Sexuelle Belästigung: Immer nur lächeln?

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Bei der UNO fühlen sich 49% aller weiblichen Angestellten "am Arbeitsplatz sexuell belästigt". Bei der amerikanischen Marine sind es 81 %, unter den Leserinnen der Zeitschrift Redbook sogar 89%! Sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz - das ist ein Problem, daß uns alle angeht. Jetzt, Ende Oktober, trafen sich in New York 200 Frauen und gründeten eine Organisation, die alle Frauen, die sich zur Wehr setzen, mit Rat, Tat und Geld unterstützen will. 200.000 Dollar sind schon zusammen gekommem. Wie die Amerikanerinnen sich zur Wehr setzen und warum sie Erfolg dabei haben, schildert hier nach gründlichen Recherchen in den USA die Wiener Soziologin Cheryl Benard.

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Ihre Kolleginnen und Angestellten in erster Linie als Geishas zu betrachten, wird dem "Mann am Arbeitsplatz" von verschiedenster Seite nahegelegt. Büromaschinen werben mit aufreizend lächelnden Sekretärinnen, die sich im Schlitzrock über das Xeroxgerät drapieren.
Fluggesellschaften erwecken in ihrer Werbung den Anschein, daß die Stewardessen gleich mit dem Flugticket mitgekauft werden können. Die Krankenschwester, die von Oberarzt und Patienten gleichermaßen bedrängt wird, ist eine beliebte Figur in Witzblättern. Und Schauspielerinnen, weiß die öffentliche (Männer)Meinung, erschlafen sich ihre Rolle. - Dieses Bild der stets verfügbaren Weiblichkeit, gekoppelt mit tiefsitzenden Aggressionen und Konkurrenzdenken der Männer gegenüber Frauen im Berufsleben, macht den Arbeitsalltag für viele Frauen zum Nahkampfplatz.
Auch in der Arbeitswelt entscheiden Männer über die Einstellung und den Karriereverlauf von Frauen und über ihren Erfolg in Studium und Beruf. Gefügigkeit, Freundlichkeit und sexuelles Entgegenkommen sind Eigenschaften, die Männer von Frauen vor allem erwarten. Marx und Engels schilderten noch das Dilemma von Fabrikmädchen, den Zugriffen der Vorgesetzten ausgeliefert, aber seither hat sich auch die "Literatur der Arbeitswelt" nicht mehr mit diesem Phänomen beschäftigt. Und das ist auch nicht überraschend.
Die geringe öffentliche Aufmerksamkeit, die diesem Problem zuteil wird, illustriert den geradezu klassischen Charakter dieser Art von Unterdrückung, denn ebenso wie bei Gewalt in der Ehe handelt es sich dabei weniger um ein wirklich sexuelles Verhalten, als eher um eine Demonstration und Ausübung von Macht. Die Frauen, denen dieses Verhalten entgegengebracht wird, befinden sich in einem Verhältnis der finanziellen Abhängigkeit - die wenigsten von uns können ungestraft von einem Tag auf den nächsten den Arbeitsplatz wechseln.
Das Verhalten wird, wenn es nicht ohnehin von einem Vorgesetzten ausgeht, dann von diesem meist zumindest stillschweigend toleriert und damit gebilligt. Die Gefährdung der "harmonischen" Arbeitssituation (wobei "harmonisch" oft genug bedeutet, dass sich die Frauen alle Launen und Verstöße schweigend und am besten lächelnd gefallenlassen) wird nicht dem männlichen Täter zur Last gelegt, sondern der Frau, die sich beschwert. Oft ist es bequemer, die Frau zu entlassen, als die Sachlage zu recherchieren und gegen den jeweiligen Mann vorzugehen.
Und das gilt um so mehr, als der Mann meist mit der ungebrochenen solidarischen Unterstützung anderer Männer rechnen kann. An den Witzeleien, Anspielungen und Beleidigungen haben die sich nicht selten selbst beteiligt. Wie viele Frauen sind mit solchen Problemen konfrontiert? Wie bei den anderen Formen der Gewalttätigkeit ist auch hier die Dunkelziffer groß, gibt es auch hier keine verläßlichen Zahlen.
Die (nicht-feministische) amerikanische Frauenzeitschrift Redbook erfuhr in einer Befragung, daß 88% der Leserinnen selbst solche Erfahrungen machen mußten. Ein Marineoffizier, durch diese überraschenden Zahlen neugierig geworden, gab denselben Fragebogen an die weiblichen Angehörigen seines Befehlsgebiets weiter: 81% berichteten über derartige Erlebnisse.
Durch Versuche einiger Frauen und Frauenorganisationen, gegen dieses Problem mit Prozessen gemeinsam vorzugehen (denn die Isolierung des Opfers ist auch hier wichtige Taktik), ist in den USA mehr Material zutagegekommen. Die beginnenden Gerichtsprozesse erzwingen eine öffentliche Diskussion und geben eine Ahnung über die immense Verbreitung dieser Form der Einschüchterung der Frauen:

  • Sexuelle Belästigungen verweisen die Frauen immer wieder in ihre sexualisierte Rolle in der Gesellschaft. Dabei hat die Logik der patriarchalen Ordnung selbst von der Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft Vorrang - nicht die größte Effizienz aller Mitarbeiter, sondern die Behauptung männlicher Rechte über Frauen erfährt die Bestätigung auch des Arbeitgebers.
  • Sexuelle Belästigungen sorgen dafür, daß Frauen sich auch am Arbeitsplatz - wie auf der Straße, in der Politik und in der Öffentlichkeit allgemein - unsicher und ausgesetzt fühlen. Die Möglichkeit unangenehmer, bedrohlicher Zwischenfälle ist permanent gegeben, die mögliche Konkurrenz der Frauen gebrochen. Was sie sagen, was sie anziehen, wie sie reden, bei welchen Gesprächen sie sich beteiligen und mit welchem Grad kollegialer Freundlichkeit – das alles muß überlegt werden. Männer hingegen konzentrieren sich auf die Erfordernisse des Arbeitsplatzes und benutzen Frauen zur Entspannung, zur Abreaktion von agressiven Gefühlen und als permanent vorhandenen "Freizeitbereich", auch wenn diese Frauen Kolleginnen sind.
  • Sexuelle Belästigungen versetzen Frauen in eine Situation, in der sie nur verlieren können. Verhalten sie sich freundlich, riskieren sie eine Fortsetzung und Steigerung der Belästigungen. Sind sie abweisend, können sie mit Racheakten des jeweiligen Mannes und seiner Freunde rechnen. Diese Racheakte werden sich dabei nicht selten auch auf der sexuellen Ebene bewegen: aus den Annäherungsversuchen werden Beleidigungen, Beschimpfungen und Diffamierungen werden. Die Legende vom Hochschlafen entbehrt übrigens der Berechtigung, in den meisten Fällen ist ein Verhältnis mit dem Chef nicht karrierefördernd sondern verhängnisvoll, und führt längerfristig eher zur Entlassung als zum Aufstieg.
  • Die potentielle Gefährdung durch die "Männergruppe" gilt als legitimer Grund, Frauen den Zugang zu bestimmten Posten, Veranstaltungen und Funktionen zu verwehren. Eine hochqualifizierte Mitarbeiterin eines multinationalen Konzerns beschwerte sich bei ihrem Vorgesetzten darüber, daß sie nie zu Kongressen und Tagungen geschickt wurde, während die weniger qualifizierten Männer stets in der Welt umherreisten und berufsmäßig große Vorteile genossen durch die daraus resultierenden Kontakte und Erfahrungen.

"Schauen Sie", sagte er daraufhin vertraulich, "das wissen Sie doch selbst, diese Tagungen sind ja nicht nur fürs Geschäftliche, die Männer wollen sich auch ein bißchen unterhalten. Das würde Ihnen bestimmt nicht gefallen, ich kenne das, die Gespräche sind nichts für Sie, und wenn die anderen sich Ihretwegen zurückhalten müssen, ist das doch auch nichts richtiges. Außerdem wird viel getrunken, da würde ich an Ihrer Stelle nicht gern dabei sein". Daß das potentielle Opfer männlichen Fehlverhaltens eben weggesperrt, benachteiligt, bestraft wird, ist ein bekanntes Phänomen und hat auch in der Berufswelt durchaus seine Gültigkeit.
Wie wenig echte "Leidenschaft" hinter den Betätigungen sexuell-aggressiver Mitarbeiter steckt, zeigt deutlich der kürzlich durch die Presse gegangene Fall einer Frau in Detroit, die als erste Frau dieser Stadt in die Feuerwehr aufgenommen wurde. Sie berichtete von Belästigungen, Zudringlichkeiten und Witzen, die sich sich gefallen lassen mußte. Dabei reichten die "Zudringlichkeiten" und "Belästigungen" bis zum Mordversuch.
Sie erzählte: "Es gab viel Scherze über Frauen und ,Feuerfangen' usw. Die Männer haben alle so getan, als sei das alles nur als Humor aufzufassen, aber lustig war es wirklich nicht. Einmal haben sie mir mitten in einem Rauchfeuer die Schutzmaske heruntergerissen. Einmal hat mir jemand den Sauerstoffhahn abgedreht. Sie wollten nicht, daß ich die vier Monate Bewährungszeit schaffe."
Es ist auch nicht überraschend, daß gerade in einem anderen traditionellen Männerberuf die Belästigungen neu hinzukommender Frauen ein hohes Ausmaß erreichen: im US-Militär. Die Bedrohungen und Belästigungen weiblicher Soldaten hatten einen solchen Grad erreicht, daß das US-Parlament sich schließlich im Februar dieses Jahres damit beschäftigen mußte. Die Abgeordneten hörten die Aussagen von Betroffenen und von Experten, unter ihnen mehrere hochrangige Offiziere, die die Verbreitung des Problems bestätigten.
Das Problem sexueller Belästigungen von Frauen im Militär war im Winter 1979 erstmals an die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gelangt, als Zeitungen über eine Reihe von Zwischenfällen berichteten. In einigen Fällen waren weibliche Soldaten von Offizieren und anderen Soldaten bedrängt und mit Vergewaltigung bedroht worden. In einem anderen Fall fuhr eine weibliche Angehörige der Militärpolizei in die Warnlichter eines Militärflughafens, als ihr männlicher Mitfahrer sie ohne Warnung überfiel.
Der Militärapparat, um Effizienz bemüht, beschäftigt sich seit einigen Monaten mit der Erarbeitung von Gegenmaßnahmen, zu denen die Einrichtung einer auf diese Fälle spezialisierten Beschwerdestelle gehört. Für die Mehrzahl der Männer im Militär ist dieses Problem allerdings weniger ein bedenklicher Beweis für Sexismus als ein weiteres Argument gegen die Tauglichkeit von Frauen im Militärdienst. (Tatsächlich scheinen die "Frontlinien" für Frauen anders zu verlaufen, da sie nicht nur gegen den Feind, sondern vor allem gegen die Aggressivitäten ihrer männlichen Kollegen kämpfen müssen!)
In den "typischen Frauenberufen" ist die Aggression nicht geringer, aber sie geht von anderen Voraussetzungen aus. Sekretärinnen, Krankenschwestern und Telefonistinnen befinden sich in "erlaubten" Berufen, sie haben Männern zuzuarbeiten. Uneinigkeit besteht nur über die Grenzen ihrer Dienstbarkeit. Persönliche Dienste und Fürsorge, allumfassende Sorge um das seelische und leibliche Wohl des Chefs, gehören zum weiblichen Aufgabenbereich.
Und die Sexualität? Witzblätter geben Auskunft. Dabei ist entweder die Frau selbst Objekt des Witzes - als die überdimensional proportionierte aber dümmliche Verkäuferin, Sekretärin, Krankenschwester, die aus lauter Freundlichkeit und Hirnlosigkeit von Männern ausgenutzt wird – oder der Mann, der das Pech hat, statt dessen nur ein unbrauchbares, unattraktives und unkooperatives Exemplar abbekommen zu haben.
Die sogenannten Frauenberufe sind nicht nur Berufszweige, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, und die infolgedessen weniger Status, Lohn und Chancen bringen, sie sind auch Berufe, in denen Frauen als Frauen arbeiten. Die Eigenschaft der Weiblichkeit ist nicht nur das Merkmal der sozialen Unterlegenheit, das ihre Trägerinnen zu untergeordneten Positionen bestimmt, sondern definiert auch die Erwartungen der vorgesetzten Männer.
Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung, die der Soziologe Levinson dazu plante, illustriert das. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewarben sich telefonisch für jeweils "verkehrte" Stellenangebote, die Frauen für Mechaniker- und Technikerposten, die Männer als Büroangestellte. In den USA ist es gesetzlich untersagt, Posten als ausdrücklich auf männliche oder weibliche Mitarbeiter beschränkt zu definieren, und so mußten die Firmen anders argumentieren. Während man den "richtig-geschlechtlichen" Bewerbern immer die Vorzüge des angebotenen Postens pries, versuchte man die "falsch-geschlechtlichen" mit sachlichen Argumenten abzuschrecken. Den Frauen erzählte man dabei, daß die Arbeit körperlich zu schwer und die Stunden unregelmäßig seien.
Nicht selten bot man ihnen auch einen geringer bezahlten anderen Posten in derselben Firma an. Den Männern sagte man, dass die Arbeit langweilig sei und unsicher, keine Aufstiegschancen böte. Interessant für uns ist aber vor allem, daß Männer, die sich für Frauenarbeit bewarben, mehr Ablehnung erfuhren als Frauen, die einen Männerposten wollten. Die Forscher vermuteten, daß das Geschlecht, die Sexualität, in Frauenberufen ein wichtiger "implizierter Bestandteil" ist.
So vertraute man männlichen Bewerbern für Sekretariats- oder Empfangsposten schließlich, nachdem sie ihre eminenten Qualifikationen für diese Arbeit aufgezählt hatten, an, daß man nicht "irgendeine Telefonistin will, sondern auch ein hübsches Gesicht, um das Büroklima erfreulicher zu machen", oder eine attraktive Sekretärin, um den Kunden zu imponieren und die Vorgesetzten bei guter Laune zu halten, etc. Wenn Frauen demnach explizit wegen ihrer sexuellen Attraktivität eingestellt werden, dann ist es kaum überraschend, wenn es zu Übergriffen kommt. Wegen der Verknüpfung von Sexualität mit Frauenarbeit wurden Männer, die sich für Frauenstellen bewarben, mehrmals gefragt, ob sie vielleicht homosexuell seien.

Frauen in typischen "Männerberufen" erleben Abweisung und den organisierten Versuch, sie durch Aggressionen wegzudrängen und auf ihren rechtmäßigen Platz zurückzuverweisen. Sybille, eine 22-jährige Chemielaborantin, erzählt:
"Ich war die einzige Frau in einer qualifizierten Stellung, die anderen waren Sekretärinnen und Putzfrauen. Meine Einstellung wurde mit alles anderem als Freude aufgenommen. Man hätte meinen können, ich hätte mich in einen Männerbund eingeschlichen und alles kaputtgemacht. Sie waren richtig trotzig. Wir saßen zu fünft in einem Labor, es gab für mich also kein Entkommen.
Schon am ersten Arbeitstag ging es los. Gesprächsthema: die Brüste der Chefgattinnen, ob und wie sie wohl mit ihren Männern schlafen, und Vermutungen über mein eigenes Privatleben. Alles in einem Blödelton, leicht aggressiv, und deutlich an mich adressiert, obwohl sie miteinander sprachen und mich scheinbar ignorierten. Und so ging es weiter, Tag für Tag. Als eine der älteren Sekretärinnen wegen einer Unterleibsoperation, einer Hysterektomie, ins Spital mußte, war das tagelang ein Thema für Witze.
Ich konnte erst gar nicht glauben, daß Wissenschaftler so idiotisch sein können, von brutal und ordinär ganz zu schweigen…  Ich war damals 21 und wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Sie waren alle viel älter. Ich war darauf nicht vorbereitet. Und der Chef war zwar nett, aber ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, daß ich mit dem Problem zu ihm gehen konnte. Was hätte er auch machen sollen? Es hat mich nervös gemacht, und sehr verärgert."
Bei Frauen in "Frauenberufen" liegt es etwas anders. Da ist man zwar "richtig", muß dafür aber auch das entsprechende Verhalten an den Tag legen. In ihrem Buch "Sexuelle Belästigung arbeitender Frauen" spricht Catharine MacKinnon von "Lächelberufen", und tatsächlich gehören Verbindlichkeit, Duldsamkeit für die schlechten Launen von Kunden, Patienten, Fluggästen, Vorgesetzten und gutes Aussehen zu den Merkmalen der typischen Frauenberufe.
Sich sexuell belästigen zu lassen, gehört nach Meinung vieler Männer auch zu den Berufspflichten von Frauen. Dieser traurige Tatbestand wird von allen Seiten bestätigt. In einer UNO-Umfrage zum Beispiel sagten 49% der dort tätigen befragten Frauen, sexuelle Belästigung sei für sie gegenwärtig ein Problem am Arbeitsplatz!
In den USA versuchen Frauen seit einiger Zeit, gesetzlich und gerichtlich gegen dieses Problem vorzugehen. Dabei stießen sie auf eine ganze Reihe formaler Barrieren. Angefangen bei dem Problem, daß dieser Verstoß in keine klare gesetzliche Kategorie fällt. Um zum Beispiel unter den amerikanischen Anti-Diskriminierungsparagraphen zu fallen, müßte man beweisen: daß der Verstoß nur gegen das eine, nicht aber gegen das andere Geschlecht verübt werden kann (können Männer unter Druck gesetzt werden, ihre Stellung mit sexuellen Leistungen zu erkaufen oder zu behalten? Manche Richter meinten: Theoretisch ja.); daß die Absicht dahinter steckte, die Frau nicht nur persönlich, sondern auch beruflich zu schädigen, und daß der Arbeitgeber über die Vorgänge informiert war.
Hinter den langwierigen formellen Streitereien, stehen natürlich viel prinzipiellere Fragen, schreibt MacKinnon, denn reduzieren lasse sich dieser ganze Konfliktbereich letztlich auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Geschlecht und Macht.
Die Konsequenzen von Verurteilungen waren abzusehen. Manche Richter sagten deutlich, daß sie vor allem deshalb die Klage zurückwiesen, weil im Fall einer Verurteilung mit ganzen Lawinen von Beschwerden zu rechnen sei. Die Frauen, die, beginnend im Jahr 1969, trotzdem den juristischen Weg einschlugen, hatten in erster Instanz nur Mißerfolge.
In ihren Begründungen sprachen die Richter davon, daß es sich um "Verstöße von Einzelpersonen, aber nicht um die qualitative Situation am Arbeitsplatz" handle (und es deshalb nicht Diskriminierung sei), genauso gut könne umgekehrt ein Mann von einer Arbeitgeberin bedrängt werden. Und, in einer besonders spitzfindigen Argumentation hieß es, daß es sich nicht um Diskriminierung auf der Grundlage von Geschlechtszugehörigkeit handelte. (Der Arbeitgeber hatte die Frau nicht entlassen, weil sie eine Frau war, sondern weil sie sich geweigert hatte, mit ihm zu schlafen ...).
Diesen gängigen Gesetzesverdrehungen wurde schließlich ein Ende gesetzt, als ein gewisser Richter Richey in einem Präzedenzurteil argumentierte, "es genügt, daß eine diskriminierende Handlung in der Praxis meist nur in eine Richtung erfahren wird, auch wenn sie im Prinzip beide Geschlechter treffen könnte." Seither sehen sich die US-Gerichte zunehmend mit Fällen dieser Art konfrontiert, auch wenn die Interpretationen von Diskriminierung noch sehr unterschielich und die Urteile sehr umstritten sind.
Im Fall Mundford gegen Barnes und Co. entschied der Richter für die Klägerin, und dieser Fall ist vor allem durch seinen typischen Verlauf interessant. Frau Munford wurde als Assistentin eines Managers der Firma Barnes und Co. angestellt. Schon am zweiten Tag ihrer Arbeit machte er ihr einen "eindeutigen Antrag, den sie ablehnte". Er wiederholte täglich sein Anliegen, "durch explizite Aussagen und durch sexuelle Witzblätter, die er ihr auf den Schreibtisch legte". Außerdem "deutete er an, daß ihr Verbleib in dieser Stellung von ihrer Kooperation abhing".
Als sie schließlich drohte, sich beim Vorgesetzten zu beschweren, erwiderte er, daß sie dann erst recht ihren Posten verlieren würde, da dieser Vorgesetzte sein Freund sei. Schließlich verlangte er von ihr, daß sie "ihn auf einer Geschäftsreise begleite, mit ihm im selben Hotelzimmer übernachte und sexuelle Beziehungen mit ihm habe". Sie weigerte sich und wurde entlassen.
Der Richter entschied in diesem Fall für Frau Munford. Es ist die Aufgabe des Arbeitgebers, hieß es in der Begründung, Beschwerden über sexuelle Belästigung nachzugehen und die Verantwortlichen zu finden. Der Richter sagte: "Den Beschwerden nicht nachgehen bedeutet, durch dieses Versäumnis stillschweigend die Diskriminierung zu fördern. Denn der Verzicht auf Sanktionen durch die Vorgesetzten unterstützt das Verhalten."
Die spektakulärsten Urteile jedoch betrafen nicht die Privatwirtschaft, sondern das US-Militär. In einer klar nach Autorität strukturierten Institution kann die befehlshabende Macht - wenn sie sich dazu entscheidet - direkt gegen Vergehen dieser Art vorgehen. Und in den USA hat das Militär eine massive Kampagne gestartet, um Ruhe und Ordnung in den Kommandoalltag zu bringen.
In einer Serie von aufsehenerregenden Urteilen wurden männliche Unruhestifter in Musterprozessen scharf bestraft. Im ersten Prozeß dieser Art, der die in der BRD stationierten US-Truppen betraf, wurde ein 20-jähriger Soldat kürzlich für schuldig befunden, eine Kollegin sexuell belästigt zu haben. Er bekam eine Strafe von 30 Tagen Arrest und 500 Dollar Geldstrafe dafür, die Frau "mit obszönen und beleidigenden Worten belästigt zu haben". Und mehrere seiner Kommilitonen warten noch auf ähnliche Prozesse.
In vielen Kasernen wurden darüber hinaus Beschwerdestellen für die betroffenen Frauen eingerichtet und das Militär hat eine Serie von "Anti-Sexismus-Kursen" begründet, an denen alle Soldaten teilnehmen müssen, um sich von Psychologen gegen ihre Vorurteile schulen zu lassen. Zähneknirschend und auf Anweisung der Regierung haben die Generale sich mit der Anwesenheit von Frauen im Militär abgefunden, und jetzt wollen sie wenigstens keine Zwischenfälle.
Die Absicht ist sicherlich nicht emanzipatorisch. Andererseits kann es nicht Aufgabe der Frauen sein, mildtätig Verständnis für die armen Täter zu fordern, die ihnen seit Jahrzehnten den Alltag erschweren und die Chancen nach Kräften blockieren.
In Europa ist es, trotz der Präzedenzfällen aus Übersee, nach wie vor sehr schwierig, ein Forum für die Diskussion dieses Problems zu finden. Selbst wenn juristisch eine Basis dagegen geschaffen ist, bleibt es für Frauen schwierig, sich gegen Belästigungen am Arbeitsplatz zu wehren.
Oft sind die Belästigungen schwer nachweisbar. Tonfall, Gesten, unterschwellige Beleidigungen und Andeutungen sind kaum zu vermitteln und noch wenige zu beweisen. Oft zögern andere Mitarbeiter, als Zeugen aufzutreten, und wollen "lieber nichts mit der Angelegenheit zu tun" haben. Auch Vorgesetzte, die an sich verständnisvoll sind, fühlen sich durch Beschwerden dieser Art peinlich berührt. Es scheint einfacher, die Frau zu entfernen, die sich beschwert, als reiner tiefverwurzelten sozialen Ungerechtigkeit nachzugehen.
Für Frauen besteht also die einzige wirkliche Chance darin, zusammenzuhalten und organisiert zu handeln. In den seltensten Fällen ist nur eine einzige Frau das Opfer dieses Problems. Die verantwortlichen Männer benehmen sich in der Regel mehreren Frauen gegenüber in derselben Weise, und eine gemeinsame Beschwerde ist viel glaubwürdiger.
Die gerichtliche und gesetzliche Beschäftigung mit dem Problem ist zwar mühselig, aber trotzdem wichtig. Denn Männer nehmen sich hauptsächlich deshalb so viele Freiheiten mit Kolleginnen und Angestellten, weil sie eben mit keinen Sanktionen rechnen müssen. Wie bei Gewalt in der Ehe wird das Sich-Wehren nicht nur legitimer Selbstschutz sein.

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