Yasmin Fahimi: die DGB-Chefin

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Mit Anfang zwanzig lernte Yasmin Fahimi als Studentin eine Lektion fürs Leben. In der Schule hatte sich die Tochter eines Chemikers schon immer leidenschaftlich für Chemie interessiert. Doch der Lehrer im Chemie-Leistungskurs im Gymnasium von Isernhagen bei Hannover riet dem gesamten Kurs von einem Chemie-Studium ab, „weil es das schwierigste Studium sei, das es gibt. Wenn überhaupt, könnten das nur zwei in der Klasse“, erzählt Fahimi. „Und dann hat er auf seine beiden Lieblingsjungs gezeigt.“

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Gewalt gegen Frauen verhindert immer ein selbstbestimmtes Arbeitsleben!

Das talentierte Mädchen probiert es also zunächst mit Elektrotechnik, Jura und Soziologie. Stellt dann aber fest, dass „mich so richtig nur die Grundlagenvorlesungen bei anorganischer Chemie begeistert haben“. Heute ist Yasmin Fahimi Diplom-Chemikerin. Und seit dem 9. Mai 2022 die Vorsitzende des mächtigen Deutschen Gewerkschaftsbundes – als erste Frau nach elf Männern. Ihr Weg hängt auch mit der Pointe dieser Geschichte zusammen: Die Ausgebremste erfuhr später, dass der Chemie-Lehrer selbst das Studium abgebrochen hatte. „Ich wurde also von dem, was ich gut konnte, von einem Mann abgehalten, der selbst daran gescheitert war“, erzählt Fahimi. „Da lernt man dann tatsächlich fürs Leben.“ Seither hat sich die 54-Jährige von nichts mehr abhalten lassen.

Die junge Fahimi engagierte sich auch politisch, bei der SPD. Sie wurde 1986 Mitglied der SPD und aktive Juso, nach dem Studium 16 Jahre lang Gewerkschaftssekretärin bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, dann 2014 SPDGeneralsekretärin und 2016 schließlich Staatssekretärin im Arbeitsministerium von Andrea Nahles. Als DGB-Vorsitzende soll sie nun dem unter chronischem Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaftsbund auch mehr Frauen bescheren. In zwei der acht Mitgliedsgewerkschaften, bei Ver.di und der GEW, sind die Frauen zwar inzwischen in der Mehrheit, aber insgesamt ist im DGB nur jedeR dritte KollegIn weiblich.

„Dass wir Frauen schwerer erreichen als Männer, liegt natürlich auch daran, dass sie sehr viel häufiger in Teilzeit oder Minijobs beschäftigt sind und das auch noch in Branchen, die oftmals viel kleinteiliger sind“, erklärt Fahimi beim Zoom-Gespräch aus ihrem Berliner Büro. Fahimi will deshalb „Minijobs zurückdrängen und die sachgrundlose Befristung von befristeten Arbeitsverträgen abschaffen“. Und dann ist da noch etwas: „Solange wir die Gewalt gegen Frauen nicht beenden, werden wir nicht sicherstellen können, dass es ein selbstbestimmtes Arbeitsleben der Frauen gibt.“

Man kann sich gut vorstellen, dass der DGB-Männerbund Respekt vor ihr hat

Die Wissenschaftlerin Fahimi formuliert ein bisschen formeller, als man es von einer Gewerkschafterin erwartet, aber dafür ist ihre Stimme so tief und ihr Auftritt so gestanden, dass man sich sehr gut vorstellen kann, dass der Männerbund DGB Respekt vor dieser Frau hat.

„Ich bin sicher sehr geprägt von einer besonderen Familienkonstellation“, sagt Yasmin Fahimi. Ihr Vater, ein Iraner, der in Deutschland Chemie studiert hatte, starb 1967 im Iran bei einem Autounfall. Fahimis deutsche Mutter war gerade mit ihr schwanger. Nach dem Tod ihres Ehemannes ging sie zurück nach Deutschland und musste allein für das Baby und den vierjährigen Sohn sorgen. Die Familie lebte „in einfachen Verhältnissen, aber meine Mutter hat sich durchgeschlagen“. Die Kauffrau wird später das Fachabitur nachholen und Sozialpädagogin werden.

Das Thema Flucht prägt beide Seiten der Familie: Die deutsche Großmutter floh 1945 mit ihren beiden Töchtern aus Ostpreußen übers Eis ins Emsland, die iranische Familie flieht 1979 „vor der sogenannten Revolution,“ sagt Fahimi. „Und mittendrin wird man dann einfach selbstverständlich groß und versucht, seine Interessen und Leidenschaften zu entdecken. Was mich in der Schule gerettet hat, war, dass mir Dinge leicht gefallen sind, die logisch waren.“ Da sieht sie einen Zusammenhang zwischen Chemie und Politik: „Ich wollte verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber auch, was sie aus den Angeln heben kann.“ Ob Yasmin Fahimi den DGB aus den Angeln heben wird, ist abzuwarten. Verändert hat sie ihn schon jetzt.

CHANTAL LOUIS

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Inflation: Wie gegensteuern?

Foto: Martin Schutt/ZB/picture alliance
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Fast zwei Jahrzehnte war sie kaum ein Thema. Doch nun ist sie wieder da, die Inflation. Die Preise steigen – und das könnte durchaus noch eine ganze Weile so weiter gehen. Denn es treffen derzeit weltweit einige Entwicklungen aufeinander und verstärken sich sogar gegenseitig, die stark preistreibend wirken.

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Da ist zum ersten die Corona-Pandemie mit den ausgelösten Lockdowns. Weltweit haben sich durch Corona Angebot und Nachfrage in kaum je dagewesenem Maß verschoben. Zudem sind die weltweiten Lieferketten unterbrochen. Doch: Für uns in Europa und vor allem in Deutschland noch wichtiger ist zweitens, dass Putin und der Westen mit Gaslieferungen Politik machen. Putin reduziert die Gaslieferungen so sehr, dass die Preise extrem in die Höhe geschossen sind. Dahinter dürfte die Idee stehen, den Westen zu Zugeständnissen im Konflikt um die Ukraine zu bringen.

Und dann ist da ein dritter Trend, der bleiben und ebenfalls die Preise beeinflussen wird. Das ist die Demografie! In Europa, aber eben auch in Asien und vor allem in China, geht die Zahl der Männer und Frauen im erwerbsfähigen Alter zurück. Damit wird Arbeit tendenziell teurer. Das erschwert die bisherige Politik von weltweit tätigen Großkonzernen, die Produktion immer weiter in Niedriglohnländer zu verlagern.

Die Preise steigen - und das könnte noch eine ganze Weile so weitergehen

Damit sind wir aber auch schon bei Strategien gegen die Geldentwertung. Spielen wir das anhand einer Putzhilfe durch. Nehmen wir an, Sie sind eine Putzhilfe und arbeiten in Privathaushalten. Wie sehr sind die Menschen, deren Wohnungen Sie sauber halten, auf Sie angewiesen? Wenn Sie heute zehn Euro die Stunde bekommen und morgen zwölf Euro verlangen würden, was wäre die Reaktion?

Drei Varianten sind möglich: Erstens – und für Sie am besten: Ihre KundInnen akzeptieren die Preiserhöhung, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Dienstleistung ist ihnen so wichtig, dass sie die Preiserhöhung hinnehmen.

Zweite mögliche Reaktion: Sie akzeptieren die Preiserhöhung, reduzieren aber die nachgefragte Stundenzahl. Statt vier Stunden werden Sie nur noch drei Stunden beschäftigt. Damit reduziert sich Ihr Verdienst von 40 auf 36 Euro.

Die dritte Variante ist, – was wahrscheinlich diejenigen erleben, die nur einen einzigen Auftraggeber haben, also fest angestellt sind – Ihr Auftraggeber stöhnt gewaltig und sagt, dass er sich das nicht leisten könne! Sie stöhnen und sagen, dass aber alles teurer werde! Nach kurzem oder längerem Hin und Her einigen Sie sich auf eine Lohnerhöhung von zehn statt 20 Prozent.

Die Zeit, in der Faustkeile gegen Honigmet getauscht wurde, ist vorbei

Egal, um welche Dienstleistung oder welche Ware es geht – alle Preisfindungsprozesse werden nach diesen drei Mustern ausgehandelt. Beispiel russisches Gas: Noch ist die Energiewende nicht geschafft, noch sind wir abhängig davon. Also müssen wir zahlen, was die russischen Energieunternehmen fordern. Denn die Alternative, im Winter einfach die Heizung abzuschalten ist keine – oder eben erst, wenn wir genügend Windräder und Wärmepumpen in Deutschland installiert haben, um unsere eigene Energie herzustellen.

Angebot, Nachfrage und die Reaktionen auf Änderungen von beidem liegen also allen Preisverschiebungen zugrunde. Warum aber ist dann in den Nachrichten immer auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Zinsen die Rede? Ganz einfach: Zins ist der Preis des Geldes. Und Geld ist unser Universal-Tauschmittel für alle wirtschaftlichen Transaktionen. Denn die Zeit, in der Faustkeile gegen Honigmet getauscht wurden, sie ist vorbei.

Um die vielfältigen Krisen der vergangenen Jahre – von der Weltfinanzkrise 2008/9 bis hin zu Corona – in den Griff zu bekommen, haben die Zentralbanken und die Regierungen die Geldmenge massiv erhöht. Dieses „neue“ Geld ging beispielsweise in Form von Coronahilfen an die Wirtschaft, aber auch an BürgerInnen. Ökonomisch gesehen nahm damit das Angebot an Geld sehr deutlich zu. Weil aber die Nachfrage nach Geld – beispielsweise für Investitionen in Fabriken oder den Bau von Windrädern – nicht gleichstark zunahm, ist der Preis des Geldes und damit der Zins immer weiter gesunken.

Wenn die Zentralbanken weltweit nun darüber nachdenken, den Zins zu erhöhen – oder im Fall der USA auch schon definitiv angekündigt haben –, bedeutet das vor allem eines: der Preis des Geldes steigt wieder. Damit verändern sich dann auch wieder Angebot und Nachfrage nach Geld: Eine Anlegerin wird sich möglicherweise dafür entscheiden, ihr Geld lieber in Zinspapieren anzulegen statt in eine Wärmepumpe zu investieren. Machen das viele, schaffen sie neue Probleme: Der Wärmepumpen-Produzent geht pleite und muss seine Mitarbeitenden entlassen.

Und da wäre noch eine vielsversprechende Strategie für mehr Lohn...

Diese Gedankenexperimente zeigen nicht nur, wie sehr die einzelnen Entwicklungen vom Gaspreis über die Krisenbekämpfung bis hin zu individuellen Anlageentscheidungen miteinander verknüpft sind. Sie zeigen auch das Dilemma der Regierenden und der Zentralbanken weltweit: Eine dauerhaft hohe Inflation ist schlecht. Aber dagegen mit steigenden Zinsen anzukämpfen ist auch problematisch. Was also tun?

Relativ am einfachsten zu analysieren ist der dritte Inflationstreiber: die demografischen Veränderungen. Bis 2030 werden in Deutschland deutlich mehr Menschen in Rente gehen, als Jugendliche und Zuwandernde eine Arbeit aufnehmen. Wer also in Bereichen arbeitet, wo die Nachfrage größer ist als das Angebot, wird sehr wahrscheinlich den Preis für die eigene Arbeit kontinuierlich erhöhen können.

Davon könnten in den nächsten Jahren dann endlich auch gerade die Geringverdienenden profitieren – von der Putzhilfe über den Verkäufer bis hin zum Wachpersonal. Dasselbe gilt für alle, die nicht durch Maschinen ersetzbar sind – im Pflegebereich und Handwerk beispielsweise.

Aber Sie müssen sich eben auch trauen, mehr Geld für die eigene Arbeit zu verlangen. Oder den Job zu wechseln, um bei einem anderen Arbeitgeber mehr zu verdienen. Und dann gibt es da noch die etwas altmodische, aber nichtsdestotrotz immer noch vielversprechendste Strategie für mehr Lohn – sich gemeinsam organisieren und gemeinsam dafür streiten.

MARGARET HECKEL

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