Alice Schwarzer schreibt

Skandal: Spekulationen um ein Nacktfoto

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Der Spiegel veröffentlichte das skanda­löse Cover auf seiner Seite für Gemischtes und plauderte über die Retuschearbeiten, die der Grafiker des Nouvel Observateur vorgenommen habe, um die nackte 41-jährige Beauvoir von hinten model-liker zu gestalten. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schrieb Otto Kallscheuer, das Foto sei in dem „luxuriösen Badezimmer eines Chicagoer Hotels“ aufgenommen worden und Beauvoir habe über den Schnappschuss „gelacht“. In der Zeit schließlich ging Jens Jessen so weit zu behaupten, Beauvoir selber habe einen „befreundeten Fotografen“ gebeten, den vom Nouvel Obs „galant retuschierten dezenten Rü­cken­akt“ aufzunehmen. Und ihr, Beauvoir, wäre sicherlich „der Tadel fremd gewesen“, den eine „empörte feministische Debatte“ über das Cover ausgelöst habe.

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Nun, auch in diesem Fall ist die Realität eine ganz andere als die mediale Darstellung. Erstens wurde das Foto in dem (recht schäbigen) kleinen Badezimmer vom Freund eines Freundes des dama­ligen Liebhabers von Beauvoir, Nelson Algren, aufgenommen. Zweitens ist es sehr fragwürdig, ob Simone de Beauvoir überhaupt gemerkt hat, wie sie fotografiert wurde – darum gebeten hat sie in keinem Fall. Drittens gab es in Frankreich keine „empörte feministische Debatte“, sondern haben sich im Internet vor allem Männer darüber aufgeregt. Eine „Beleidigung“ und „Grobheit“ ist die Mani­pulation und Veröffentlichung des Fotos für Blogger Philippe, ein „Übergriff, der im Gegensatz zu ihrer ganzen Philosophie steht“, ist diese „Prostituierung“ für Alexe.

Zum ersten Mal aufgetaucht ist das Nacktfoto von Beauvoir in der englischen Originalausgabe des gerade erschienenen Buches von Hazel Rowley, „Tête-à-Tête“ (der deutsche Verlag hat in der Übersetzung auf das Foto verzichtet). Rowley hat das bisher unbekannte Foto – das sich nicht im Besitz von Beauvoir befand – bei dem Fotografen Art Shay aufgetrieben. Shay war ein Freund von Algren, und er war es, der für Beauvoir die Wohnung mit rarem Bad aufgetan hatte.

Autorin Rowley kommentiert ihren Fund mit der Information, Art Shay habe zu dem Foto notiert: „Sie hatte ihr Bad genom­men und stand vor dem Spiegel. Da hatte ich den spontanen Impuls, sie zu foto­grafieren. Sie wusste es, denn sie hatte den Klick meiner Kriegs-Leica Modell F ­gehört. ‚Du Schlingel‘ sagte sie.“ – Soweit die späte Version des Fotografen. Übrigens: Er präzisiert das Modell der Leica, weil gera­de die Leica in der Regel bekannt dafür ist, dass sie völlig geräuschlos auslöst.

Das war im Jahr 1950, in der Zeit also, in der Beauvoir mit Algren die Lust entdeckte. Sollte sie wirklich gemerkt haben, dass sie fotografiert wurde? Warum hätte sie dann nie um dieses Foto gebeten (sie hatte eine gewaltige Fotosammlung von ihrem Leben)? Doch selbst wenn es stimmt, ist es kühn, ausgerechnet Beauvoir zu unterstellen, ihr wäre zur Titel­politik des linksliberalen Nouvel Observateur – der zu deren Lebzeiten Sartre und Beauvoir besonders eng verbunden war, sie jedoch zum hundertsten Geburtstag nackt auf dem Cover bringt – der „Tadel fremd gewesen“.

Ohne Zweifel hätte Beauvoir mit einer scharfen Anmerkung auf einen so billig spekulativen Titel reagiert und benannt, wie verschärft die Frauen im 21. Jahrhundert zum Objekt verkommen sind, wenn sogar ein Intello-Blatt wie der Nouvel Obs eine Simone de Beauvoir im Jahr 2008 mit ihrer bloßen Haut verhökert.

Übrigens: Auch EMMA hatte erwägt, das unretuschierte Originalfoto in der Beauvoir-Jubiläums-Aus­gabe zu veröffentlichen. Nein, keine Sorge, nicht auf dem Cover, aber im Innenteil. Denn wir fanden dieses so sinnliche Foto irgendwie anrührend. Wir haben dann doch darauf verzichtet. Nicht zuletzt, weil wir davon ausgehen mussten, dass Simone de Beauvoir selbst dieses Foto nie gesehen hat. Nun ist es in der Welt.         

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