In der aktuellen EMMA

Antisemitismus: Warum erst jetzt?

Foto: Bettina Flitner
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Großrazzia gegen Islamisches Zentrum Hamburg“. Diese Nachricht, die am 16. November 2023 verbreitet wurde, haute mich schlicht um. Warum? Weil sie 20 Jahre zu spät kommt. Ich hatte das IZH 2002 an den Anfang „Einer frommen Reise durch Deutschland“ gesetzt (veröffentlicht in „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“, KiWi). Damals hoffte ich naiv, dass das Islamische Zentrum (IZH) mit seiner märchenhaften „blauen Moschee“ an der teuren Hamburger Außenalster aufgrund meiner Recherchen sofort geschlossen werden würde. Es geschah – nichts.

Seit einigen Jahren beklagen nun auch über EMMA hinaus IslamwissenschaftlerInnen, wie Susanne Schröter oder Hamed Abdel-Samad, dass das IZH ein verlängerter Arm des iranischen Mullah-Regimes sei. Vergeblich. Nicht einmal der Verfassungsschutz drang 2019 mit seiner Warnung vor „Antisemitismus im Islamismus“ zu den politischen EntscheiderInnen durch. Erst jetzt, wo vor dem Hintergrund des Hamas-Überfalls in Deutschland wahrgenommen wird, wie tief der Antisemitismus in der arabisch-muslimischen Welt verankert ist, sieht die Politik Anlass zum Handeln – zumindest bei dem besonders umstrittenen Islamischen Zentrum. Ist die Bundesregierung jetzt auch zu einem konsequenten Durchgreifen darüber hinaus bereit? Da würden mir so einige einfallen.

Beginnen wir mit Mannheim, dem Ende meiner frommen Reise vor mehr als zwanzig Jahren.

Am letzten Tag des Fastenmonats Ramadan (…) kommen wir auf unserer nur vermeintlich frommen, doch in Wahrheit hoch politischen Reise (…) in Mannheim an. Dort ist die größte Moschee Deutschlands mit 2.500 Gebetsplätzen auf 1.500 Quadratmetern zu Hause. Die Yavus-Sultan-Selim-Moschee (…) ist eine preisgekrönte Begegnungsstätte für den interreligiösen Dialog. Doch die Mannheimer Moschee soll den faschistischen „Grauen Wölfen“ in der Türkei gehören, die neuerdings auch unter islamischer Flagge segeln. Bei der feierlichen Eröffnung im März 1995 wurde laut Verfassungsschutz Adolf Hitlers hierzulande verbotene antisemitische Hetzschrift „Mein Kampf“ auf Türkisch verkauft. Aber das merkte mal wieder keiner. („Die Gotteskrieger“, KiWi, 2002)

21 Jahre nach der Moschee-Eröffnung in Mannheim fiel – oh Wunder! – dann doch etwas auf. Im Sommer 2016, sei bekannt geworden, „dass sich die Grauen Wölfe mit den Anhängern der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP solidarisierten, obwohl sie früher verfeindet waren. Sie sähen in diesem Bündnis eine ‚Perspektive‘.“ (Wikipedia)

Da ist es nur konsequent, dass sich der AKP-Gründer und türkische Staatschef Erdoğan 2023, kurz nach dem barbarischen Überfall der Hamas auf israelische ZivilistInnen, offensiv als Antisemit outet. Israel sei ein „Terrorstaat“, und die Hamas-Terroristen seien „Freiheitskämpfer“, verkündete Erdoğan. Er verfolgt seit Jahren das Ziel, der Herr der islamisch-arabischen Welt zu werden. Trotzdem wurde der bekennende Antisemit und Islamist Erdoğan am 17. November 2023 als Staatsgast in Berlin empfangen.

Der türkischstämmige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) warnte vergebens davor, „wie sehr Erdoğan über deutsche Moscheen Einfluss nimmt (…) Dann wird dieses Gift des Antisemitismus in Deutschland weiterverbreitet.‘“ 

Damit meinte Özdemir zum Beispiel „die fast 900 DITIB-Gemeinden“. DITIB ist der deutsche Ableger von Diyanet, der Religionsbehörde des türkischen Staates. Diese schickt ihre in der Türkei ausgebildeten Imame nach Deutschland, um DITIB-Gemeinden zu leiten, was u. a. heißt: in Moscheen zu predigen und Religionsunterricht zu erteilen. Der Diyanet-Präsident Ali Erbas ist neben Erdoğan der größte antisemitische Hetzer, nicht erst seit dem 7. Oktober.

Die türkisch-staatliche DITIB ist der größte der vier angeblich „großen“ Islam-Verbände – neben der DITIB sind dies der Islamrat, der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Die vier zusammen vertreten allerdings „nur 20 Prozent aller Muslime in Deutschland“, wie seit langem nicht nur EMMA, sondern seit kurzem auch die FAZ vermeldet.

Bis 2022 diskutierten Funktionäre dieser vier Verbände neben WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen auf dem Podium der alljährlichen Islamkonferenz des Bundesinnenministeriums über „sozialen Frieden und demokratischen Zusammenhalt“. Doch zur diesjährigen Islamkonferenz am 21. und 22. November wurden die „großen“ Vier nicht mehr aufs Podium geladen. Warum wohl nicht? Islamwissenschaftlerin Rita Breuer vermutete 2018 Folgendes:

Die mehrheitlich liberal denkenden Musliminnen und Muslime in Deutschland kommen in diesen Verbänden nicht vor. Die so dringend notwendige Akademisierung des liberalen Islams und Entwicklung einer Islam-Theologie auf der Basis von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten wird von diesen Verbänden systematisch verhindert. Die nicht-muslimischen Verhandlungspartner aus Politik und Wissenschaft, die ansonsten die demokratischen Werte allenthalben einfordern, glauben unhinterfragt den Lippenbekenntnissen ihrer muslimischen Gesprächspartner. Dabei stehen alle vier Islam-Verbände für ein erzkonservatives, von Ungleichheit geprägtes Frauenbild und die Pflicht der Frauen zur Verhüllung. Unverschleierte Frauen haben in keinem der Islam-Verbände ein Mitspracherecht. (EMMA 5/2018) 

Diese Erkenntnisse der Islamwissenschaftlerin vor fünf Jahren waren keineswegs ausschlaggebend dafür, dass die „großen“ Islamverbände auf der Islamkonferenz der deutschen Regierung 2023 keine Hauptrollen mehr spielen durften. Grund war wohl eher ihr nicht länger zu leugnender Antisemitismus.

Zum Beispiel der Islamrat. Er wird von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) dominiert. Deren Gründer ist der türkische Politiker Necmettin Erbakan, Islamist und Antisemit. Antisemitismus sei „von Beginn an fester Bestandteil“ der Millî Görüş-Bewegung, steht schon 2019 in der erhellenden Schrift „Antisemitismus im Islamismus“ des Bundesverfassungsschutzes. 

Und: „Schon in dem von Erbakan verfassten Text ‚Gerechte Wirtschaftsordnung‘ taucht die Behauptung auf, die ‚Zionisten‘ kontrollierten den ‚Imperialismus‘ und beuteten mithilfe der kapitalistischen Zinswirtschaft die gesamte Menschheit aus.“

EMMA informiert seit Jahrzehnten über die islamistischen Verwirrspiele und Verdunklungsstrategien. Unermüdlich haben wir sie immer wieder entwirrt und ans Licht einer ignoranten Öffentlichkeit gezerrt – zum Beispiel 2002, als der Bericht über meine „Fromme Reise“ erschien und die Häufung des Namens Erbakan in Köln und Umgebung thematisierte.

Necmettin Erbakan aus der Türkei ist der Onkel des gesamteuropäischen Millî-Görüş-Chefs Mehmet Sabri Erbakan aus Kerpen bei Köln und Schwager der verwitweten Kölnerin Hanna Amina Erbakan: deutsche Konvertitin, IGMG-Frauenfunktionärin und gern gesehener Podiumsgast, wenn auf christlichen Kirchentagen interreligiös über ‚Die Rolle der Frau im Islam‘ diskutiert wird. (…) Von Köln-Nippes aus streitet die zum Islam konvertierte deutsche Rechtsanwältin bundesweit durch alle Instanzen für das ‚Menschenrecht‘ muslimischer Lehrerinnen, im staatlichen Schulunterricht Kopftuch zu tragen. Oder für das Selbstbestimmungsrecht muslimischer Eltern, ihre Töchter vom Schwimm- und Sportunterricht zu befreien.“ („Die Gotteskrieger“, KiWi, 2002).

Der vom deutschen Bundespräsidenten Steinmeier im November 2023 reserviert empfangene türkische Präsident Erdoğan war früher ein gern gesehener Staatsgast. Doch der bekennende Islamist wurde nie so hofiert wie seine reichen Glaubensbrüder aus arabischen Ländern.

EMMA schrieb darüber im Herbst 1995: In Bonn wird die König-Fahd-Akademie eingeweiht: eine muslimische Schule mit angeschlossenem Bildungs- und Tagungszentrum. Zum Eröffnungsfestakt geladen sind nicht nur Außenminister Klaus Kinkel (FDP) und Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), sondern auch die umstrittene Friedenspreisträgerin Annemarie Schimmel sowie der islamische Fundamentalist Ali Yüksel von der türkischen AMGT (Anm. d. Red.: Heute IGMG, Abkürzung für Islamische Gemeinschaft Millî Görüş) mit Sitz in Köln (…)

Gastgeber an diesem regnerischen Freitagmorgen im Frühherbst ist Prinz Abdulaziz Bin Fahad Bin Abdulaziz, Sohn des saudi-arabischen Königs Fahad, seines Zeichens „Hüter der Beiden Heiligen Stätten“. Er hat diese saudische Schule in Deutschland für 28 Millionen Mark aus der Staatskasse Saudi-Arabiens errichtet, das seit 20 Jahren weltweit Hauptgeldgeber der fundamentalistischen Offensive ist. (…)

In einer Erklärung der saudischen Botschaft heißt es: Die König-Fahd-Akademie sei ein „arabisch-islamisch-humanitäres Projekt“, denn: „Der Islam ist die Religion der Liebe, der Toleranz und des Dialogs.“ Abdulaziz Bin Fahd Bin Abdulaziz, Sohn des „Hüters der Beiden Heiligen Stätten“, hatte den PR-Text seines Botschafters offenbar nicht gelesen. Der Prinz nahm in seiner Eröffnungsrede am 15. September kein Blatt vor den Mund und verkündete offen, was das „humanitäre“ Projekt wirklich ist: „Ein Zentrum der religiösen Anleitung und Wegweisung, das an der Verbreitung des gerechten Glaubens arbeitet.“ Kurzum: eine islamische Missionsstation mitten im aufgeklärten Europa. (EMMA 6/1995)

Erst 22 Jahre später, am 30. Juni 2017, wurde die König-Fahd-Akademie geschlossen. Leider nicht von deutschen Behörden, sondern von der saudischen Regierung. Deren Schließungspläne waren bereits im August 2016 bekannt geworden. Angeblicher Grund: Weil Deutschland über ‚eines der weltweit besten Bildungssysteme‘ verfüge und Saudi-Arabien davon lernen könne, sehe die Regierung in Riad keine Notwendigkeit mehr für eine saudische Schule in Deutschland.

Eine Schmeichelei, die wohl verschleiern sollte, dass die saudische Regierung einer Schließung durch deutsche Behörden zuvorkommen wollte. Eine Frage der Ehre. Laut Deutsche Welle hatte das Kölner Regierungspräsidium der König-Fahd-Akademie „fundamentalistischen Islamismus“ vorgeworfen und mit dem Entzug der Genehmigung für den Schulunterricht gedroht. Immerhin.

Linker Antikapitalismus und islamistischer Antisemitismus sehen ihr Feindbild schon lange Seite an Seite in der New Yorker Wallstreet, die angeblich vom „Weltjudentum“ beherrscht wird. 

Auf den gegenwärtigen Demos, wo Partei für die Hamas ergriffen wird, skandieren Islamisten und Linke unisono: „From the river to the sea, Palestine will be free.“ Dieser Slogan ist nicht neu, darum aber nicht weniger erschreckend, denn: Ein freies Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer setzt die Auslöschung Israels voraus.

Dass das als neu und noch nie dagewesen erscheinen kann, was schon seit Jahrzehnten offensichtlich ist, liegt an der sich zunehmend ausbreitenden Geschichtslosigkeit, auch der JournalistInnen und PolitikerInnen. Das hat besonders für Frauen gefährliche Konsequenzen:  Bei einer pro-palästinensischen Islamisten-Demo am 3. November 2023 in Essen mussten die Frauen am Ende laufen und bei der Schlusskundgebung auf einer anderen Fläche stehen als die Männer. 

Das sei die „klassische islamistische Geschlechterordnung“, erklärte achselzuckend die deutsche Polizei. Also kein Grund einzugreifen – als ob es den von Frauen hart erkämpften Gleichberechtigungsartikel 3 im deutschen Grundgesetz nie gegeben hätte, sondern stattdessen die frauenverachtende Scharia in Deutschland gelten sollte, wie im Gottesstaat Iran.

Und noch ein Beispiel für das deutsche Wegsehen. 2002 schrieb ich:

In der schiitischen Imam-Ali-Moschee (Anm. d.Red.: die „blaue“ Moschee des IZH), führen evangelische Bischöfinnen wie Maria Jepsen und katholische Kirchenkritiker wie Hans Küng christlich-islamische Dialoge. (…) Im Gästebuch finden sich (…) Namen wie Dorothee Sölle (feministische Theologin), Luise Rinser (katholische Schriftstellerin), Pinchas Labide (jüdischer Mystiker), Petra Kelly (grüne Pazifistin) und Henning Scherf (linksliberaler Sozialdemokrat). Alle (…)  scheint es nicht gestört zu haben, dass sie in einem Haus verkehrten, das engste Kontakte zu dem islamistischen Gottesstaat Iran mit der Scharia als (Un)Rechtsordnung unterhält. („Die Gotteskrieger“, KiWi, 2002)

Das IZH stehe im Verdacht, „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu richten“, war 21 Jahre später, am 16.  November 2023, auf tagesschau.de zu lesen: „In sieben Bundesländern haben Sicherheitskräfte Razzien gegen das ‚Islamische Zentrum Hamburg‘ (IZH) und fünf mögliche Teilorganisationen durchgeführt.“ Parallel laufe ein Ermittlungsverfahren wegen der mutmaßlichen Unterstützung der „in Deutschland verbotenen Aktivitäten der libanesischen Terrororganisation Hisbollah“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versicherte daraufhin den aufgeregten Medien: „Wir haben die islamistische Szene im Visier.“ Das klang beruhigend. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der sich viele Jüdinnen und Juden besonders bedroht fühlen“, fuhr die Ministerin fort, gelte die Devise: „Wir dulden generell keine islamistische Propaganda und keine antisemitische und israelfeindliche Hetze. Gerade jetzt kommt es auf hohe Wachsamkeit und ein hartes Vorgehen an.“

Gerade jetzt? Wir fragen uns: Warum erst jetzt?! Und noch eine drängende Frage: Wann meldet sich endlich die schweigende Mehrheit der MuslimInnen in Deutschland zu Wort, die 80 Prozent, die nicht in den vier Islamisus-Verbänden organisiert sind? 

Das ist die Herausforderung, vor der wir jetzt zusammen stehen. Nehmen wir sie an!

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