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Jede dritte Frau ist heute drin. Aber Mädels: Worauf wartet ihr eigentlich, auf Pornojagd zu gehen im Internet? Und auch und vor allem den in der virtuellen Welt grassierenden Sexisten endlich so richtig Beine zu machen!
"Sie haben Post". Wenn die freundliche Frauenstimme im Computer die Nachricht säuselt, dann freuen sich UserInnen. Zumindest in der Werbung. Doch im Leben sind immer mehr Frauen vom Blick in den virtuellen Briefkasten genervt. "Jetzt platzt Dir die Hose" droht die Betreffzeile - doch frau platzt gleich der Kragen. Denn die E-Mail von Mausi4331 ist nicht die einzige, die unerwünscht im Postfach landet. "Livesex mit Muschi-Einblickcam" oder "Geiler Sex-Chat ab 18" wird da am laufenden Band angeboten.
Und das ist noch die harmloseste Form von Pornografie, mit der frau in der Welt des Internets belästigt wird. Bei E-Mails mag ja die schnelle Entsorgung - nicht öffnen, direkt löschen - funktionieren. Aber um die Vielzahl von "erotischen" Bildern - vom anzüglichen Werbebanner bis zum Hardcore-Porno - nicht zur Kenntnis zu nehmen, müsste frau schon verschleiert durchs WorldWideWeb surfen. Beim Anklicken von Seiten öffnen sich Pop-Ups, auf denen für Porno-Seiten geworben wird; die Anbieter von E-Mail-Accounts locken mit dem besonderen Puzzle-Spaß, Motto "Bastel dir deine exotische Schönheit"; und wer in einer Suchmaschine schlicht den Begriff "Frauen" eingibt, dem springt als erstes die Anzeige "8000 Bilder - Kontakte zu russischen Frauen" ins Auge.
Wen wundert's: Pornografie ist das einzige Geschäft, das im Netz wirklich eines ist. Mehr als 70 Prozent des gesamten Online-Umsatzes in Europa und den USA werden heute mit Online-Pornografie gemacht. In diesem Jahr soll der weltweite Umsatz auf drei Milliarden Dollar steigen.
Und jeden Tag präsentieren sich im Netz rund 20.000 neue Porno-Seiten - die größte Resonanz europaweit haben sie in Deutschland. Ein Drittel aller Surfer vor deutschen PCs klickt regelmäßig Porno-Seiten an, mehr als acht von zehn sind Männer. Nirgendwo ist es leichter, namens- und gesichtslos seinen Fantasien freien Lauf zu lassen.
In Deutschland ist mittlerweile jeder zweite Mann online (bei den 20- bis 29-Jährigen sind es sieben von zehn) und jede dritte Frau (mehr als sechs von zehn bei den 20- bis 29-Jährigen). "Aber die Atmosphäre hat sich dadurch nicht besonders verändert", klagt der Detlef Drewes, Autor von "Kinder im Datennetz - Pornografie und Prostitution in den neuen Medien" (Eichborn Verlag), der seit 1994 systematisch die Entwicklung der dunklen Seite des Internets beobachtet. Im Gegenteil, sie hat sich verschärft. Egal ob in Chaträumen, bei kommerziellen Anbietern oder auf privaten Homepages: Was sich da mit Verweis auf das Recht der freien Meinungsäußerung so tummelt, wird immer sadistischer, immer drastischer, immer hemmungsloser.
Da bieten Männer ihre Frauen als Amateurprostituierte an und verschicken Bilder der Gattin - besonderer Kick: sie weiß nichts davon. Da treffen sich brave Ehemänner am Wochenende nachmittags im Chat zum gemütlichen Plausch über das Sexualleben ihrer Frau und überlegen dann, wie sie es ihr gemeinsam so richtig besorgen könnten. Da fachsimpeln perverse Experten über ihre Fantasien vom Fesseln, Schlagen und Vergewaltigen etc. etc.
"Ich bekomme ein ungutes Gefühl, mich an Diskussionsforen zu beteiligen, wenn ich daran denke, was für Leute da meine E-Mail-Adresse in die Hand bekommen. So eingeschüchtert habe ich mich im wirklichen Leben schon lange nicht mehr gefühlt", klagt EMMA-Leserin Karen Thöle. So und ähnlich reagieren inzwischen viele Frauen. Der Empörung folgt der Rückzug oder das Versteckspiel: Frau verbirgt ihr Geschlecht, um nicht belästigt zu werden.
Das brachte Susann Ricke aus Bolande und Mitstreiterinnen auf die Idee zu einem "pornografie- und gewaltfreien Internet-Zugang": das Projekt "Fraude". Internet-Nutzerinnen schaffen einen Raum, in dem sie unter sich sind - erkennbar an der Endung ".frau" (statt beispielsweise ".com"). Nur Nutzerinnen und Frauenorganisationen können sich hier registrieren lassen. Zugleich verpflichten sie sich, keine pornografischen, frauenverachtenden, gewalttätigen oder allgemein menschenrechtsverletzenden Inhalte zu veröffentlichen bzw. zu unterstützen, und ihre E-Mail-Adresse nur an Frauen weiterzugeben. Eine Beschwerdestelle kontrolliert die Einhaltung.
Gute Idee! Aber so ein Frauenschonraum reicht nicht. Wo sind die Userinnen, die das Terrain verteidigen statt sich zurückzuziehen? Noch scheint es sie nicht zu geben. Aber das könnte sich ja ändern.
Sicher, Frauen regen sich auf. Jede für sich. Sie schimpfen in Foren über den Porno-Müll. Sie schließen wütend Werbebanner. Sie lassen die Adresse als unerwünschte Mails speichern. Sie schicken böse Antworten an die Absender. Aber deren Adresse ist sowieso meist falsch, oder aber die Mails gehen sanglos unter - doch frau gibt damit ihre Adresse preis. Individueller Protest verhallt in einem System, das auf Vernetzung baut.
Und darum beschloss das Europäische Parlament 1999 einen Aktionsplan "zur Förderung einer sicheren Nutzung des Internets". Ziel ist unter anderem ein europäisches Netzwerk, das die Hotlines der verschiedenen Länder koordiniert - an das sollen sich AnwenderInnen wenden, wenn sie über "illegale oder gegen die Menschenwürde verstoßende" Inhalte stolpern. Außerdem sollen Einrichtungen EU-gefördert werden, die Internet-Inhalte kritisch auf Rassen, Glaubens- oder Frauenhass überprüfen. Runde 25 Millionen Euro wurden in den ersten vier Jahren in dieses Programm investiert - gegen Frauenhass aber ist auch da bisher nichts geschehen. Bislang hat die EU nur die Kinderpornografie im Visier: 13 Meldestellen in elf Ländern zählt das Programm.
Doch in Phase zwei will die EU endlich offensiver vorgehen: 2003 und 2004 soll es auch dem Sexismus und Rassismus an den Kragen gehen: Indem weitere Meldestellen unterstützt werden, verpflichtende Selbstkontrollen mit Anbietern vereinbart und neue Filtertechniken gestärkt werden. Aber: Was genau soll da eigentlich gefiltert, kontrolliert und gemeldet werden? Um das zu wissen, bräuchte es zuerst einmal eine klare Definition, was man(n) in der EU überhaupt unter Sexismus versteht. Doch wie soll europaweit gehandelt werden, wenn die Länder selbst das Problem noch nicht erkannt haben? Dazu müssten Strafgesetze her, nach denen die EU-Meldestellen handeln könnten.
Denn zwar sind Fremdenhass und Rassismus ein Thema, mehr noch: ein geächtetes und strafbares Vergehen in Deutschland. "Frauenhass" aber existiert bis heute noch nicht einmal als erkanntes Problem - geschweige denn als statistisch-erfragtes und juristisch-definiertes Delikt. Nicht nur eine Aufgabe für Brigitte Zypries, die neue Justizministerin.
Gleichzeitig tut Selbsthilfe not - Internet-Fighterinnen sind gefragt! Piratinnen, die durch das virtuelle Meer surfen und ihre Klinge ziehen, sobald der Frauenhass am Horizont auftaucht. Wie wär's mit einer Webseite www.piratinnen-im-netz.de! Die könnte zur Insel des Widerstands werden, auf der alle diejenigen Nutzerinnen (und Nutzer) sich treffen, denen es reicht und die handeln wollen. Die zum Beispiel Providern mit Kündigung oder Ächtung drohen, wenn sie weiterhin Kunden tolerieren, die Pornos anbieten! Die Anbieter und Seiten boykottieren, die UserInnen mit Frauen- und Kinderhass überschütten! Die beim Jugendschutz und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia Dienstanbieter (FSM) petzen. Die die EU-Meldestellen wachküssen und der Justizministerin stecken, wo's lang geht beim Kampf gegen den Menschenhass im Internet.
Piratinnen, die schon eine Idee haben, wie so eine Insel des Widerstands aussehen könnte; die die Homepage gestalten, programmieren und betreuen wollen: Meldet Euch bei info@EMMA.de»! Wir sind rasend gespannt auf Eure Ideen in unserem Briefkasten: Sie haben Post!
Bianca Pohlmann, EMMA Januar/Februar 2003
In EMMA u.a. zum Thema: Der globale Zugriff, September/Oktober 1997; Pornos im Internet, März/April 1996.

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