Schleier & Pixel? Auch kein Problem!

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Die „Gemeinsame Wirtschaftsdelegationsreise der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt“ in den Iran sorgt derzeit für Diskussionsstoff. Die rund 100 VertreterInnen aus Wirtschaft und Politik waren vergangene Woche nach Teheran und Isfahan gereist. Im Gepäck: eine 76-seitige Informationsbroschüre über die TeilnehmerInnen. Von zwölf Frauen tragen acht einen Schleier – vom bunten Schal bis hin zum islamistischen Kopftuch. Bei sechs dieser verschleierten Frauen handelt es sich ausgerechnet um offizielle Vertreterinnen der Bundesländer. 

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Die Broschüre diene "nur" als Visitenkarte ...

Die Broschüre sollte eigentlich nur im Iran verteilt werden. Aber über die Facebook-Seite der Aulandshandelskammer Teheran hat sie ihren Weg ins Internet gefunden. So erklärt es Steffen Wehner, Pressesprecher des Ministeriums für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern, der auch an der Reise teilgenommen hat. Aus Schwerin kam der Anstoß für den Besuch im Iran.

Dass in der Broschüre verschleierte Frauen aus Wirtschaft und Politik zu sehen seien, habe einfach „einen praktischen Hintergrund“, erklärt Wehner. Eine Frau, die ein Visum für den Iran beantragt, muss auf dem Passfoto für dieses Visum einen Schleier tragen, informiert auch das Auswärtige Amt über die Einreisebedingungen in den Iran. Und diese Fotos seien dann eben auch in die Broschüre gewandert. „Es gab im Vorfeld keine politische Debatte über die Frage, wie die Frauen gezeigt werden“, behauptet zumindest Wehner. Schließlich handele es sich bei einer Informationsbroschüre dieser Art ja auch „nicht um ein politisches Statement“. Sondern „nur um eine Visitenkarte, die die Unternehmen im Land hinterlassen.“ Bloß: Genau das ist das Problem.

Seit 40 Jahren kämpfen iranische Frauen gegen die Zwangsverschleierung im Gottesstaat – unter Einsatz ihres Lebens. In den vergangenen Jahren besonders offensiv und mutig. Kampagnen wie „My Stealthy Freedom“ beweisen das. Tausende Frauen posten Fotos auf Facebook, wie sie im Iran heimlich ihren Schleier lüften. Dort haben die Macherinnen der Kampagne nun auch ein Statement veröffentlicht. Darin steht: "Wir sprechen über ein Gesetz, das Mädchen schon im Alter von sieben Jahren unter den Schleier zwingt. Das selbst Frauen unter den Schleier zwingt, die sich gar nicht als gläubige Muslimin verstehen. Bei allem Respekt: Wie konnten die Teilnehmerinnen der Wirtschaftsdelegation, die doch sehen müssen, wie Millionen iranische Frauen gegen diese diskriminierende Gesetzgebung protestieren, davon ausgehen, dass ihr Verhalten respektvoll ist?"

Wirtschaftsminister Martin Dulig aus Sachsen hatte die Verschleierung der Teilnehmerinnen aus Deutschland zuvor in einer Pressekonferenz als "Wandel durch Annäherung" bezeichnet. Die Staatskanzlei in Mecklenburg Vorpommern ließ verlauten, man habe die Bilder in der Broschüre ganz bewusst ausgewählt, um "die Gepflogenheiten des Gastlandes zu respektieren." 

Schon als die Grünen-Politikerin Claudia Roth im vergangenen Jahr mit Kopftuch in den Iran reiste, schrieben iranische Frauen einen Protest-Brief: „Liebe Claudia Roth, fordern Sie, dass in unserem Land die Menschenrechte respektiert werden – wozu die Freiheit gehört, selbst zu entscheiden, ob eine Frau sich verschleiert oder auch nicht! Und tragen Sie nicht ohne Not selbst ein Kopftuch in einem Land mit Zwangsverschleierung.“

Heute, ein Jahr später, werden nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Weichen im Iran nochmal stärker neu gestellt. Denn seit die Wirtschaftssanktionen aufgehoben wurden, ist der Iran ein gefragtes Land. Vor allem für Politiker und Unternehmer, die das große Geschäft wittern. Wirtschaftsminister Gabriel war schon vor einem Jahr das erste Mal auf Stippvisite im Gottesstaat. Außenminister Steinmeier reiste in diesem Frühjahr nach Teheran und lud den Iranischen Präsident Hassan Rohani gleich dazu ein, „bei seiner nächsten Europareise auch Deutschland als Besuchsziel in den Blick zu nehmen" (zum Unmut der Kanzlerin).

... und genau diese Haltung ist das Problem!

In welche Richtung die Weichen zukünftig zeigen werden, dafür sorgen allen voran auch Besuche wie die der Wirtschaftsdelegation aus Ostdeutschland. Und was tut die Mehrzahl der Politikerinnen und Unternehmerinnen dieser Delegation? Sie hinterlassen eine Visitenkarte, auf der steht: Mit der Zwangsverschleierung haben wir kein Problem! Nicht auf dem Papier – und auch nicht im echten Leben.

Und so ganz ohne Debatte lief die Planung der Reise in den Iran wohl auch nicht ab. Ines Massih-Richter aus der Stabstelle Außenwirtschaft bei der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt war mitverantwortlich für die Organisation der Delegation aus ihrem Bundesland. „Das Thema hat mich wochenlang beschäftigt, und ich habe mich auch im Iran mit dem Kopftuch sehr schwer getan“, sagt die EMMA-Leserin. Am Ende habe sie sich die Freiheit herausgenommen, zumindest für die Broschüre ein Foto ohne Kopftuch einzureichen – für sich selbst und auch für die Frauen im Iran. „Es ist ja auch nochmal etwas Anderes, ob ich im Iran aus dem Flugzeug steige, und mir dann wegen der gesetzlichen Vorschriften in dem Land ein Kopftuch anziehen muss  – oder ob ich hier eine Broschüre drucke, die Frauen in Deutschland repräsentieren soll“, findet sie.

Die Gespräche mit den iranischen Unternehmerinnen haben Massih-Richter übrigens „sehr beeindruckt“. Dass ihr das Kopftuch bei diesen Gesprächen irgendwann vom Kopf rutschte, ist ihr „gar nicht aufgefallen“, erinnert sie sich. Erst als sie in Teheran wieder auf der Straße stand, kam eine iranische Geschäftsfrau zu ihr und sagte höflich: „Wir sind jetzt draußen – ich glaube, es ist besser, wenn Sie Ihr Kopftuch wieder aufsetzen...“.

PS vom 8. Juni: „Unsinn!“ twitterte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr apropos unseres Artikels. EMMA sollte doch mal „recherchieren“! Der Link, den sie uns mitgeschickt haben, war leider defekt – deshalb haben wir mal recherchiert, was die Social-Media-Redaktion aus Sachsen denn wohl meinen könnte. Und voilà: In unserem Artikel steht prinzipiell nichts, was von der „Information zur Broschüre der AHK im Iran“ abweicht. Nur eben noch etwas mehr. Von „Unsinn“ kann also eigentlich nicht die Rede sein. Plus: Das Staatsministerium fordert die Medien auf, „bei ihrer Berichterstattung das Persönlichkeitsrecht zu respektieren“ und bei einer „Veröffentlichung der Broschüre die Gesichtszüge der Mitarbeiterinnen des Ministeriums unkenntlich zu machen!“ Aber gar kein Thema, liebes Staatsministerium! Wir machen die Frauen in eurem Namen einfach noch unsichtbarer. Auch, wenn es sich um die Teilnehmerinnen einer offizielle Delegation handelt, die im Namen der Bundesländer mit einem ganzen Presse-Korso in den Iran gereist ist - um die Broschüre dort ganz öffentlich zu verteilen.

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Teheran: Vom Kopftuch befreit

Foto: My Stealthy Freedom
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Schritt 1: Sie hat sich die Haare abrasieren lassen und sie gespendet für krebskranke Kinder. Schritt 2: Sie ist auf die Straße getreten mit kahlem Kopf – und ohne Kopftuch. Schritt 3: Sie hat es via Facebook öffentlich gemacht. Sie ist Iranerin und das Ganze spielt in Teheran. Sie schreibt: „Als ich auf die Straße getreten bin, habe ich mir gesagt: ‚Keine Haare – keine Sittenpolizei‘. Diejenigen, die mir immer befehlen, meine Haare zu bedecken, haben jetzt keinen Grund mehr, mich wegen ‚anti-islamischem‘ Benehmen zu verhaften.“

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Die Frauen finden Wege, alles Weibliche zu verstecken

Denn der Iran, der sich gerade unter dem Jubel der internationalen Medien „öffnet“, öffnet sich zwar für die Wirtschaft, aber nicht für die Frauen. Im Gegenteil. Gerade kündigte Teherans Polizeichef an, dass die uniformierten Erschad-Patrouillen, die alle in ihren Augen „anti-islamisch“ gekleideten Frauen prompt verhaften, aufgestockt würden durch 7.000 Polizisten in Zivil. Alle auf der Jagd nach Frauen.

Die iranische Jean Seberg hat ihr Foto bei der Facebook-Gruppe „My Stealthy Freedom“ (Meine heimliche Freiheit) gepostet, deren Initiatorin Mashi Alinejad heute in New York lebt. My Stealthy Freedom veröffentlicht seit Jahren Tausende von Fotos von todesmutigen Iranerinnen, die sich aus Protest entschleiern – während hierzulande für das „Recht auf das Kopftuch“ gestritten wird.

So manche Teheranerin hat sich nicht nur die Haare kurz geschnitten. So wie Narges (Foto re.), eine 19-jährige Sportlerin aus Teheran. Sie geht seit einiger Zeit „als Mann“ in die Öffentlichkeit. „Ein neuer Trend unter Frauen in Teheran“, schreibt sie in einer E-Mail an EMMA. Auch davon gibt es Fotos auf My Stealthy Freedom.

„Männer genießen so viel mehr Freiheiten. Vor allem, weil sie nicht dazu gezwungen werden, einen Schleier zu tragen“, sagt Narges. „Also habe ich Wege gefunden, alles Weibliche an meinem Körper zu verstecken“. Narges trägt weite Hosen und Hemden. Ihre Brüste hat sie mit Bandagen fest an ihren Körper geschnürt. Solange, bis sie „die Form verloren haben“, erinnert sie sich - und die Bandagen nicht mehr nötig waren. „Inzwischen ist es für mich fast schwieriger geworden, mich wie ein Mädchen zu kleiden“, sagt sie.

Dabei möchten sie eigentlich nur Frauen sein - und einfach nur frei

Anfangs schien das sogar erleichternd. Als Junge fühlte sich Narges auf der Straße sicher. Inzwischen aber bedauert die 19-Jährige diesen Zwang umso mehr. „Ich möchte ja eigentlich ein Mädchen sein. Ich hatte nie vor, meine Geschlechtsidentität vollständig umzuwandeln. Ich wurde dazu gezwungen, mich von meiner Weiblichkeit zu verabschieden. Einfach nur, um frei sein zu können.“

Wie so viele Frauen in Iran hat Narges einen Traum: „Ich möchte in einem Land leben, in dem ich es genießen kann, eine Frau zu sein – und nicht so tun muss, als wäre ich jemand anderes.“

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