Frauen erobern die Hochschulen

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Hunde und Damen nicht erwünscht!“ schrieb ein Professor zu Zeiten Kaiser Wilhelm II. auf ein Schild und hängte es an die Tür seines Hörsaals. Es galt, sich gegen Gasthörerinnen zu wehren, die seit 1894 in Berlin erlaubt waren. Auch der Historiker Heinrich von Treitschke schickte Frauen aus seinen Vorlesungen: „Die deutschen Universitäten sind seit einem halben Jahrtausend für Männer bestimmt, und ich will nicht dazu helfen, sie zu zerstören“, sagte er. Die Berliner Professoren konnten sich auf die anatomischen Studien ihres Münchener Kollegen Theodor von Bischoff berufen. Der hatte nach Schädelmessungen das weibliche Geschlecht für nicht studiertauglich erklärt, da „das Weib in seiner ganzen Organisa­tion einen minder hohen Entwicklungsgrad erreicht hat und in allen Beziehungen dem Kinde näher steht als dem Mann“.

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Würden Bischoff und Treitschke heute über einen deutschen Campus spazieren, wären sie natürlich schockiert. Die Labore und Seminarräume sind voller Frauen. Auf jedem zweiten Studienplatz sitzt eine Frau. Unterrichtet werden die Studentinnen immer häufiger von Professorinnen, von denen manche inzwischen auch riesige Forschungsgruppen leiten, einige sogar ganze Universitäten. Die Frauen haben die Hochschulen erobert. Oder doch nicht?

Die Vorstellung, Frauen seien aufgrund kleinerer Gehirne nicht so leistungsfähig wie Männer, sei zwar nicht mehr verbreitet, hat Peter Strohschneider, der ehema­lige Vorsitzende des Wissenschaftsrats, bei einer Anhörung im Bundestag einmal spöttisch gesagt. Doch die alten „Exklu­sions­mechanismen“ wirkten weiter. Schließlich erfüllten sie eine wichtige Funktion: die der Stabilisierung der Institution.

Tatsächlich sind noch heute 82 Prozent der Professuren mit Männern besetzt. Treffen sich die Hochschulrektoren, dominieren Schlipse: 89 Prozent sind Männer. Mit jeder Qualifikationsstufe sinkt der Anteil der Frauen. Die Hälfte der Studierenden ist weiblich. Doch bei den Bachelor-Studiengängen ist der Anteil von Frauen höher als im weiterführenden Master: In den Rechts- und Sozialwissenschaften sind zum Beispiel 57 Prozent im Bachelor weiblich, im Master nur noch 48 Prozent. Fast jede zweite Dissertation wird von einer Frau ­geschrieben, doch nur jede vierte Habilitation. Unter den Juniorprofessoren sind 37 Prozent Frauen. In den niedrigeren Besoldungsgruppen C3/W2 finden sich mehr Professorinnen (19 Prozent) als in der ­höheren Gruppe C4/W3 (14 Prozent). Und Frauen wählen noch immer massenhaft die weniger prestige- und karriereträchtigen Kulturwissenschaften. Drei Viertel der AbsolventInnen dieser Fächer sind Frauen, in den Ingenieurwissenschaften nur 23 Prozent.

Studentinnen stellt die männliche Dominanz an den Hochschulen vor „mentale Hürden“, sagt Salome Adam vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (FZS), dem Dachverband der Studierendenvertretungen. Anders als Studenten könnten sie nicht in der Vorlesung ständig zu Rollenvorbildern ihres eigenen Geschlechts aufblicken. Und während talentierte Studenten selbstverständlich gefördert würden, hänge das für Studentinnen maßgeblich von den handelnden Personen ab.

Gerade erst zeichnete das Expertengremium „Forschung und Innovation“ eine düstere Zukunftsperspektive. Zehntausende AkademikerInnen und Fachkräfte werden fehlen, warnten Merkels Bildungsweisen. Vor allem, wenn die Hochschulen das ­Potential von Frauen nicht besser nutzen. Auch die Oppositionsparteien im Bundestag geißelten gemeinsam die „unbefriedigende Entwicklung“. In der Tat: Bliebe das Tempo des weiblichen Aufstiegs in der Wissenschaft gleich, würde es bis zum Jahr 2090 dauern, bis es so viele Professorinnen auf der höchsten Besoldungsstufe gibt wie Professoren.

Allerdings sind die Hochschulen in den vergangenen fünf Jahren in neuartiger Weise unter Druck gesetzt worden: „Gleichstellung ist jetzt etwas, mit dem sich jeder zu befassen hat“, sagt Mechthild Koreuber. Sie ist die Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin und Mitglied im Vorstand der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF). Passé sind die Zeiten, in denen Professoren im Akademischen Senat die Augen verdrehten, sobald die Frauenbeauftragte sich zu Wort meldete: „Öffentlich traut sich das keiner mehr“, sagt Koreuber. „Jetzt will jeder unsere Expertise.“

Eine maßgebliche Rolle spielt bei diesem Wandel die in der Wissenschaft angesehene Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), bei der die ProfessorInnen sich um Projektmittel bewerben können. Es begann mit dem inzwischen berühmt gewordenen „Winnacker-Brief“ im Februar 2006. Gerade hatten Bund und Länder die Universitäten in die neue „Exzellenzinitiative“ geschickt. Doch als die internationalen Gutachter die 292 Voranträge sichteten, waren sie entsetzt: Die Unis hätten die Gleichstellung nur mit „Lippenbekenntnissen“ behandelt, konkrete Zielvorgaben fehlten, monierten sie. Ernst-Ludwig Winnacker, damals Präsident der DFG, die den Wettbewerb abwickelt, verfasste einen Brief an alle Universitäten und forderte sie unmissverständlich auf, „Maßnahmen zu ergreifen“.

„Das hatte eine enorme Signalwirkung“, sagt Mechthild Koreuber. Mit dem „Winnacker-Brief“ habe eine neue Zeitrechnung für die Frauenbeauftragten begonnen: „Ihr Thema wurde von einem im universitären Alltag randständigen Thema zu einem Kriterium von Exzellenz und damit relevant.“ Die Unis müssen nun damit rechnen, aus dem überaus prestigeträchtigen „Elitewettbewerb“ geworfen zu werden, wenn sie keine ernsthaften Überlegungen zur Gleichstellung anzubieten haben. Das betrifft die gesamte Uni.

Und die Deutsche Forschungsgemeinschaft legte wenig später nach. Gegen manche Widerstände beschloss sie 2008 Folterinstrumente für veränderungsresistente Unis: die „Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards“. Denn die Verantwortlichen haben erkannt, dass den Männern durch die „gläsernen Decken“ und „leckenden Pipelines“ Wettbewerberinnen in der Wissenschaft vom Hals gehalten werden – ein Hemmnis für die Innovation und die Qualität der Forschung, wie DFG-Vizepräsident Ferdi Schüth meint.

Die DFG-Standards machen es zu einem Risiko, einen Antrag auf Förderung zu stellen und keine Kolleginnen einzubeziehen. So ein Antrag könnte scheitern. Die Standards enthalten auch Tipps, wie Unis ihre Gleichstellung voranbringen können. Im Internet stellt die DFG die Unis dann an eine Art Gleichstellungs-Pranger. Jeder kann sehen, wer die Schurken-Unis sind, die noch auf der Stelle treten und nur Stufe 1 erreichen, wie Chemnitz, Greifswald oder Passau. In der Gruppe der Musterschülerinnen auf Stufe 4 glänzen hingegen Aachen, Bremen, Paderborn oder Tübingen. „Das Renommee der DFG ist bei den WissenschaftlerInnen unstrittig. Dass sie es ist, die die Standards setzt, hat die Lage ­radikal verändert“, sagt Koreuber.

Anreize soll auch das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern bieten. Weisen die Hochschulen ein akzeptables Gleichstellungskonzept vor, werden sie mit bis zu drei Stellen für Professorinnen ­belohnt. 260 Hochschulen haben davon profitiert. Ob sie ihre Konzepte wirklich umsetzen, steht allerdings dahin.

Deutschlands frauenfreundlichste Uni ist die Hochschule von Mechthild Koreuber, die Freie Universität (FU) Berlin. Seit Jahren thront sie oben im Ranking des Centers of Excellence Women and Science (CEWS): mit einem Anteil von 31 Prozent Frauen bei den Professoren, bei den Juniorprofessoren 57 Prozent. Ein „absolutes Highlight“ war für Koreuber das vergangene Jahr, in dem 58 Prozent der neu berufenen Professoren Frauen waren. Die zur „Eliteuni“ gekürte FU bekommt regelmäßig Besuch von Menschen, die das Phänomen erklärt haben wollen. Koreuber sieht einen großen Hebel am Werk: Die Berliner Politik belohnt Erfolge in der Gleichstellung schon seit 1999 über die „Leistungsbezogene Mittelvergabe (LBM)“. Die FU hat die LBM und die Zielvereinbarungen des Landes flächendeckend an die Fakultäten durchgereicht. Finanziell kann es jedem Institut darum weh tun, keine Frau zu berufen: „Das regt die Phantasie an“, sagt Koreuber: „Plötzlich finden die Berufungskommissionen exzellente Frauen.“

Doch die Masse der Unis ist viel langsamer als die FU. Eine „harte Quote“ verlangte darum der damalige DFG-Präsident Winnacker. Er konnte sich nicht durchsetzen. Die Hochschulen pochen auf ihre „Autonomie“, und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) kann und will den Ländern keine Vorschriften machen.

Koreuber hofft nun auf einen neuen Hebel. Vielleicht wird die Verfassung geändert, wie immer mehr Politiker es fordern. Gewinnt der Bund dann mehr Einfluss über die Hochschulen, könnte Schavan – oder eine Nachfolgerin – den Druck noch einmal erhöhen. „Eine enorme Dynamik“ spürt Koreuber aber schon jetzt.

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