Wie wählten die Geschlechter?

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Ich schreibe diesen Text am 16. Oktober, einen Tag vor Druck der EMMA. Noch wissen wir nicht, welche Parteien die nächste Regierung bilden und schon gar nicht, wer im ­Kabinett sitzen wird. Wird Merkels frommer Wunsch, dass die Hälfte der Minister weiblich sein soll, wahr? Wir werden sehen.
Der Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten, die die Union diesmal ins Rennen schickt, liegt jedenfalls nicht bei 50, sondern bei 19 Prozent. Aber immerhin noch über dem der AfD (11 %).

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Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf das Wahlverhalten der Frauen und Männer. Das ist seit 1994 mein Spe­zialthema (damals habe ich meine Abschlussprüfung in Politikwissenschaften über „Weibliches Wahlverhalten“ gemacht). Lange war ich mit dem Thema Gender Gap in Deutschland ziemlich allein – und habe die „Forschungsgruppe Wahlen“ nach jeder Wahl mit meinen Anfragen genervt. Als ich einmal außerdem anfragte, warum sie die Gender-­Zahlen nicht veröffentlichten, lautete die knappe Antwort sinngemäß: Irrelevant.

Bei dieser Bundestagswahl 2017 aber war alles anders. Nicht nur Jörg Schönenborn vermeldete ganz gegen seine Gewohnheit das unterschiedliche Wahlverhalten der Geschlechter, sondern sogar die Tagesschau. Warum? Weil à propos AfD niemand mehr übersehen konnte, dass Männer rechter wählen als Frauen. Fast doppelt so viele Männer (16 %) wie Frauen (9 %) hatten ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten gemacht. Im Osten ist die AfD mit 26 Prozent bei den Männern gar die stärkste Partei geworden.

Dieses Ausmaß des männlichen Rechtsdralls ist neu. Das Phänomen selbst ist es nicht. „Frauen wählen anders. Nirgends ist diese These sichtbarer als bei der relativen Zurückhaltung der Wählerinnen gegenüber den rechtsextremistischen Republikanern und auch der Deutschen Volksunion. Zwei Drittel ihrer Wählerschaft sind ­Männer, nur ein Drittel Frauen“, schrieb EMMA 1993. Ein Vierteljahrhundert ­später klafft der Geschlechtergraben noch weiter auseinander.

Das hängt zum einen mit der generellen Skepsis von Frauen gegenüber polternden Politparolen zusammen. Auch radikal links wählen Frauen traditionell zurückhaltender als radikal rechts.

Zum anderen sind gerade rechte Parteien nicht nur traditionell rassistisch, sondern auch traditionell sexistisch. Im Falle AfD heißt das: Rückbesinnung auf „die natürlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen“. Das Recht auf Abtreibung steht auf der AfD-Abschussliste, dafür soll das Schuldprinzip bei Scheidung wieder eingeführt werden. Und das Bundesfrauenministerium will die Partei umbenennen in „Bundesministerium für Familie und Bevölkerungsentwicklung“. Solche Retro-Töne dürften so manche Frau davon abgehalten haben, ein Protest-Kreuz bei der AfD zu machen. Wohingegen so mancher Mann, der den Siegeszug der Emanzipation mit in der Tasche geballter Faust beobachtet, in der Wahlkabine gern auch für die Wiederherstellung der guten alten Geschlechterordnung votierte.

Dafür spricht, dass auch die CDU/CSU einen historischen Gender Gap zu verzeichnen hat, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Acht Prozent mehr Frauen als Männer wählten Angela Merkel. Die Kanzlerin verlor bei ihren weiblichen Wählern sieben Prozent (von 44 % auf 37 %), zehn Prozent aber verlor sie bei den Männern (von 39 % auf 29 %).

2009, also nach ihrer ersten Legislaturperiode, hatte Merkel der SPD den ­Frauenüberschuss abgejagt, den die Sozial­demokraten seit den 1970er-Jahren, sprich: seit Aufbruch der Frauenbewegung gehabt hatten. Die Wirkung einer Frau an der Spitze dürfte dazu ebenso beigetragen haben wie die fortschrittliche Familienpolitik von Ursula von der Leyen.

Kehrt sich diese Entwicklung nun wieder um? Nein, keineswegs. Auch die Sozial­demokraten mit Spitzenkandidat Martin Schulz verloren durchweg bei den Frauen, je nach Altersgruppe zwischen drei und sechs Prozent. Mit 20 Prozent liegt die SPD bei den Wählerinnen minimal schlechter als bei den Wählern (21 %).

Etwas größer ist der Gender Gap bei der FDP und den Grünen: nämlich jeweils drei Prozent. Doch während die Grünen wie immer häufiger von Frauen gewählt werden, holt der liberale Quoten-Gegner Lindner mehr Männerstimmen.

Die Linke, traditionell stets mehr von Männern gewählt, ist diesmal die einzige Partei ohne Gender Gap. Sie holt also – womöglich dank Sahra Wagenknecht? – bei den Frauen auf.

Wie auch immer die neue Regierung aussehen und was immer sie sich in den Koalitionsvertrag schreiben wird – eins dürfte inzwischen allen Parteien klar sein: Frauen und Männer wählen anders. Das hat Gründe. Und die sind keineswegs irrelevant.

Chantal Louis

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