Sofia Coppola kennt keine Tabus

Artikel teilen

Dass sie sich getraut hat. Einen Film zu machen, der ganz anders ist als die anderen. Die Amerikanerin Sofia Coppola erhielt dafür Golden Globes – und auch den Oscar?

Anzeige

Sofia Coppola spricht nicht gerne, nicht über die Arbeit, nicht über die Liebe, nicht über ihre Lieblingsspeisen. Interviews sind für sie Folter – jede Frage wie ein Fingernagel, der ihr gezogen wird. Sie kann ihren Erfolg gar nicht richtig genießen, weil er sie ständig zwingt, ihre Schüchternheit zu bekämpfen. "Ich will am liebsten gar nicht mehr reden, sondern nur noch lesen und schlafen", sagt sie.
Sofia Coppola teilt nur alle paar Jahre mit, was in ihr vorgeht: Sie dreht dann einen Film. In jedem Charakter und in jeder Szene von "Lost In Translation" stecken Sofias Erfahrungen, Erlebnisse und ihre aktuellen Probleme. Zum Beispiel der von sich selbst besessene Fotograf, der seine junge, hübsche Frau mehr duldet als liebt: Vorbild für diesen Charakter, gespielt von Giovanni Ribisi mit dem Talent eines großen Komikers, war Sofias Ehemann, der Regisseur Spike Jonze. Als sie das Drehbuch schrieb, führte sie eine unglückliche Ehe, und jeder kann sehen, wo die Probleme der Beziehung lagen. Anfang Dezember hat Sofia die Scheidung eingereicht.
Zwei Filme genügten Sofia Coppola, um zu schaffen, was ihr niemand in Hollywood zutraute oder gönnte. Sie trat aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters Francis Ford Coppola und wird als Regisseurin ernst genommen. Ihre Filme sind sozusagen das Gegenprogramm zu den Monumentalwerken aus der Männerwelt, mit denen ihr Vater all die Oscars gewann: Sofia Coppola dreht mit Minibudget Dramen über die kleinen Dinge im Leben, die alles verändern können. Es gibt immer viel zu lachen und viel zu weinen in Sofias Filmen. Dazu erklingt superhippe Popmusik.
Nach "The Virgin Suicides" von 1999 hieß es noch, der Film sei ihr nur zufällig gelungen – Anfängerglück einer privilegierten Tochter. Sie hatte Jeffrey Eugenides’ Roman über fünf Schwestern, die in der amerikanischen Provinz der 1970er Jahre kollektiv Selbstmord begehen, verfilmt. Vater Coppola hatte seine Beziehungen spielen lassen, das Projekt produziert und am Schnittpult assistiert. Sofia Coppola sagte damals: "Natürlich habe ich meinen Vater um Rat gebeten. Er ist schließlich mein Vater."
Töchter berühmter Menschen haben es schwer in Hollywood, wenn sie selber Filme drehen wollen. "Wir sind eine starke Familie, wir halten zusammen. Mit der Hilfe meiner Brüder und meiner Cousins habe ich es geschafft", sagt Sofia Coppola. Als der Film dann doch in die Kinos kam, zerrissen ihn viele Kritiker – heute muss man sagen: zu Unrecht. Danach dauerte es vier Jahre, bis Coppola ihren zweiten Film drehen konnte. Soeben erhielt "Lost in Translation" drei Golden Globes für: bester Film in der Kategorie "Comedy/Musical", bestes Drehbuch und bester männlicher Hauptdarsteller. Der Film ist nominiert für vier Oscars.
Nach ihrem Abitur 1990 fuhr Sofia Coppola zum ersten Mal nach Tokio, um einer Freundin bei einer Modeschau zu helfen. Sie lernte den Chefredakteur eines Magazins kennen, der sie als Fotografin engagierte. In diesen Jahren suchte sie nach einer Idee für ihr Leben. Sie interessierte sich für die Malerei, die Fotografie, die ¬Musik, die Mode, das Filmemachen und war zur Sorge des Vaters auch in all diesen Dingen talentiert. "Das Schlimmste ist, wenn man alles kann", hat er gesagt.
Immer wieder fuhr sie für mehrere Monate nach Tokio. "Ich habe viel gelernt in Japan, Menschen getroffen, die sehr wichtig sind für meine Entwicklung. Ein paar von ihnen spielen nun in meinem Film mit." Irgendwann hatte sie alles ausprobiert und entschied sich dafür, Regisseurin zu werden. "Beim Filmen kann ich all die Dinge tun, für die ich mich interessiere."
Ihre Anweisungen gibt sie im Flüsterton, und sie sagt alles nur einmal. Sofia Coppola ist am Set keine Despotin wie ihr Vater, sondern Managerin und Kumpel. Sie vertraut ihren Mitarbeitern, und die vertrauen ihr. Hauptdarstellerin Scarlett Johansson sagt: "Ich wünschte, alle Regisseure wären so."
Der Charakter von Charlotte, dem Mädchen auf Selbstsuche in Tokio, war für Sofia Coppola einfach. Zur Sinnsuche war schließlich auch sie nach Tokio gefahren. Aber wirklich meisterhaft ist, wie sie den deprimierten Bob geschaffen hat: Es gibt wohl keinen Mann, der nicht auch einen Teil von sich selbst in Bob Harris erkennt. Sofia Coppola sagt: "In Bob steckt genauso viel von mir wie in Charlotte. Die beiden sind sozusagen zwei Hälften meiner Persönlichkeit."
Eigentlich stand schon bei ihrer Geburt 1971 fest, dass Sofia Coppola im Filmgeschäft enden würde. Ihr Vater drehte damals "Der Pate", ihre Mutter arbeitete als Dokumentarfilmerin. Sofia spielte schon im Alter von ein paar Monaten den kleinen Al Corleone in der Wiege. Francis nahm seine Kinder auf Reisen immer mit.
In ihrer Familie ist Sofia die Jüngste und die einzige Tochter, und weil diese Familie italienisch ist, wurde Sofia in ihrer Kindheit von Brüdern, Onkeln und dem Vater beschützt und verwöhnt. Es war eine Kindheit, die sich zwischen den verschiedenen Filmsets der Familienmitglieder abspielte. Hat bei den Coppolas tatsächlich jemand geglaubt, Sofia würde nicht Regisseurin werden?
In Tokio arbeitete Sofia Coppola so, wie sie es am liebsten mag. Unter Zeitdruck und mit ganz wenig Geld, so dass sie ständig gezwungen war zu improvisieren. In nur 27 Tagen musste sie den Film für vier Millionen Dollar abdrehen. Das ist die Hälfte dessen, was Bill Murray normalerweise pro Rolle bekommt. Sie hatten kaum Drehgenehmigungen, denn die sind unbezahlbar in Tokio. "Es war ein unglaubliches Chaos", sagt Coppola. "Doch ich erinnerte mich an meinen Vater. Der steckte schon in schwierigeren Situationen, und er sagt immer: Du musst nur deinem Willen trauen."
Sofia Coppola muss nicht reden, um mitzuteilen, was in ihr vorgeht. Alles über sie ist in ihren Filmen zu sehen.

Weiterlesen
Goldener Löwe für Coppola (EMMAonline, 14.9.2009)

Artikel teilen
 
Zur Startseite