Recht statt Gnade

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Als erstes Land der Welt verankerte Deutschland das Recht der Tiere auf ein würdiges Leben im Grundgesetz.
Jahrhundertelang galten Frauen als seelenlose Wesen, die der Macht des Mannes unterworfen waren. Erst recht galten Tiere, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als nützliche Sklaven und als Fleischlieferanten. Das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen und die Erkämpfung von Frauenrechten haben zumindest in den westlichen Staaten das fraglose Recht des Stärkeren ins Wanken gebracht und als Folge auch den Ruf nach einer artübergreifenden Menschlichkeit, nach einem wirkungsvollen Schutz der Tiere vor Qual und Gewalt laut werden lassen.
Es ist also kein Zufall, dass Frauen zu den wesentlichen VerfechterInnen des Tierrechts geworden sind. Die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz ist zu einem großen Teil dem Engagement von Frauen zu verdanken. Damit wurde eine erste Grundlage für einen wirkungsvollen Schutz der Tiere geschaffen. Weil der Tierschutz zum Staatsziel erhoben und rechtlich verpflichtend verankert wurde, ist es künftig nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar, Tiere nach eigenem Gutdünken zu missbrauchen und ihnen Schmerz und Leid zuzufügen. Vielmehr müssen von nun an die Regeln des Tierschutzgesetzes beachtet werden. Hier einige Beispiele:
Wissenschaftler in Berlin hatten für abstrakte Forschungsinteressen, also ohne konkreten Grund, Affen ein Auge zugenäht und sie in Bändigungsapparaten qualvollsten Experimenten ausgesetzt. Die Behörde musste diese Quälereien ungeprüft genehmigen, weil zwar die Freiheit der Wissenschaft, nicht aber der Schutz der Tiere vom Grundgesetz anerkannt wurde. Jetzt kann und muss die Behörde solche Versuche untersagen.
Klagt der Wissenschaftler auf Genehmigung, muss ein Gericht die rechtliche Vertretbarkeit der Experimente überprüfen und dann entscheiden: Sind sie wirklich unerlässlich, oder lassen sie sich durch andere Methoden ersetzen -, oder sind sie, da besonders qualvoll, ethisch auf keinen Fall zu rechtfertigen?
Studierende können sich jetzt leichter gegen den "Tierverbrauch" im Studium, der nur der Wissensvermittlung dienen soll, zur Wehr setzen.
KünstlerInnen dürfen künftig etwa auf der Bühne oder bei einer Performance keine Tiere mehr quälen.
Massenhafte Taubentötungen wegen angeblicher Überpopulationen sind unzulässig, zumindest solange die Gesundheit des Menschen durch Tauben nicht konkret gefährdet wird.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Januar 2002 muslimischen Metzgern im Interesse "gläubiger Kunden" das betäubungslose Schächten von Tieren grundsätzlich gestattet. Weil der Tierschutz noch nicht im Grundgesetz verankert war, hatte das Betäubungsgebot des Tierschutzgesetzes gegenüber der verfassungsmäßig geschützten Glaubensfreiheit keine Gültigkeit. Dieses Schächt-Urteil darf jetzt nicht mehr als verbindlich gelten, weil sich Bundestag und Bundesrat inzwischen ausdrücklich für den Rechtswert des Tierschutzes im Grundgesetz entschieden haben.
Die "Juristen für Tierrechte" haben daher von den Länderbehörden gefordert, Ausnahmegenehmigungen zum Schächten für Muslime ab sofort wieder zu versagen. Nichts anderes muss für Menschen mosaischen Glaubens gelten. Es kann nicht rechtens sein, dass die Tiere in "politischen Sonderfällen" grausam zu Tode kommen müssen, weil Deutsche im Nationalsozialismus schwere historische Schuld an den Juden auf sich geladen haben.
Ein starker Impuls ist das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz auch für die Verträge bzw. für die Verfassung der Europäischen Union.
Zweifellos liegt noch ein langer, mühsamer Weg vor uns, bis der Schutz der Tiere als wesentlicher Bestandteil einer europäischen Kulturordnung wirklich anerkannt ist. In weiten Bereichen wird der Tierschutz erst dann Gewicht erhalten, wenn weisungsunabhängige TreuhänderInnen der Tiere deren Interessen vertreten dürfen, ähnlich wie Vormünder die von Kindern. Das erfordert ein gesetzliches Klagerecht etwa für Tierschutzverbände. Der nächste notwendige Schritt ist, dies parlamentarisch umzusetzen. Das wahre Interesse der politischen Parteien am Tierschutz lässt sich daran messen, ob sie dazu bereit sind.
Insgesamt bedeutet die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz jedoch einen gewaltigen ersten Schritt. Besonders extreme Formen des Missbrauchs von Tieren - auch im Namen von Wissenschaft, Forschung, Religion und Kunst - lassen sich jetzt auf den Prüfstein stellen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Daher bleibt noch unendlich viel zu tun, wenn etwa das Elend der "Schlachttiere", "Versuchstiere", "Pelztiere" und zahlreicher Haustiere gelindert oder ganz beseitigt werden soll. Ähnlich wie bei der Durchsetzung der Frauenrechte sind dazu noch zahlreiche Widerstände zu überwinden. Und es sind die Einsatzbereitschaft und die Unbeirrbarkeit vor allem der Frauen, auf welche die Hilfsbedürftigsten, die Tiere, auch künftig angewiesen sein werden.

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Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des "Bundesverbandes der Tierversuchsgegner - Menschen für Tierrechte e.V." Mehr als zehn Jahre hat der Tierrechtsexperte unermüdlich für den Tierschutz im Grundgesetz gekämpft.

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