Stella Nyanzi: Für Aufklärung

Foto: Imago/Zuma Press
Artikel teilen

Diesen Februar hatte Stella Nyanzi endgültig genug. „Ich verabscheue Menschen, die die First Lady als ‚Mama Janet‘ bezeichnen. Diese Frau ist keine Mutter der Nation. Welche Mutter würde es zulassen, dass ihre Töchter der Schule fernbleiben, weil sie sich keine Binden leisten können?“, schrieb die 42-Jährige auf ihrer Facebook-Seite. Damenbinden für arme Schülerinnen! So lautete 2016 das Wahlversprechen des ugandischen Präsidenten Yowe­ri Museveni. Aber nur ein Jahr nach seiner Wiederwahl ist angeblich „kein Geld für die Binden da“. Das zumindest verkündete First Lady Janet, die Museveni zu seiner Bildungsministerin ernannt hat.

Anzeige

Und die erfahrene Aktivistin Nyanzi beließ es nicht bei Worten. Sie gründete die BürgerInneniniative Pads4Girls, um das Geld für die Binden selbst zu sammeln. Denn die Zahl der Mädchen in Uganda, die sich Binden nicht leisten können und deswegen nicht zur Schule gehen, ist immens. Schnell kamen umgerechnet über 8.000 Euro für die Initiative Pads4Girls zusammen.

Von dem Geld kauften Nyanzi und ihre MitstreiterInnen Binden und besuchten Schulen im ganzen Land. 3.000 Binden haben sie verteilt. Das hatte Folgen, auch für Nyanzi persönlich. Die Ausreise zu einem Kongress nach Amsterdam wurde ihr verweigert. Sie verlor ihre Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Makerere University in Kampala. Und schließlich wurde sie Anfang April verhaftet. Die Anklage: Beleidigung des Präsidenten! Konkret bezog sich das Gericht auf einen Facebook-Post, in dem die Aktivistin Nyanzi den Präsidenten Museveni als „ein paar Arschbacken“ bezeichnet hatte. Aber Nyanzi ließ sich nicht einschüchtern. Vor Gericht erklärte sie selbstbewusst: „Ich habe all diese Dinge geschrie­ben, aber ich habe niemanden beleidigt.“ Denn: „Diese Regierung beleidigt Uganda.“ Daraufhin wurde sie für mehr als einen Monat im Hochsicherheitsgefängnis Luizra inhaftiert. Erst im Mai ließen die Behörden die Frauenrechtlerin auf Kaution frei.

„Der Moment, in dem ich begann, das Regime zu hinterfragen, war der Tod meines Vaters Joseph“, erinnert sich Nyanzi. 2014 starb er an einem Herzinfarkt. Es gab kein Krankenhaus in seiner Nähe, das Medizin für ihn hatte. Ein Jahr darauf starb auch Nyanzis Mutter Harriet. Sie hatte es nicht einmal rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft. Denn es gab keinen Krankenwagen. „Ich gebe der Regierung die Schuld für den Tod meiner Eltern“, klagt Nyanzi. Sie ist überzeugt: Hätte Museveni mehr Geld in das Gesundheitssystem investiert, anstatt in Waffen und neue Autos, wären ihre Eltern heute noch am Leben.

Seither hat sich Nyanzi mit Regimekritik auf Facebook einen Namen gemacht. Ihre Ausdrucksweise ist heftig. Museveni habe „in unsere Demokratie geschissen“, erklärte sie kürzlich. Seine Partei „National Resistance Movement“ (NRM) bezeichnete Nyanzi als „dicken gelben Eiter“. Gelb ist die Farbe des NRM.

Sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen, das hat Nyanzi von ihrer Mutter gelernt, einer Sozialarbeiterin. „Meine Mutter wurde ausgegrenzt, weil sie vier Mädchen, aber keinen Jungen zur Welt gebracht hatte“, erinnert sich Nyanzi. „Ihre Schwiegereltern und ihre Arbeitskollegen redeten so schlecht über sie, dass mein ­Vater eine andere Frau geheiratet hat.“ Trotzdem war die Mutter immer ein Vorbild für die Töchter. „Sie hat uns beigebracht, dass wir alles schaffen können, was Jungen können, wenn nicht sogar mehr“, sagt Nyanzi. Zu ihrem Vater, einem Arzt, hatte sie ein ­gespaltenes ­Verhältnis. „Er war ein typisch afrikanischer Patriarch. Und ich war unglaublich wütend darüber, dass er meine Mutter verlassen hat“, erinnert sich Nyanzi. „Gleichzeitig hat er uns Mädchen eine gute Ausbildung bezahlt. Das ist nicht selbstverständlich!“

Nyanzi machte ihr Abitur an der Gayaza High School, einer der besten Mädchenschulen Ugandas. Danach schrieb sie sich an der Makerere University für Journalismus, Kommunikations- und Literaturwissenschaft ein. Aber trotz Bachelor fand sie keinen Job in den Medien und landete stattdessen als Datentypistin beim „Medical Research Council“, einer britischen Forschungsorganisa­tion. „Das war der Anfang meines Lebens“, sagt Nyanzi. Mit Mitte 20 entdeckte sie ihre Berufung: die medizinische Anthropologie und die Sexualforschung. Mit einem Stipendium des „Medical Research Council“ ging Nyanzi an die University of London und machte dort ihren Master in Medizinanthropologie. Es folgten ein zweiter Master in Entwicklungsforschung und Finanzwissenschaft und eine Dissertation über die Sexualität von Jugendlichen in Gambia. In Gambia lernte sie auch den Vater ihrer drei Kinder kennen, von dem sie mittlerweile geschieden ist.

Als Nyanzi 2009 nach Uganda zurückkehrte, um eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Makerere University anzutreten, wurde dort gerade über die Todesstrafe für Homosexualität diskutiert. Die evangelikalen Christen hatten in Uganda mehr und mehr Einfluss gewonnen. Nyanzi stellte sich auf die Seite der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen und nahm an Gay-Pride-Demonstrationen teil. Und sie behandelte das Thema Homophobie auch in ihrer Forschung. Mutter Harriet unterstützte Nyanzi, wie gewohnt. Dabei hatte die konservative Christin Homosexualität früher selbst als Sünde bezeichnet. Nun aber nahm sie Freunde von Stella bei sich zu Hause auf, die wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Wohnung verloren hatten.

Acht Jahre später brachte ihr Aktivismus Nyanzi ins Gefängnis. Mittlerweile ist sie wieder frei, aber sie hat sich während der Haft ­Malaria und eine Harnröhreninfektion eingefangen. Bei ihrer Freilassung war sie so geschwächt, dass sie nicht mehr laufen konnte. Und der Prozess ist noch nicht zu Ende. Das Regime will Nyanzis geistige Gesundheit überprüfen lassen, so der Stand bei Redaktionsschluss. Im schlimmsten Fall droht ihr die Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik. Dass sie wieder zurück ins Gefängnis muss, ist auch nicht ausgeschlossen. Nyanzi und ihre MitstreiterInnen sind trotzdem fest entschlossen, weiterzumachen. Die nächsten Bindenverteilungen sind schon geplant.

Charlotte Sophie Meyn

Artikel teilen
 
Zur Startseite