Das waren "Zauberhafte Zeiten"

Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit: Sie hatte nicht nur Schlagkraft, sondern auch Humor. - Foto: Bettina Flitner
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Im Mai 1949, als der historische Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz geschrieben wurde, waren Sie 16 Jahre alt. Haben Sie die Zeit bewusst erlebt?
Lore Maria Peschel-Gutzeit: Oh ja! Unsere Mutter war eine politisch sehr interessierte Frau, die auch an der Volkshochschule Politikkurse gab. Und die hat natürlich mit meiner Schwester und mir die gesamte Verfassung erörtert, die ja die erste demokratische Verfassung war, die wir Kinder erlebten. Zu diesen Diskussionen gehörte selbstverständlich auch der Kampf um die Gleichberechtigung, über den auch die Zeitungen ausführlich berichteten. Interessanterweise stand in den Zeitungen allerdings kaum etwas darüber, dass so viele Männer dagegen waren.

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Vor der Nazizeit hatte es in der Weimarer Reichsverfassung wörtlich geheißen: „Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Genau. Unsere Mutter erklärte uns, dass die Gleichberechtigung in der Weimarer Verfassung zwar ein sogenanntes Staatsziel war, der Artikel 3 aber ein echtes Grundrecht ist, auf das sich jeder – und vor allem jede – berufen kann. Leider gab es in der weiblichen Bevölkerung kein Bewusstsein dafür, was die Frauen durch den Artikel an Stärke hinzugewonnen hatten.

Dabei hatten sie während des Krieges die Männerberufe übernommen und als „Trümmerfrauen“ das Land wieder aufgebaut.
Ich habe selbst in den Trümmern Steine behauen, damit man sie wieder verwenden konnte. Aber die Frauen wurden ja wieder zurückgedrängt. Die Mutter meiner besten Freundin zum Beispiel war Schaffnerin, die im Krieg Straßenbahnfahrerin wurde, weil die Männer ja im Feld waren. Als die Männer aus der Gefangenschaft zurückkamen, wurden die Straßenbahnführerinnen bei der Hamburger Hochbahn wie selbstverständlich von heute auf morgen entlassen. Die sollten dann wieder als Schaffnerinnen mitfahren. Die Mutter meiner Freundin war außer sich und sagte: „Das ist doch nicht zu glauben! Wir haben im Krieg bei Bombenhagel die Straßenbahnen geführt und jetzt werden wir degradiert und die Männer an die Kurbel gestellt!“ Ich habe viele solcher Beispiele erlebt. Eine gelernte Juristin hatte die Kanzlei ihres Mannes während des Krieges weitergeführt. Als er nach Hause kam, verlor sie sofort die Zulassung, in der Kanzlei auch nur mitzuarbeiten. Die Frauen hatten zurückzutreten – da gab es überhaupt kein Vertun.

Die Wut der Frauen muss doch groß gewesen sein.
Ich habe es eher als Resignation erlebt. Und da viele Männer krank und versehrt aus dem Krieg zurückgekommen waren, da es kaum Wohnungen gab, da die Versorgungslage immer noch sehr schlecht war, hatten die Frauen so viel mit der Existenzsicherung zu tun, dass viele wohl nicht mehr die Kraft hatten, auf die Barrikaden zu gehen.

Auch die Gesetzgebung, die Frauen zu Bürgern zweiter Klasse machte, blieb zunächst weiterhin bestehen.
Im damaligen Familienrecht war noch die „alleinige ehemännliche Verwaltung und Nutznießung des gesamten Familienvermögens“ verbrieft. Der Mann konnte also über das gesamte Einkommen und Vermögen der Frau verfügen und bestimmen. Außerdem gab es das Recht des Ehemannes, über alle Fragen, die die Kinder betrafen, allein zu entscheiden. Die Mutter hatte, bis auf ein bisschen persönlicher Fürsorge, überhaupt nichts zu sagen zur Entwicklung des Kindes. Das waren natürlich zauberhafte Zeiten.

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