Künstlerfreund Carsten Höller 'Schutzhäuser' für sie baut.

Ihr 'Haus für Schweine und Menschen' sorgt auf der 'Documenta X' für Furore. In diesem Modell-Idyll werden Hausschweine nicht länger gewinnmaximierend ausgebeutet und als Kotelett rezipiert. Es folgen ein 'Mückenbus' und ein galeriekompatibleres Silberfischchen-Eigenheim sowie das große, kugelrunde 'Haus für Tauben, Menschen und Ratten' auf der Expo 2000 in Hannover.

Trockel selbst versucht sich immer wieder an einer Ordnung für ihr disparat scheinendes Werk. Für eine durch Europa tourende Retrospektive ihrer 1986 bis 1998 entstandenen Arbeiten hat sie nicht nach Form oder Inhalt, sondern nüchtern nach Entstehungsort sortiert: Köln/Wolle, Paris/Brigitte Bardot, Opladen/Videos, Brüssel/Hühnerstall, Wien I und II/Gipsmodelle + Entwürfe, Schöhnheitsidole, Schwerte/Zeichnungen, Düren/Liebespaare und Hamburg/Seaworld. Ohne Scheu, auch das Peinliche oder Banale zu zeigen. Ihrer aktuellen Werkschau in Köln hat sie den Titel 'Post-Menopause' gegeben.

Seit 1997 lehrt die Wahl-Kölnerin an der Düsseldorfer Kunstakademie. 1999 vertritt Rosemarie Trockel als erste Frau Deutschland bei der Biennale in Venedig. Ihr Beitrag ist eine mehrdeutige Video-Trilogie zum Thema 'Zeit'. Zwischen Spielplatzszene und Schlafperformance setzt sie BetrachterInnen der Macht des Blicks riesig projezierter Frauenaugen aus. Seither richtet sich auch der internationale Blick auf Trockel.

Zu den Stationen der letzten Jahre zählen u.a. das Pariser Centre Georges Pompidou (2000), das Stockholmer Moderna Museet (2001), das New Yorker Dia Center for the Arts und das Frankfurter Museum für Moderne Kunst (2003). Nach Rosemarie Trockels allererster Museumsausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn 1985 hat man sich jedoch ausgerechnet in Deutschland mit der künstlerischen Würdigung ihrer Arbeit mehr Zeit gelassen als in den USA und im europäischen Ausland.

Immer wieder aber ist Rosemarie Trockel auch außerhalb von musealen Ausstellungsräumen aktiv – etwa als Gründungsmitglied in der Kölner Initiative 'Josef-Haubrich-Forum', die sich gegen die Planierung des alten Kunstareals am Kölner Neumarkt mit Josef-Haubrich-Kunsthalle und Kölnischem Kunstverein 2002 formierte und inzwischen als Verein 'Loch e.V.' das Modellprojekt 'European Kunsthalle Köln' initiiert hat. Auch das Kölner Herder-Gymnasium, die Synagoge Stommeln oder das Düsseldorfer Schauspielhaus (an dem sie im Mai die Theateraufführung 'I Will' mit FreundInnen und StudentInnen ihrer Düsseldofer Kunstakademie-Klasse inszenierte) reizen Trockel als Kunstorte.

Bis auf 2.964 Meter Höhe hat Trockel es schon geschafft. In dem Kunstraum auf der Zugspitze hat sie 2002 'Miss Wanderlust' installiert – ein fernwehgeplagtes Polyvinylschaum-Fräulein, das mit einem Fernglas durch das Gletscherpanorama zappt. Inzwischen ist 'Miss Wanderlust' heimgekehrt nach Köln, wo auch ihre Schöpferin weiterhin arbeitet und lebt.

Aktualisierter Text aus der Deutsche Welle-KünstlerInnen-Reihe die 'Deutsche Vita' (www.deutsche-vita.net).

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