Theodor-Wolff-Preis für Sichtermann

Ausgezeichnet mit dem Theodor-Wolff-Preis: Barbara Sichtermann. © Kevin Rühle
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Sie hat zwar "keine Ahnung, wie die auf mich gekommen sind". Mit "die" meint Barbara Sichtermann die Jury, die ihr soeben den Theodor-Wolff-Preis für ihr Lebenswerk verliehen hat. Eines aber scheint der Geehrten selbstverständlich: "Ich werde als streitbare feministische Journalistin ausgezeichnet!"

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Daran kann es in der Tat keinen Zweifel geben, auch wenn in der neunköpfigen Jury nur zwei Frauen mitentscheiden durften, denn: Worüber auch immer Barbara Sichtermann schreibt, durchdringt sie das Objekt ihres journalistischen Interesses mit dem bewussten Geschlechterblick, den sie sich Anfang der 1970er Jahre in ihren Kreuzberger Frauengruppen zu- und seither nie wieder abgelegt hat. "Ist doch klar!" sagt sie. "Dieser Auftrag, den wir uns damals gegeben haben, dem fühle ich mich immer noch verpflichtet. Den werde ich auch nie aufgeben!"

Ausgezeichnet als Journalistin mit bewusstem Geschlechterblick

Barbara Sichtermann schreibt über erstaunlich vieles. Die Palette ihrer rund 30 Bücher reicht vom "Leben mit einem Neugeborenen" bis zu den "50 Klassikern der Lyrik". Sie fragt "Wer war Sophie Scholl?" oder auch: "Was Frauen Sex bedeutet". Die Mutter eines Sohnes und zweier Adoptivkinder erzählt von den Plagen der Pubertät; die Absolventin eines humanistischen Gymnasiums analysiert "50 Romane vor 1900". Und auch für EMMA schreibt Sichtermann seit stolzen 33 Jahren immer wieder mal:  Über kleine Mädchen und was Barbie mit ihrer frühen Sexualisierung zu tun hat - oder über große Herrscherinnen, von Christina von Schweden bis zu Katharina der Großen.

Trotz aller klassischen Bildung und ihrer Schwäche für historische Themen entdeckte die heute 72-Jährige, die 1968 aus Kiel ins studenten- und bald auch frauenbewegte Berlin gezogen war, früh die Kraft der Pop-Kultur. Motto: "Don't think it's only entertainment!" Barbara Sichtermann, die nach dem Abitur eine Schauspielausbildung absolviert hat und dann ein Sozialwissenschaftsstudium anhängte, wurde in den 1980er Jahren Deutschlands bekannteste Fernsehkritikerin. Heute sitzt sie in der Jury des Grimme-Preises, Kategorie Fiktion, und wirft ihren analytischen Blick auf alles, was flimmert: von "Germanys Next Top Model" ("eine gigantische Inszenierung der Bezogenheit von Frauen auf den Mann") bis "CSI New York" ("trotz aller Kompetenz der Frauen ein Laufsteg") - und sie fordert von den FernsehmacherInnen mehr Mut zu visionären Frauenrollen. Und das alles nicht in feuilletonistisch-narzisstischem Kauderwelsch, sondern klarsichtig und gern mit Ironie.

Apropos Humor. Immer wieder spricht und schreibt Barbara Sichtermann gegen das offenbar unverwüstliche Klischee an, die feministischen Pionierinnen seien humorlos, frustriert, verbiestert, sexfeindlich und weiß der Geier noch alles gewesen - und seien es womöglich immer noch. Gerade erst wieder passiert: Da kommt die "wirklich nette" junge Journalistin, die Sichtermann anlässlich der Preisverleihung porträtieren will, "und fragt als erstes, warum ich mich denn als Feministin bezeichne, das sei doch so ein schreckliches Wort". Im Artikel wird später stehen: "Frauen sind ihr Lebensthema, eine verkniffene Feministin ist sie deswegen noch lange nicht."

Sie schreibt an gegen das Klischee der "verbiesterten Feministin"

"Dabei kenne ich keine einzige Feministin, die verbissen und verbiestert ist", empört sich Sichtermann. Im Gegenteil: Was hatten sie damals für einen Spaß, was haben sie gefeiert, was haben sie alles ausprobiert! "Und bei alledem habe ich noch nicht mal eine lila Latzhose gesehen!"

Ein bisschen "belastend" findet Sichtermann, dass die "jungen Feministinnen heute Sachen schreiben und sie für neu halten, die wir vor 30 Jahren auch schon geschrieben haben". Aber das klingt bei ihr eher gelassen als resigniert. "Ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Kampf für die Freiheit der Frauen ein sehr, sehr langsamer Prozess ist. Es geht immer drei Schritte vor und zwei zurück. Aber", sagt Sichtermann, "es ist doch eine Vorwärtsbewegung zu erkennen."

Dass es in der Summe immer wieder einen Schritt voran gegangen ist, daran hat die Geehrte ihren maßgeblichen Anteil. EMMA gratuliert herzlich!

Gerade neu erschienen: Barbara Sichtermann + Ingo Rose: Sternstunden verwegener Frauen (Ebersbach & Simon, 24.95 €)

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