Die EMMAs schlagen zurück!

Sieben EMMAs, 14 Boxhandschuhe und ein Selbstverteidigungskurs.
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Ako blutet. Dabei haben wir gerade erst angefangen. Keine zehn Minuten hat es gedauert, da läuft unserem Trainer ein rotes Rinnsal über die linke Wange. Außerdem hat er Bissspuren an der Schulter. „Und die sind auch kurz vorm Bluten“, sagt Ako nach einem kurzen Blick unter sein T-Shirt. Nicht etwa vorwurfsvoll, nein, im Gegenteil: Ako findet das Blut und die Bissspuren „super!“.

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Für uns, die wir in unserem Alltag normalerweise niemanden blutig beißen, ist Akos Begeisterung über seine Blessuren ­gewöhnungsbedürftig. Aber das wird sich rasch ändern.

Das klingt unangenehm.
Es ist unange-
nehm. Aber
es funktioniert.

Noch sind wir aber bei Übung Nummer 1: Ringen. Worum geht’s? Wir sollen Ako angreifen und auf den Boden ringen. Worum geht’s wirklich? Denn natürlich haben wir gegen diesen Koloss von einem Mann in Wahrheit keine Schnitte. Ako will, erklärt er, uns gleich am Anfang einmal in eine hilflose Situation bringen: „Damit ihr merkt, dass ihr in eine solche Lage auf keinen Fall geraten wollt“.

Das klingt unangenehm. Es ist auch unangenehm. Aber es funktioniert. Weil es in jeder von uns auf der Stelle Bärinnenkräfte mobilisiert. Wie gesagt: Ako blutet. Schon Kandidatin Nummer zwei hat, begleitet von markerschütternden Kampfschreien, unserem Trainer erhebliche Wunden zugefügt. Kandidatin Nummer zwei ist Alice. Wir sind beeindruckt. Ako auch. „Ich mache das jetzt 25 Jahre, aber mich hat noch nie jemand sofort gebissen“, sagt er.

„Da hast du jetzt echt einen vorgelegt!“ lobt Alex, die als Kandidatin Nummer eins noch ein bisschen zu höflich gewesen war. Mit Höflichkeiten ist es jetzt bei uns vorbei. Bettina wirft sich ohne Rücksicht auf irgendwelche Kampfregeln direkt auf Akos Rücken; Angelika brüllt wie eine Löwin und guckt auch so; und ich bin nicht bereit aufzugeben, als Ako schon über mir liegt und robbe mit 105 Kilo Lebend­gewicht auf mir weiter über die Matte, bis mir endgültig die Puste ausgeht. „Kampfsau“, sagt Ako zu mir. Ich finde das ein schönes Kompliment.

Der Kracher aber ist Anett. Wir kannten unsere hochgewachsene blonde Verlagsfrau, eine Kapitänstochter aus Brunsbüttel, bisher als gelassene Hanseatin. Jetzt aber mutiert Anett innerhalb einer Sekunde zur Kampfmaschine mit Killerblick. Und dieser böse Blick, den wir alle noch nie bei ihr gesehen haben, bleibt auch, als der Fight mit Ako zu Ende ist und Anett keuchend an der Wand lehnt. Unsere Anett, sonst der Gleichmut in Person, stiert mit wilden Augen auf Ako. Minutenlang. In ihr, das sieht frau deutlich, brodelt es. Und es hört nicht auf. „Anett …?“ fragen wir vorsichtig. Aber da ist erstmal nichts zu machen. Anett wirft weiter Wutblicke.

Das hatte Ako offenbar gemeint, als er uns am Morgen angekündigt hatte: „Wir holen das Selbstbewusstsein und die Stärke aus euch raus, die schon in euch drin sind.“ Was so alles in uns steckt, konnten wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen. Aber schon nach der ersten Übung ahnen wir: Ako könnte Recht haben.

„Lasst uns doch mal einen Selbstverteidigungskurs machen!“ Dieser Satz war in schöner Regelmäßigkeit in unseren Konferenzen gefallen. Wie so vielen Sätzen der „Wir müssten mal“-Kategorie folgte daraus jahrelang – nichts. Dann aber kam der Jahreswechsel und mit ihm die neuen guten Vorsätze. Jetzt also Nägel mit Köpfen: Die EMMAs machen einen Selbstverteidigungskurs!

Eins war klar: Für diesen Kurs käme niemand anders in Frage als Ako Hintzen. Denn erstens verbindet Ako und EMMA eine sehr spezielle Geschichte. Der Gründer und Chef der „Deutsche Personen Schutz-Security“, kurz DPS, hatte 1993 nackt auf dem EMMA-Titel posiert. Nackt? Jawohl, nackt. Der Stern hatte seine Titelgeschichte „Frauen reden über ihren Körper“ mit drei nackten Frauen bebildert. (Damals bebilderte das Hamburger Magazin mit erstaunlicher Kreativität noch quasi jedes Thema mit einer oder gleich mehreren nackten Frauen.) Für EMMAs Parodie „Männer reden über ihren Körper“ suchten und fanden wir drei nackte Männer: Smudo von den Fantastischen Vier, den Schauspieler Martin Armknecht aus der „Lindenstraße“ – und Ako. Danach war er „bei den Jungs in der Branche unten durch“. Bei uns aber war er angesagt.

Ako ist sicher: Wir holen das Selbstbewusstsein und die Stärke aus euch raus!

Und natürlich ist Ako ein Vollprofi. Er hat schon auf Alfred Biolek aufgepasst, auf die Rolling Stones und auf den Dalai Lama; er hat eine Expedition geschützt, die Nazigold aus dem Brandenburger Stolpsee bergen wollte; er hat im Bundeskanzleramt und im Bonner Frauenmuseum für Sicherheit gesorgt. Und er hat ein Herz für Frauen, die von Männern bedroht werden.

Zum Beispiel für Tina und Lena, unsere „female coaches“ an diesem Wochenende. Lena war in einer Beziehung mit einem ­gewalttätigen Mann, Tina wurde von ihrem Ex-Freund gestalkt. Beide wandten sich an Ako. Der brachte ihnen bei, sich zu wehren. „Am Anfang hatte ich diese typische Einstellung: Ein Mädchen haut nicht“, erzählt Tina. Inzwischen haut, tritt und boxt die Bauzeichnerin, dass es eine Freude ist. Nachdem Tina ein paarmal volle Kanne einen „low kick“ in eine Bratze (so heißen die Schaumstoff-Kissen) getreten hatte, wissen wir: Das wollen wir auch. Der vierte im Trainer-Bunde ist Wulf. Der blonde Hüne ist Beamter, sieht aber aus, als könnte er seinen Schreibtisch problemlos allein aus dem Büro tragen. 

Die meisten von uns haben schon mal einen Selbstverteidigungskurs gemacht, aber das ist lange her. Bettina zum Beispiel hat mit 14 einen Jiu-Jitsu-Kurs von ihrem Großvater geschenkt bekommen. Das ist schon sehr lange her, aber Bettina hat „überhaupt wenig Angst, vielleicht“, sagt sie, „habe ich zu wenig Angst“. Angesichts der Tatsache, dass sie als Fotografin an so unwirtlichen Orten wie auf dem Straßenstrich oder im Kongo unterwegs ist, finden wir das auch. Angelika hat vor zwanzig Jahren einen Wen-Do-Kurs gemacht. Übergriffe? Ja, gab es. Anmache bis hin zum Angefasstwerden. „Vielleicht“, sagt Angelika, „bin ich auch manchmal zu nett“. Alex hat noch „nie körperliche ­Gewalt“ erlebt. Allerdings wurde die Sache einmal knapp. In den Gassen von Barcelona verfolgte sie ein Typ. Den brüllte sie schließlich so lange auf Spanisch zusammen, bis er sich, zu ihrer eigenen Überraschung, verzog. Alex hat mal geboxt, aber rasch wieder aufgehört, als sie feststellte, „dass ich mich unwohl fühle, wenn eine Faust in meinem Gesicht ist.“

Anett hat als Studentin bei einem Wen-Do-Kurs das obligatorische Brett durchschlagen und sich dabei „stark gefühlt“. Sie ist knapp einsachtzig und offenbar kein ­bevorzugtes Ziel unangenehmer Männer. Aber: „Ich bin einfach so wütend über das, was Frauen alles passiert. Und manchmal hab ich da richtige Rachegefühle.“

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Kürzlich hat mir ein Autofahrer, der nicht geblinkt und mich so zu einer Vollbremsung genötigt hatte, auf mein erschrecktes Hupen hin zuerst den Stinkefinger gezeigt und mich dann „blöde Fotze“ genannt. Ich muss zugeben: Ich hätte dem Machoarsch liebend gern kurz und schmerzvoll in die Eier getreten. „Jeder Kampf, den man nicht kämpft, ist ein gewonnener Kampf“, steht in Akos „Fight Your Way“-Konzept. Leuchtet mir prinzipiell ein, aber in diesem Fall wäre mein Weg ein anderer gewesen.

Margitta und Alice haben noch keinen Selbstverteidigungskurs gemacht. Margitta ist „nie was passiert“. Alice auch nicht, aber das liegt nur daran, dass sie sich aus diversen ernsthaft heiklen Situationen „immer psychologisch rausgehauen hat“. Zum Beispiel bei dem Typen in einer ­felsigen Bucht von St. Tropez, der schon über ihr lag, dem sie dann aber mit Händen und Füßen bedeutete, dass man doch lieber an einen Ort mit weicherem Untergrund wechseln solle. Der Mann glaubte ihr die Finte, ließ sich von ihr bei der Hand nehmen – und sie rannte, einmal oben angekommen, schreiend weg.

Weil sowas funktionieren kann, aber nicht muss, lernen wir jetzt Würgen, Treten und Schlagen. Zum Beispiel Ohr­feigen. Ohrfeigen gelten gemeinhin als ­lächerlich, man kennt sie aus Filmen und hasst sie als halbherzigen Versuch zickiger Frauen, Männern mitzuteilen, dass gerade irgendwas irgendwie nicht so ganz okay war. Eine Ohrfeige à la Ako aber ist ein echter Hammer. Wenn man die Kraft aus dem ganzen Körper holt und den ganzen Arm gegen den Kopf des Anzugreifenden donnert, dann „haut das auch einen kräf­tigen Mann aus den Schuhen“, sagt Ako.

Pamm!!! Es knallt befriedigend laut, wenn unsere Hand in einer der Bratzen aufschlägt, die Ako, Tina oder Wulf uns auf Gesichtshöhe hinhalten. Und mit allen von uns passiert jetzt etwas. Egal, ob wir lernen, unseren Ellbogen unters Kinn des Kontrahenten zu hämmern; ob wir dem Gummi-Dummy mit dem Handballen unter die Nase hauen; ob wir Ako oder Wulf in die Eier treten (natürlich simuliert durch eine Bratze) – jede von uns explodiert. Wir sind, im besten Sinne, enthemmt.

„Du-Scheiß-Wich-Ser!“ brüllt Alex den roten Gummimann an, eine Silbe bei jedem Tritt. Alex hat früher mal Ballett ­gemacht, kommt mit ihren Beinen sehr hoch und trifft den Dummy mit ihrem Fuß ­jedesmal mitten in den Bauch. Angelika kracht ihre Fäuste so fest in die Bratzen, dass Ako sie zum Boxtraining schicken will. „Du kannst 100 Prozent abrufen“, sagt er beeindruckt. Anett rammt mit ihrem Wutblick, an den wir uns inzwischen gewöhnt haben, ihr Knie in Akos Bauch. Und auch Alice, die bei ihren ersten Schlagversuchen etwas zaghaft wirkte, donnert inzwischen gewaltig in den Dummy.

Meldet sich bei einem Schlag oder Tritt eines unserer Zipperlein, lässt Ako das nicht gelten. „Heulen erst nach sechs“, sagt er. Und: „Der Schmerz vergeht, euer Stolz bleibt“.

Stolz sind wir in der Tat am Ende dieses ersten Tages. Mehr noch, es herrscht eine gewisse Euphorie. „Es ist krass, dass man so viel Energie entwickeln kann!“, schwärmt Angelika. „Und es ist gut zu wissen, wie fest ich treten kann, wenn ich treten muss.“ Anett ist „überrascht von mir selber. Ich habe nicht geahnt, dass ich so viel Wut in mir habe“, sagt sie. „Aber es ist gut zu wissen, dass ich diese Wut in Kraft umsetzen kann.“ Alice traut sich „jetzt viel mehr zu!“ Auch Bettina hat eine unbekannte Seite an sich entdeckt: „Ich wusste gar nicht, dass Zuschlagen so viel Spaß macht.“

An Tag zwei gibt es dazu wieder reichlich Gelegenheit. Nachdem wir die Schläge und Tritte von Tag eins im Schnelldurchlauf wiederholt haben, lautet nun die Aufgabe: „Ihr werdet jetzt frei kämpfen. Und ihr schaltet uns aus.“ Ähm, okay.

Heulen erst nach sechs. Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt.

Ako und Wulf ziehen sich Schutzkleidung an: Helm, Schienbeinschoner, Suspensorium. Es ist was anderes, ob ein Mann von Akos oder Wulfs Ausmaßen eine Bratze hält, in die man treten soll – oder ob dieser Mann gröhlend und rempelnd auf einen zukommt. Jetzt gilt es, schnell zu sein. „Im Zweifel müsst ihr als erste zuschlagen“, hat Ako gesagt. Das klappt ziemlich gut. „Was willst du Mistkerl!?“ schreit Alice, die überhaupt sehr gut schreien kann, und setzt einen ersten Treffer auf Akos rechte Kopfseite. Bettina knallt blitzartig beide Fäuste an Akos Hals. Und als Wulf fragt: „Hömma, weißt du, wo die Linie 12 fä...?“ unterbricht Alex die Anmache mit einem beherzten Tritt in Wulfs Schritt.

Was noch nicht so gut klappt, ist die Umsetzung des zweiten Teils der Ansage: Nur so lange schlagen und treten, bis der Gegner am Boden liegt und wir weglaufen und an der dicken blauen Matte an der Wand abschlagen können. Einige von uns möchten aber nicht weglaufen. Sie möchten weitermachen. „Du-fasst-keine-Frau-mehr-an!!!“ brüllt Anett und trümmert weiter auf Akos Rücken ein, statt das Weite zu suchen. Auch Bettina betrachtet sichtlich zufrieden ihr Werk, sprich: den am Boden liegenden Wulf, während wir Umstehenden „Weg! Weg! Weg!“ rufen. Auch Alex findet den Weg zur Matte mit Verspätung. In den Pausen hört man sie jetzt öfter „Eye of the Tiger“ singen.

Ein bisschen beunruhigt sie uns schon, diese Enthemmtheit. Andererseits … „Ich hatte natürlich in brenzligen Situationen immer mal die Fantasie, wie es denn wäre, wenn man jetzt zuschlagen könnte“, erklärt Bettina. „Man will einfach sicher gehen, dass der Typ tatsächlich liegenbleibt“, meint Alex. Ich glaube: Hier brechen sich Erfahrungen aus Jahrzehnten Bahn, in denen frau aus Vorsicht die Straßenseite gewechselt oder nach einer unverschämten Anmache aus Angst lieber die Klappe gehalten hat.

Fazit: Wir alle hätten nie gedacht, dass wir so viel Kraft haben. „Es ist wie ein Weckruf an Kopf und Körper“, sagt Anett. „Ich dachte vorher, ich hätte viel mehr Grenzen und Hemmungen. Es ist irgendwie erschreckend, aber vor allem befreiend, diese neue Seite an sich zu entdecken“, findet Angelika. Alice ist zwar „noch nicht ganz überzeugt für den Ernstfall. Aber für mich war es überraschend zu sehen, dass ich echt zuschlagen kann“. Alex, die schon öfter in der Bahn oder auf dem Bürgersteig bei Pöbeleien oder Schlägereien eingegriffen hat, sagt: „Ich habe jetzt das Gefühl, ich habe ein paar Techniken, damit ich heil aus der Sache rauskomme.“ Dieses Gefühl haben wir alle. Die nächste brenzlige Situation meistern wir. Allerdings erst, wenn der Muskelkater vorbei ist.         

Chantal Louis

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