Ihre Heiligkeit & der Sex

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Millionen Menschen in aller Welt gilt er als Hoffnungsträger und Lichtgestalt: „Seine Heiligkeit“ Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama. Nicht nur Stars und Sternchen, von Tina Turner bis Mutter Beimer, sonnen sich in seinem Glanz, auch Politschaffende jeder Couleur drängen sich danach, von ihm einen Glückswedel umgehängt zu bekommen. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth etwa hält ihn für den „Inbegriff von Friedfertigkeit, Weisheit und Güte“. Ihre Vorgängerin Petra Kelly, die Mitte der 80er wesentlich zur Popularisierung des tibetischen „Gottkönigs“ im Westen beigetragen hat, war hin und weg gewesen von dessen Ausstrahlung „femininer Maskulinität“.

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Eine Ahnung, welche Absichten und Interessen dieser ständig vor sich hinkichernde kleine Mann tatsächlich verfolgt, hat kaum jemand. Die Fans wollen es auch gar nicht wissen. Sie interessieren sich nicht wirklich für Tibet, nicht für die Geschichte des Landes, nicht für politische Fragen und Probleme. Ein „Free-Tibet“-Aufkleber auf dem Kofferraumdeckel reicht fürs Gutmenschengefühl völlig. Konsequent wird alles ausgeblendet, was das Bild des Dalai Lama ankratzen könnte. Je platter seine Phrasen und seine Selbstdarstellung als Friedensfürst und heroischer Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte, umso frenetischer der Applaus.

Anlässlich einer seiner zahlreichen Besuche in Deutschland traf der „Gottkönig“ Mitte der 1990er die damalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die, ganz Theologin, zu bezeugen wusste, Tibet sei ein Land „mit besonderer Aura“. Nie zuvor habe sie „so eine tiefe spirituelle Frömmigkeit erlebt. Wer wissen will, was Religion auch sein kann – was unser alter Kontinent Europa schon gar nicht mehr weiß –, der kann es heute vielleicht nur noch in Tibet so erfahren“. Als Geschenk überreichte sie dem Dalai Lama, der von gläubigen Tibetern mit dem Namen „Wunscherfüllendes Juwel“ bedacht wird, einen Bergkristall.

Erwartungsgemäß ergriff der solchermaßen Geehrte sofort die Gelegenheit, den tieferen Symbolgehalt des Geschenks zu erörtern: „Wenn von außen auf den Kristall Lichtstrahlen treffen, dann entstehen verschiedene Farben. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass unser klarer makelloser Geist ungeheure Energie freisetzen kann.“ Dass im tibetischen Buddhismus der Begriff des „Wunscherfüllenden Juwels“ für etwas ganz anderes steht, nämlich für den Phallus (des Lama), verschwieg der „höchste Lehrmeister des Tantra“ wohlweislich, der sich im Westen publikumswirksam als zölibatärer Mönch präsentiert.

Wie in sämtlichen Religionen finden sich auch im tibetischen Buddhismus detaillierte Anweisungen zu „korrektem Sexualverhalten“. Insbesondere die Angehörigen des Klerus unterliegen strengen Richtlinien, müssen „strikte Keuschheit“ üben. Gleichwohl, wie der Dalai Lama erläutert, „gibt es im tibetischen Buddhismus eine ausgeprägte sexuelle Symbolik, besonders in der Darstellung der Gottheiten mit ihren Gefährtinnen, woraus oftmals ein falscher Eindruck entsteht. Das Sexualorgan wird zwar benutzt, aber der Fluss der Energie wird völlig beherrscht. Entscheidend ist die Fähigkeit, sich vor dem Fehler des Samenergusses zu hüten. Da es sich nicht um einen gewöhnlichen Sexualakt handelt, kann man die Verbindung zur Enthaltsamkeit herstellen.“

In anderen Worten: Solange Mönch oder Lama nicht ejakulieren, können sie sich durchaus verschiedenster sexueller Aktivitäten befleißigen. Die „Benutzung des Sexualorgans“, sofern korrekt vorgenommen, sei ohne weiteres mit dem Gelübde des Zölibats vereinbar. Derlei sexuelle Praktiken, so der Dalai Lama spitzfindig, „sind in Wahrheit kein Sex, auch wenn es so aussieht“.

Das „männliche Elixier“ müsse unbedingt im Körper zurückgehalten und dort mit dem anzueignenden „weiblichen Elixier“ verbunden werden, das durch den in die Vagina eingeführten Penis aufgesogen werde. Hierzu gibt es verschiedenste Vorübungen. Eine davon besteht darin, einen Strohhalm in die Harnröhre einzuführen und das Gemächt in ein Glas Wasser oder auch Milch zu hängen. Durch bestimmte Atemtechniken lasse sich Unterdruck in der Harnröhre erzeugen, wodurch etwas Flüssigkeit angesaugt werden könne. Erst wer dies beherrscht, darf sich eine „Sexgefährtin“ (tibet. Songyum) zulegen.

Gerade Frauen sollten verstehen, worum es bei den Sexpraktiken der Lamas wirklich geht. Die in Tibet bis heute vorherrschende buddhistische Lehre ist die des so genannten Vajrayana (sanskrit: Diamantzepter-, Blitz- oder Phallusgefährt), eine Untergliederung des so genannten Mahayana (Großes Gefährt [zur Erleuchtung]). Im Gegensatz zu sämtlichen sonstigen Schulen des Buddhismus verspricht das „Phallusgefährt“ seinen Anhängern die Möglichkeit, innerhalb eines einzigen Lebens Erleuchtung zu erlangen und damit aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten auszusteigen. Vajrayana bietet insofern eine Vielzahl tantrischer Rituale und Übungen, deren Wesentliches, wie der Begriff „Phallusgefährt“ mehr als nur andeutet, aus Praktiken zur „Beherrschung und Kanalisation der sexuellen Energie“ besteht.

In anderen Worten: Erleuchtung ist in der Vorstellung des tibetischen Buddhismus nur durch sexuelle Betätigung zu erlangen; in den höheren Einweihungsgraden nur und ausschließlich durch Sexualkontakt zu realen Frauen. Laut Dalai Lama aber müsse das alles „verborgen gehalten werden, weil es für den Geist vieler nicht geeignet ist“.

Es geht, wohlgemerkt, immer nur um die Erleuchtung der Männer, der die Frauen zuzuarbeiten haben: Eine Frau kann aus buddhistischer Sicht prinzipiell keine Erleuchtung erlangen, die tibetische Sprache bezeichnet sie konsequenterweise als „Kyenmen“, als „von minderer Geburt“.

Zugang zu den Geheimpraktiken des „Phallusgefährtes“ hatte seit jeher nur eine kleine Elite innerhalb der monastischen Hierarchie, die sich im Verborgenen eigens rekrutierter Songyum bediente. Während die einfachen Mönche zu sexueller Enthaltsamkeit beziehungsweise zu tantrischen Praktiken lediglich in Gestalt von Visualisierungsübungen, sprich: masturbatorisch und ohne reale Frau, verpflichtet wurden und werden, hatten höhere Lamas schon immer ihre geheimen Konkubinen zur Hand.

Die beteiligten Mädchen und Frauen, ebenso wie die engsten Vertrauten des jeweiligen Lamas und die sonstigen Beteiligten – Eltern, Brüder, auch Ehemänner –, die diesen die Frauen zuführen, werden durch massive Einschüchterung und Bedrohung zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Überdies wird den Frauen suggeriert, sie könnten durch die sexuelle Beziehung mit einem Lama „gutes Karma“ für künftige Inkarnationen ansammeln.

Vielfach werden die Frauen auch durch „magische“ Rituale „in Bann geschlagen“, um sie einzuschüchtern und mundtot zu machen. Dem Lama, so die Suggestion, stehe eine Vielzahl an Zaubersprüchen zu Gebot, mittels derer er den Frauen namenlose Qualen schicken, sie zu Stein erstarren oder augenblicklich in zwei Hälften zerfallen lassen könne. Die Lamas selber bestreiten jeden Sex mit realen Frauen. In der Regel wird behauptet, bei den tantrischen Ritualen handle es sich ausschließlich um imaginatives Geschehen, um das „meditative Visualisieren der Vereinigung einer männlichen Gottheit mit einer weiblichen Gefährtin“ mit dem Ziel, zu tieferen Einsichten in die „Integration polarer Gegensätze“ zu gelangen.

Als eine der ersten Frauen, die die Sexbeziehungen hochrangiger tibetischer Lamas ans Licht brachten, legte die britische Tibetologin und Buddhistin June Campbell 1996 ein Buch dazu vor („Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen“). Sie war über Jahre hinweg die „geheime sexuelle Gefährtin“ ihres „spirituellen Lehrers“, des weit über 40 Jahre älteren Lamas Kalu Rinpoche, gewesen. Reaktion aus buddhistischen Kreisen: Campbell sei eine „neurotische, hysterische und geisteskranke Lügnerin“. Gerüchte und Berichte über sexuell-ausbeuterische Beziehungen tibetischer Lamas zu (West-)Schülerinnen hatten sich allerdings in den letzten Jahren derart verdichtet, dass selbst der Dalai Lama Position beziehen musste. Er gestand ein, dass es „gelegentlich zu sexuellem Missbrauch“ gekommen sei, wälzt aber die Schuld daran auf die jeweiligen Schülerinnen ab, die „ihre spirituellen Lehrmeister zu sehr verwöhnen; sie verderben sie“.

Durchaus rechtens sei es nach tantrischer Lehre, ein Mädchen, das die sexuelle Vereinigung verweigert – schon Achtjährige werden dazu herangezogen –, dazu zu zwingen. Mit Frauen fortgerückteren Alters solle tunlichst kein Sex mehr praktiziert werden: Ab 30 werden sie nur noch als „Hundeschnauze“, „Schakalfratze“, „Eulengesicht“ und dergleichen bezeichnet.

Bei Tantra geht es stets um die Transformation sexueller Energie in Macht, von Macht über einzelne Personen bis hin zur phantasmagorischen Macht, auf das Geschehen des Universums Einfluss zu nehmen. Zur Freisetzung derartiger Allmacht, die jede Polarität des Seins transzendiert, benötige der „männliche“ Lama spezifisch „weibliche“ Energie. Diese Energie, in den Vorstellungen des Tantrismus ein durchaus materiell zu verstehendes „Elixier“, sucht der Lama sich anzueignen mittels rituellen Sexualkontaktes zu Frauen. In der Absorption der weiblichen Energie – die vor allem in Menstruationsblut oder Vaginalsekret gewähnt wird – könne der Lama eine Art mystischer „Doppelgeschlechtlichkeit“ aufbauen, die die Urkräfte des Kosmos – Yab/Yum – in ihm integriere und ebendadurch ins Omnipotente steigere.

Ziel ist es, zum Adibuddha zu werden, zum Herrn allen weltlichen und überweltlichen Geschehens. Interessant sind in dem Zusammenhang die Ritualgegenstände, mit denen die Lamas bei ihren öffentlichen Zeremonien hantieren: in der Rechten führen sie stets das phallussymbolische Diamantzepter (Vajra), in der Linken die vaginasymbolische Glocke (Gantha): der Lama versteht sich als Herr des männlichen wie auch des weiblichen Prinzips, er ist Mann und Frau zugleich.

In seiner 2003 erschienenen Schrift „Frieden im Herzen und in der Welt“ gibt der Dalai Lama erstmalig zu, dass innerhalb des Vajrayana-Buddhismus rituelle Sexualpraktiken mit realen Mädchen und Frauen stattfinden: „Wenn ein Tantrapraktizierender sehr, sehr hohe Verwirklichung erreicht hat, ist dies tatsächlich möglich.“ Dass er selbst, der „Großmeister des Tantra“, diese sehr, sehr hohe Verwirklichung erreicht hat, dürfte selbstverständlich sein.

Der Autor ist klinischer Psychologe und Leiter einer Beratungsstelle für Therapie- und Psychokultgeschädigte. Zum Thema erschien von ihm: "Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs" (Alibri).

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