Und das Schmerzensgeld für die Opfer?

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Am Anfang stand eine Gesetzeslücke, die Leben kostete, meist Frauenleben: Bis 1998 mussten Täter, die nach wiederholten Vergewaltigungen, Mordversuchen oder Morden zu Sicherungsverwahrung verurteilt worden waren, automatisch nach zehn Jahren entlassen werden. Egal, ob Gutachter sie weiterhin als gefährlich einstuften oder nicht. In einigen wenigen Fällen, in denen die Täter als besonders rückfallgefährdet galten, machten Gerichte davon eine Ausnahme: Sie verlängerten die Sicherungsverwahrung. 1998 schloss die damalige Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Lücke. Seither kann Sicherungsverwahrung unbegrenzt verhängt werden. Jetzt hat das Landgericht Karlsruhe vier Sexualstraftätern, die vor Zypries’ Gesetzesreform verurteilt worden waren und deren Sicherungsverwahrung wegen andauernder Rückfallgefahr verlängert worden war, Entschädigungen zugesprochen. Die Kollegen der progressiven Presse jubeln – leider oft ohne Sachkenntnis.

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So drischt Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung auf die „schlampig populistischen Wegsperr-Gesetze der Regierung Schröder“ ein. Gemeint ist offenbar die Reform der Justizministerin, die die unbefristete Sicherungsverwahrung einführte, um zu verhindern, dass Täter weiterhin ohne jede weitere Überprüfung ihrer Gefährlichkeit nach zehn Jahren entlassen wurden. Zypries ermöglichte außerdem die nachträgliche Sicherungsverwahrung: Stellte sich die besondere und dauerhafte Gefährlichkeit eines Täters erst während der Haft heraus, zum Beispiel während einer Therapie, konnte Sicherungsverwahrung auch dann noch verhängt werden.
Eine Regelung, die die Schweiz 2007 nach der sogenannten „High-Risk-Offender“-Studie einführte. „Nach der damaligen Rechtslage mussten wir acht Täter, die als unbehandelbar und hochgefährlich eingestuft wurden, entlassen“, berichtet Frank Urbaniok, Zürcher Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes im Amt für Justizvollzug, im EMMA-Interview. Alle Täter wurden rückfällig. „24 weitere Opfer waren der Preis. Diese Studie war dann mit ausschlaggebend dafür, dass im Jahr 2007 die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt wurde.“ In Deutschland will die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die nachträgliche Sicherungsverwahrung wieder abschaffen.
Christian Bommarius vom Kölner Stadtanzeiger erklärt Gerhard Schröders Ausspruch „Wegschließen – und zwar für immer“ gar zum „Klospruch“. Der Satz des Ex-Kanzlers mag populistisch gewesen sein – in der Sache aber geben ihm Experten wie Frank Urbaniok Recht: „Von Heilung kann man in den meisten Fällen nicht sprechen.“ Bommarius aber erklärt die Täter gar zu Opfern, nämlich zu „Opfern der verfassungswidrigen Sicherungsverwahrung“, die „vom Staat jahrelang unzulässig festgehalten wurden“. Das ist schlicht falsch. Noch 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht die Sicherungsverwahrung, auch die verlängerte, für verfassungskonform erklärt. Denn die Sicherungsverwahrung sei keine Strafe, sondern eine „Maßnahme zur Besserung und Sicherung“.
Auch 2011 kippte Karlsruhe in einem zweiten Urteil keineswegs die Sicherungsverwahrung als solche. Die RichterInnen erklärten, als Reaktion auf das Urteil des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs, lediglich, dass die Haftbedingungen sich klar von denen einer Gefängnisstrafe unterscheiden müssten. Die nach wie vor gefährlichen Täter wären also auch nach der neuen Rechtslage durchaus verwahrt geblieben – nur etwas wohnlicher.

Und bei dieser Gelegenheit: Was ist eigentlich mit den Opfern dieser „Opfer“? Die leiden lebenslänglich an den körperlichen und seelischen Schäden, die die Täter, die nun Schadenersatz erhalten, ihnen zugefügt haben. Das Opferentschädigungsgesetz sieht aber keine Entschädigungszahlungen oder ein Schmerzensgeld vor. Sollte einem Vergewaltigungs-Opfer Schmerzensgeld von einem Täter zugesprochen bekommen, liegt der Betrag laut Schmerzensgeld-Tabelle bei maximal 25.000 Euro. Die vier inzwischen entlassenen Täter bekommen zwischen 49.000 und 73.000 Euro.

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