Tierrechte: Sie sind die Anderen

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Der Mann ist Kultur, die Frau Natur; der Mann ist der Eine, die Frau das Andere. Dasselbe gilt für Menschen und Tiere.
Sozialdarwinistische und rassistische Vorstellungen manifestierten sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wo schon die Sprache die Selbstaufwertung und eine extrem gesteigerte Fremdabwertung transportiert: wie der Gegensatz von "Übermensch" ("Herrenmensch") und "Untermensch" ("Sklavenmensch"), der als Variante des alten Dualismus "Mensch" versus "Tier" begriffen werden kann.
In dem besonders durch die nationalsozialistische Ideologie verbreiteten und zur Legitimation des Massenmordes an den europäischen Juden verwendeten Begriff des "Untermenschen" wird die ultimative Negation des Anderen bereits vorweg genommen: der sprachlich-symbolische Ausschluss aus der menschlichen Gattung machte den Weg frei für die materielle, die physische Elimination.
Da die Kategorie des "Untermenschen" nach der traditionellen Klassifikation in einer Art Niemandsland zwischen Menschen und Tieren angesiedelt ist, brandmarkt der Begriff die Bezeichneten als "tierisch" oder gar noch minderwertiger. Der "Untermensch" soll zusätzlich als krank und abartig, als Mutation des (eigentlichen) Menschen und als "Missgriff der Natur" stigmatisiert werden, was den rassenideologischen Zielen der Nazis vollends entsprach.
Dieses propagandistische Kernelement des aggressiven Antisemitismus wurde gezielt mit dem Tier-Bild des Bösen, Zersetzenden und Ekeligen verbunden: mit den Metaphern "Ratten", "Ungeziefer" und "Schädlinge", die laut Propaganda den nationalsozialistischen "Volkskörper" "von innen" bedrohten und daher im Sinne einer "Säuberungsmaßnahme" zu vernichten seien.
Eine Menschengruppe, der auch Naturhaftigkeit, Tierähnlichkeit und Vernunftmangel unterstellt wurde/wird, sind die Frauen. "Frauen", stellt Nick Fiddes fest, "werden mit der Natur und mit Tieren gleichgesetzt, Männer sind mächtig, menschlich und zivilisiert (in ‚Fleisch - Symbol der Macht'). Ebenso wie die Definitionsmacht des Menschen das nicht-menschliche Lebewesen und die Definitionsmacht des Weißen den farbigen Menschen als "das Andere" konstituiert, wird "die Frau in der Geschichte des europäischen Denkens als das andere des Mannes gedacht, in dem er lediglich sein alter ego sieht, das Gegenbild seines eigenen Wesens." (Fiddes)
Daher umfasst der Vorstellungskomplex des Weiblichen alles, was man(n) mit dem eigenen Selbstbild für unvereinbar hält und aussondern will, das heißt Defizite wie geistige und physische Schwäche, Passivität, Hilflosigkeit, Weichheit, Oberflächlichkeit und "Naturnähe".
Vor dem Hintergrund der Natur- und Leibfeindlichkeit des Christentums und der ebenfalls außerordentlich geistorientierten idealistischen Tradition der Antike wurde das Weibliche nicht wie in den Kulten der verdrängten Muttergottheiten als Symbol für das Substanzielle, für Fruchtbarkeit und natürliche Lebenszyklen, sondern als untergeordnete biologische Mängelkategorie betrachtet. Aus der ursprünglich verehrten ‚mater', der Mutter und Nährenden, wurde die Materie, die als das ‚nur' Stoffliche, Passive zum Gegenpol des aktiven Geistes stilisiert wurde. So wie der männliche Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes die Vernunft repräsentiert, wird dem weiblichen Menschen die Natur als Sphäre der Unvernunft zugeordnet.
‚Natur' aber verweist in der patriarchalisch orientierten europäischen Zivilisationsgeschichte nicht nur auf Geist- und Gott-Ferne, sondern auch auf Wildheit und Ambivalenz, und damit auf ein permanentes Risiko und die Furcht vor dem (Wieder-)Erstarken des Beherrschten und Unterdrückten - seien es die eigenen Affekte, ‚wilde Tiere', Naturvölker oder unterdrückte Bevölkerungsgruppen. Auch das Weibliche birgt ‚gefährliche' Eigenschaften, die eine soziale Kontrolle rechtfertigen: So wurden den Frauen - wie den Mitgliedern von Naturvölkern - Jahrhunderte lang Charakteristika der ‚Leichtfertigkeit' und ‚sexuellen Zügellosigkeit' sowie eine defizitäre Moral, Unvernunft und Sündhaftigkeit unterstellt.
Von der Frühneuzeit bis ins 18. Jahrhundert wird die Frau neben dem "als widerwärtig verfemte(n) Tier, das an Promiskuität gemahnt" und daher nach Horkheimer und Adorno die "Zerstörungslust der Zivilisierten auf sich zieht", zur idealen Projektionsfläche für das Obszöne, Magische und Böse. Damit gerieten in der Umbruchphase der Neuzeit gerade Frauen zwischen die Fronten des Kampfes zwischen alten Autoritäten und neuen Heilsverkündern, die jedoch - sowohl in den Reihen der Reformatoren als auch der Vertreter naturwissenschaftlicher Weltbilder - das negative Frauen-Bild und den Glauben an einen inferioren Status der Frau in der Seinsordnung übernahmen.
Nach Horkheimer und Adorno war "die Idee des Menschen in der Männergesellschaft" stets darauf abgestimmt, "grenzenlos Natur zu beherrschen" und "den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln."
Tiere und Frauen verbindet, dass sie im "unendlichen Jagdgebiet" des Mannes auch ganz konkret als Beute und Opfer auftreten. So lassen sich vielfältige Verbindungen zwischen Frauen und (gejagten) Tieren oder zerlegten Tierkörpern nachweisen, die sich vom Bedeutungsfeld der Jagd über das Ritual des Fleischessens und die Pornografie bis hinein in Gewaltdarstellungen und Gewalthandlungen erstrecken.
Auch der Sozialanthropologe Fiddes gelangt zu dem Schluss, dass es "ausgeprägte Parallelen (gibt) zwischen dem Fleischsystem und der Terminologie, die Männer benutzen, wenn sie in pornographischen Zusammenhängen oder am Stammtisch über Frauen reden. Es scheint, als sei das eine Ausbeutungssystem dem anderen nachgebildet". Dabei stelle "die Beschreibung von Frauen in Begriffen aus der Jagd- und Viehzuchtsprache" nur einen wichtigen Aspekt des metaphorischen Gebrauchs des Wortes Fleisch dar: "Sie kann geritten, gezähmt oder mit einem Stallknecht verheiratet werden ... Der Mann geht zum ‚Viehmarkt', um dort einen ‚Fang' zu machen, oder ‚auf die Jagd'. Für manche Männer sind Frauen ‚Freiwild'."
In der an tier- und frauenfeindlichen Assoziationen reichen Jägersprache finden sich darüber hinaus Begriffe wie das "Luder", mit dem ein totes "Stück Wild", speziell eine verwesende Tierleiche ("Aas") zur Anlockung von "Raubwild" bezeichnet wird, oder die "Schnalle", die sich auf das Geschlechtsteil des (generell zur "Ausmerze" anstehenden) weiblichen "Raubzeugs" bezieht. Dass derartige Spezialbezeichnungen - Luder, Aas, Schnalle - auch in die sexistische Alltagssprache einfließen, zeigt sich darin, dass sie dort in gleichzeitig animierender und herabsetzender Weise zur Charakterisierung von Frauen eingesetzt werden.
Während Männer verbal im aktiven Sinne, nämlich als Jäger, Töter und Verzehrer mit Fleisch in Verbindung gebracht werden, gerät die Frau in der gewaltförmigen Perspektive eines auf Jagd, Aneignung und Unterwerfung gerichteten Geschlechterstereotyps selbst zum passiven, toten "Fleisch". Indem Frauen mit Fleisch identifiziert werden, stehen sie symbolisch für ein "Stück" totes Tier, die minderwertige Materie und ein konsumierbares Objekt (Die Redewendung "Der Mann isst Fleisch, die Frau ist Fleisch" gibt genau diesen Zusammenhang wieder).
Nach Fiddes' Überlegungen ist das "Bild, das sich Männer von Frauen als Fleisch machen, ein Spezialfall des weitreichenden Zerrbildes von der Frau als Tier. Fleisch ist ein hervorragendes Symbol für die Kontrolle des Mannes über die natürliche Welt. Die Tatsache, dass die Frau als Fleisch bezeichnet wird, kann als eine Aussage über ihre angeblich wildere gesellschaftliche Rolle und ihre Verfügbarkeit als eine natürliche Ressource der Männer verstanden werden."
An Hand dieser Analogien und Überschneidungen zwischen Tier-Konstrukt und menschenbezogenen Hierarchie- und Unterdrückungsformen wird deutlich, dass das gigantische System der Tierausbeutung, der Dämonisierung, Versachlichung und Deklassierung nichtmenschlicher Lebewesen auch folgenschwere Konsequenzen für die Wahrnehmung und Behandlung menschlicher Gruppen besitzt - allen voran für die Frauen.
Birgit Mütherich, EMMA 1/2006
Der Text ist ein Auszug aus einem Vortrag, den die Autorin 2004 auf dem Internationalen Tierrechtskongress in Wien hielt.

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Birgit Mütherich: Die soziale Konstruktion des Anderen - zur soziologischen Frage nach dem Tier. Bestellen bei: Autonome Tierbefreiungsaktion Hannover, aTaH.
EMMA Kampagne Tierrechte

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