Alice Schwarzer schreibt

Ist Alice Schwarzer eine TERF?

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Es muss im Spätherbst 1975 gewesen sein. Damals begegnete ich zum ersten Mal einem transsexuellen Menschen. Er fühlte sich als Frau, steckte jedoch in einem Männerkörper. Sein Leidensdruck war groß. Er war entschlossen, es durchzuziehen. Zwei, drei Jahre später ließ er die damals in Deutschland noch hoch umstrittene operative Geschlechtsumwandlung vornehmen, in Casablanca. Seither engagierte sie sich als Anwältin für die Rechte sexueller Minderheiten.

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Mich beschäftigte diese Begegnung lange. Ich hatte gerade das Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ veröffentlicht, dessen Kernthese lautet: Der Mensch ist frei geboren, und die „männliche“ bzw. „weibliche“ Geschlechterrolle ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Sie ist konstruiert, wie man heute sagen würde. Dasselbe gilt für die Hetero- bzw. Homosexualität des sexuell „polymorphen“ (Freud) Menschen: Unsere Sexualität ist ursprünglich nicht objektfixiert und bleibt lebenslang variabel.

Eine Feministin wie ich plädierte also damals wie heute für die Befreiung der Menschen von den Geschlechterrollen und für die Entfaltung des Individuums je nach Begabung, Interessen und Möglichkeiten, jenseits der Zuweisung der sozialen Geschlechterrollen.

Nun aber traf ich auf Menschen – es blieb nicht bei dem/der einen – die nicht das soziale Geschlecht in Frage stellten, sondern ihr biologisches. Sie identifizierten sich mit der von ihnen „gefühlten“ Geschlechterrolle und sehnten sich nach dem dazu passenden Körper. Ihre Seele ist also stärker als ihr Körper. Auch interessiert mich die doppelte Prägung der Transsexuellen: ihre Erfahrungen in ihrem früheren Geburtsgeschlecht plus der im heutigen Wunschgeschlecht – und welche Schlüsse sie daraus ziehen.

Ab 1984 erhielten Transsexuelle beider Provenienzen in EMMA immer wieder eine Stimme, ich unterstützte ihre Anliegen. Zu der Zeit waren die Begriffe Sex and Gender nur Eingeweihten vertraut. Sie waren in den 1950er Jahren in den USA von Sexualwissenschaftlern geprägt worden, wie Robert Stoller und John Money, beide auch führende Forscher zur Transsexualität. Sex steht dabei für das biologische, Gender für das soziale Geschlecht.

Feministinnen haben diese Unterscheidung zu allen Zeiten gemacht und darauf hingewiesen, dass das biologische Geschlecht nur der Vorwand sei für die Zuweisung der sozialen Geschlechterrolle. Wir hatten uns allerdings nicht träumen lassen, dass unser Credo eines Tages in einer fundamentalen Leugnung auch des biologischen Geschlechtes münden würde. Im Namen des Feminismus.

1981 erließ Deutschland als zweites Land der Welt, nach Schweden, ein Gesetz, das bei der medizinischen Diagnose Transsexualität den Personenstandswechsel und auch die hormonelle und operative Angleichung an das andere Geschlecht legalisiert; dies allerdings erst nach sorgfältiger psychiatrischer und medizinischer Prüfung bzw. Beratung sowie einer Fristenregelung: Der Wunsch nach dem Geschlechterwechsel müsse „seit mindestens drei Jahren“ bestehen. Das war damals sehr fortschrittlich.

Deutschlandweit war 1991 davon die extreme Minderheit von ca. 1.100 registrierten Transsexuellen betroffen (das belegte die sexualwissenschaftliche Erhebung „Betrachtungen über zehn Jahre Transsexuellengesetz“), also ganze 0,002 Prozent der Bevölkerung im Alter über 20. Und auf eine Frau, die ein Mann werden wollte, kamen noch Ende der 1960er Jahre 14 Männer, die eine Frau werden wollten (laut Sexualwissenschaftler Giese).

Einige dieser neuen Frauen waren Feministinnen und klopften nun an die Türen der Frauenzentren. Doch die waren in der Regel für sie verschlossen. Denn die Mehrheit der Feministinnen war der Auffassung, Transfrauen seien keine „richtigen“ Frauen und hätten in Frauenräumen nichts zu suchen. Ich fand das „biologistisch“ und solidarisierte mich mit den Transfrauen, „meinen Schwestern“, wie ich 1984 schrieb.

„Der Transsexualismus scheint mir der dramatischste Konflikt überhaupt, in den ein Mensch auf dem Weg zum ‚Mannsein‘ bzw. ‚Frausein‘ in einer sexistischen Welt geraten kann“, argumentierte ich. „In diesem Konflikt haben die Transsexuellen selbst keine Wahlmöglichkeit mehr: Ihr Hass auf den ‚falschen‘ Körper ist weder durch Argumente noch durch Therapien zu lösen. Transsexuelle sind zwischen die Räder des Rollenzwangs geraten.“ Doch ich fügte hinzu: „In einer vom Terror der Geschlechterrollen befreiten Gesellschaft wäre Transsexualismus schlicht nicht denkbar.“

Das war vor fast 40 Jahren. Da ahnte ich nicht, welche problematische Entwicklung das Phänomen eines Tages nehmen würde. Nämlich, dass Transsexualität nicht mehr als schwerer seelischer Konflikt einiger Weniger begriffen würde – denen Verständnis und Hilfe zusteht –, sondern zunehmend als Weg, sich für die vermeintlich „falsche“ Geschlechterrolle einfach den „passenden“ Körper zu suchen.

Inzwischen sind die Trans-Zahlen explodiert. Trans ist Trend. Vor allem immer mehr Mädchen und junge Frauen geraten in den Gendertrouble. Sie halten ihr so berechtigtes Unbehagen an der zunehmend widersprüchlich werdenden Frauenrolle für „transsexuell“. Was laut Transaktivisten und dem geplanten Gesetz nicht hinterfragt werden darf. Das sei „transphob“. In manchen Schulklassen sitzen heute vier bis fünf Mädchen, die von sich behaupten, transsexuell zu sein.

Die Zahl der medizinisch aktenkundigen jugendlichen Transsexuellen hat sich innerhalb weniger Jahre in der ganzen westlichen Welt um den Faktor 40 gesteigert hat, also um 4.000 Prozent. Vor allem aber: Das Geschlechterverhältnis hat sich verkehrt. Kamen noch vor einiger Zeit auf ein Mädchen etwa vier Jungen, die das Geschlecht wechseln wollten, sind es heute etwa zehn Mädchen auf einen Jungen, die sich im „falschen Körper“ fühlen.

Der deutsche Sexualwissenschaftler und Psychiater Prof. Friedemann Pfäfflin war über Jahrzehnte einer der international führenden Trans-Experten. Er hat in seinem Leben nach eigenen Angaben „rund 3.000 Transmenschen begutachtet und behandelt“, den ersten 1971 am Hamburger Institut für Sexualforschung. Pfäfflin erinnert sich heute im Gespräch mit mir: „Unsere Haltung war so: Man hat versucht, zu verstehen, und unterstützt, aber nicht bestärkt. Doch das hat sich total geändert.“ Pfäfflin besorgt: „Heute erklären schon Achtjährige, nach Blick in ihr Smartphone, sie seien ‚transsexuell‘.“ Transsexualität aber sei „ein schwerer seelischer Konflikt“, warnt der Arzt und Sexualforscher, und müsse entsprechend ernst genommen und behandelt werden. „Doch heute genügt schon der Wunsch nach Transition, genügt ein ‚Gefühl des Unbehagens‘ mit der Geschlechterrolle. Das ist extrem leichtfertig.“ Es ist, wie wenn wir jede Trauer und Melancholie gleichsetzen würden mit einer klinischen Depression.

Nur der Mensch selber kenne seine „wahre Geschlechtsidentität“, heißt es bei den Befürwortern der „Selbstbestimmung“. Darum könne auch nur er allein bestimmen, welches „Geschlecht“ er wirklich habe. Was bedeuten würde: Das subjektiv empfundene soziale Geschlecht sei quasi angeboren und das biologische Geschlecht müsse ihm angepasst werden. Die sozialen Geschlechterrollen (gender) seien also irreversibel. Hier wird Natur mit Kultur verwechselt. Ein quasi magisches Denken.

Für uns Feministinnen ist das biologische Geschlecht zwar eine nicht zu leugnende Realität, es dürfe aber keine den Menschen definierende Rolle spielen (Frauen können Kinder bekommen, sind aber deswegen noch lange keine geborenen Mütter); die sozialen Kategorien „Männlich“ und „Weiblich“ jedoch müssten dekonstruiert werden.

Jetzt stürmen vor allem junge Mädchen die Trans-Praxen. Ihnen suggeriert der Zeitgeist, die Flucht ins Mannsein sei die Lösung: gegen die Einengung und Zumutung des Frauseins in einer patriarchalen Welt. Sie zwängen sich damit allerdings nur von einer binären Schublade in die andere. Statt auszubrechen aus der Schublade!

„Wir erleben gerade die vermutlich schlimmste Krise mit Blick auf die psychische Gesundheit von jungen Menschen“, konstatiert die US-Journalistin Abigail Shrier in ihrem Buch „Irreversible Damage“: „Wir stellen die höchsten Angst- und Depressionsraten fest, die je gemessen wurden.“ Immer mehr Mädchen, schreibt sie, „hassen extrem ihren Körper“ und kommen zu dem Schluss, dass sie „eigentlich ein Junge und kein Mädchen“ seien. Warum? Es kann ein Widerstand gegen die einengende Frauenrolle sein und der Wunsch nach „männlichen“ Freiheiten. Es kann aber auch die Erfahrung sexueller Gewalt sein und der Wunsch, diesem missbrauchten Körper zu entfliehen. In jedem Fall müssen die Gründe für das Unbehagen am angeborenen Geschlecht erkundet werden, um helfen zu können.

Der Münchner Jugendpsychiater Dr. Alexander Korte vermutet in der „Transideologie“ sogar ein regelrechtes „Homosexualitäts-Verhinderungs-Programm“. Der Wechsel eines Tomboys, also eines „burschikosen“ Mädchens in das andere Geschlecht, mache in so manchem Fall aus einem eigentlich lesbischen Mädchen einen heterosexuellen Jungen, sagte der Vater zweier Töchter im Gespräch mit EMMA.

Doch auch erwachsene Frauen sind bedroht. Eine lautstarke Minderheit der Transfrauen geht so weit, ihre neue Identität aggressiv gegen die Interessen biologischer Frauen zu richten, fordert Zugang zu geschützten oder privilegierten Frauenräumen, also in Frauenhäuser oder auf Quotenplätze. Und unter den Transmännern, also den geborenen Frauen, gibt es eine ideologisierte Minderheit, die Frauen allen Ernstes verbieten will, sich weiterhin als „Frauen“ zu bezeichnen – und damit tatsächlich Erfolg hat. Sie verstünden sich nicht mehr als „Frauen“ und fühlten sich darum bei dem Begriff Frau ausgeschlossen. Wir Frauen sollen darum nicht mehr von „Frauen“, sondern zum Beispiel von „Menschen, die menstruieren“ sprechen. Kein Witz. Das wird schon so praktiziert. Auch in der Werbung oder in Amtstexten.

Diese Transmänner sagen das in einer Welt, in der das Frausein nicht nur einschneidend ist für das Leben jeder einzelnen Frau, sondern sie auch das Leben kosten kann, Stichwort Femizid oder Taliban.

Doch alle, die es weiterhin wagen, von einem real existierenden biologischen Geschlecht sowie der sozialen „Kaste“ Frauen zu sprechen, werden von diesen FanatikerInnen als „Terf“ diffamiert (Transexclusionary Radical Feminist – Trans-ausschließende radikale Feministin). Wäre das alles nicht so gefährlich und reaktionär, wäre es komisch. Doch längst hat diese in Gender-Seminaren entstandene Ideologie auch Eingang in die Politik gefunden.

So plädieren Grüne und FDP seit Jahren für ein „Selbstbestimmungsgesetz“, nach dem Mädchen und Jungen bereits ab dem Alter von 14 (!) Jahren ihr „wahres Geschlecht“ selber bestimmen können sollen: indem sie via „Sprechakt“ – und ggf. auch ohne Zustimmung der Eltern – ihren Personenstand ändern. Diesem Schritt folgen oft lebenslange Hormongaben und schwere operative Eingriffe. Gesunde Körper werden so verstümmelt und lebenslang krank gemacht. Qui en profite? Auch gewisse Therapeuten, Ärzte und Teile der Pharmaindustrie.

Allen voran propagieren die Grünen eine quasi unbegrenzte „Toleranz“ in der Transpolitik. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt die sich als Auslieferung von Jugendlichen und Frauen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Grünen sich in der Sexualpolitik verrennen. In den 80er und 90er Jahren wollten sie im Namen der „sexuellen Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ die Sexualität Erwachsener mit Kindern legalisieren. Und als Feministinnen wie ich sich dagegenstellten und Täter und Opfer benannten, wurden wir als prüde und rückschrittlich, ja sogar des „Missbrauchs vom Missbrauch“, also der falschen Anschuldigungen, bezichtigt.

Jetzt, wo wir auf die ungeheuren Gefahren einer geschlechtlichen „Selbstbestimmung“ gerade für Kinder und Jugendliche aufmerksam machen, werden wir als „transfeindlich“ diffamiert. Diese Art Scheintoleranz ist auf den immer gleichen Kern zurückzuführen: auf das Leugnen der Machtverhältnisse, zwischen den Geschlechtern wie den Generationen.

"Transsexualität - Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?" (KiWi) gibt es auch im EMMA-Shop.
"Transsexualität - Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?" (KiWi) gibt es auch im EMMA-Shop.

Doch noch ist es nicht zu spät. Noch sollten wir auf Aufklärung setzen. Aufklärung über die dramatischen Folgen, die ein solches „Selbstbestimmungsgesetz“ für all diejenigen hätte, die eben keinen irreversiblen seelischen Konflikt in Bezug auf ihre „Geschlechtsidentität“ haben, sondern lediglich eine phasenweise Irritation ihrer Geschlechterrolle. Eine sehr berechtigte Irritation! Die aber ist in der Regel nicht mit Hormonen und dem Messer zu beheben, sie ist auch kein medizinisches Problem, sondern ein gesellschaftspolitisches.

Mehr noch: Durch den subjektiven, beliebigen Umgang mit der Geschlechterzugehörigkeit würde die Kategorie Geschlecht aufgelöst. Auch rechtlich und statistisch. Erforschungen wie eine gendergerechte Medizin, der Gender Gap oder die Femizide wären nicht mehr möglich. Geschlechtsspezifische Gesetze müssten geändert werden, jegliche Frauenförderung würde obsolet.

In Ländern wie Schweden oder Großbritannien hat man die Gefahr erkannt. Da sie in sexualpolitischen Fragen traditionell fortschrittlicher sind als Deutschland, hatten sie die Schnellstraße in die Transsexualität früher geebnet – und rudern jetzt entschieden zurück. In beiden Ländern wurde die Absicht, eine gesetzliche „Selbstbestimmung“ des Geschlechts einzuführen, im letzten Augenblick gestoppt.

Es besteht darum die Hoffnung, dass auch hierzulande die Gefahr noch rechtzeitig erkannt wird: die Gefahr, Irritationen der Geschlechterrolle zu verwechseln mit ernsthaften Geschlechtsdysphorien.

Diese Geschlechtsrollen-Irritation ist mehr als verständlich in einer Welt, in der den Mädchen einerseits gesagt wird: Ihr seid gleichberechtigt, euch steht die Welt offen – es jedoch andererseits gleichzeitig eine Körperpolitik für Frauen gibt, die sie zurückstößt ins Vorgestern. Die Botschaften waren noch nie so doppeldeutig und so verwirrend wie in diesen Zeiten des Umbruchs. Helfen wir diesen Mädchen – und „heilen“ wir sie nicht, indem wir ihre Körper mit Hormonen und Operationen traktieren und sie zu „Männern“ machen. Bestärken wir sie eher darin, weibliche Menschen zu sein und frei. Einfach Menschen.

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