Ist Weinstein nicht schuldig?

Der Prozess um den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein muss neu aufgerollt werden. - IMAGO
Artikel teilen

Die Schauspielerinnen Rosanna Arquette, Rose McGowan und Louisette Geiss auf den Stufen des Gerichtsgebäudes in New York, unterstützt von der kalifornischen Frauenrechtlerin Gloria Allred und hunderten Frauen, die wie sie die konsequente Verfolgung von Sextätern durch die amerikanische Justiz forderten: Nichts hat die Bewegung #MeToo stärker geprägt als diese Szenen damals während des ersten Vergewaltigungsprozesses gegen Harvey Weinstein vor vier Jahren. Als der gestürzte Hollywood-Mogul dann wegen Vergewaltigung der Schauspielerin Jessica Mann und sexueller Nötigung der Produktionsassistentin Mimi Hayeli zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde, feierte ganz Amerika. Zumindest die weibliche Hälfte.

Anzeige

Das Signal, ließen Feministinnen, Frauenverbände und JuristInnen wissen, sei unmissverständlich. Jeder Mann, der vergewaltigt, missbraucht oder belästigt, wird von nun an zur Rechenschaft gezogen – selbst ein vermeintliches Alphatier wie Weinstein.

 Rosanna Arquette (vorne), Rose McGowan (re) und Louisette Geiss 2020 vor dem Gerichtsgebäude in New York.
Rosanna Arquette (vorne), Rose McGowan (re) und Louisette Geiss 2020 vor dem Gerichtsgebäude in New York.

Dass der New York Court of Appeals das Urteil gegen den 72-Jährigen jetzt am Donnerstag aufgehoben hat, ist nicht nur ein Schlag für Staatsanwaltschaft und Strafgericht. Die Entscheidung der New Yorker BerufungsrichterInnen, den Prozess Weinstein neu aufzurollen, wird auch viele Amerikanerinnen künftig zögern lassen, Vergewaltigungen anzuzeigen.

Fast ironisch mutet an, dass die RichterInnen das Aufheben des Urteils mit der Zahl der Zeuginnen gegen Weinstein begründeten. Der Gründer der Filmgesellschaften Miramax und The Weinstein Company (TWC) soll mehr als 80 Models und Nachwuchsschauspielerinnen vergewaltigt und missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Frauen aussagen lassen, deren Vorwürfe gegen den Filmemacher nicht zur Anklage gehörten. Die „prior bad acts“, Schilderungen weiterer mutmaßlicher Übergriffe des Vergewaltigers, sollten ein Missbrauchsmuster belegen.

Das Berufungsgericht stellte Fehler fest. Was wird jetzt aus dem zweiten Urteil?

Das Berufungsgericht kam jetzt aber zu dem Schluss, dass die ungeprüften Anschuldigungen einen Missbrauch juristischen Ermessens und damals einen Verfahrensfehler darstellten. BeobachterInnen fürchten schon um das Urteil in Weinsteins zweitem Vergewaltigungsprozess. Auch während des Verfahrens in Los Angeles, wo der New Yorker Anfang 2023 zu weiteren 16 Jahren Haft verurteilt wurde, hatten Zeuginnen zu „früheren bösen Taten“ ausgesagt.

Viele AmerikanerInnen fragen sich inzwischen, ob prominente Seriensextäter überhaupt juristisch zur Strecke zu bringen sind. Ob die Entscheidung des Court of Appeals die #MeToo-Uhr zurückgedreht hat. Vor drei Jahren hatte ein Gericht in Pennsylvania wegen Verfahrensfehlern schon das Missbrauchsurteil gegen den Comedian Bill Cosby kassiert, der angeblich mehr als 100 Frauen betäubt und sexuell missbraucht hatte.

„Die Aufhebung des Urteils in der Causa Weinstein ist institutionalisierter Betrug“, fasste die Schauspielerin Ashley Judd, eines der bekanntesten Gesichter der MeToo-Bewegung, zusammen.

Warum Harvey Weinstein dennoch als Sextäter gilt und in Haft bleibt

Die #MeToo-Initiatorin Tarana Burke warnte dagegen davor, die juristische Kehrtwende zu überschätzen. „Vor zehn Jahren hätten wir einen Mann wie Harvey Weinstein nicht mal in einen Gerichtssaal bekommen“, sagte Burke.

Und die gute Nachricht in der schlechten Nachricht? Hollywoods früher mächtigster Strippenzieher bleibt trotz des aufgehobenen Urteils in Haft. Nach einem zweiten Schuldspruch wegen Vergewaltigung in Los Angeles 2022 gilt Weinstein weiterhin als Sextäter. Bis zur Neuauflage des Strafprozesses in Manhattan schicken ihn die New Yorker Justizbehörden jetzt voraussichtlich nach Kalifornien, wo er ein weiteres Mal eine Gefängniszelle bezieht.

Die Erfolge von #MeToo gegen bislang Unantastbare wie R. Kelly, Starmoderator Matt Lauer, Medienzar Les Moonves und Sean „Diddy“ Combs, der nach Missbrauchsvorwürfen vor einigen Wochen Besuch von der amerikanischen Bundespolizei bekam, geben der 50-jährigen Tarana Burke Recht. Die Entscheidung des New York Court of Appeals in der Causa Weinstein ist zwar ein Dämpfer. #MeToo kann sie aber nichts anhaben.

CHRISTIANE HEIL

 

Artikel teilen
 
Zur Startseite