Mal wieder die Frauen vergessen!

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Der Entwurf des Denkmals für die homosexuellen Opfer in der NS-Zeit muss ergänzt werden: um die lesbischen Opfer. Da sind sich alle einig. Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen?

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Berlin-Friedrichshain, März 1940. An der Wohnungstür von Hildegard Wiederhöft und Helene Treike klingelt die Gestapo. Eine Nachbarin hatte dem Blockwart gemeldet, „dass es sich bei den beiden Frauen um abnorm veranlagte Personen handelt“.

Verhaften können die Herren das Frauenpaar nicht, denn lesbische Liebe steht nicht ausdrücklich unter Strafe. Doch die Gestapo zwingt die beiden Frauen, sich sofort zu trennen, legt eine Kartei über sie an und stellt Helene Treike, die sie für den „männlichen Teil“ der Beziehung hält, unter Beobachtung, um „nötigenfalls weitere Maßnahmen ergreifen zu können“.
Ab Juni 2007, pünktlich zum Christopher Street Day, soll in Berlin ein Mahnmal an die „im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ erinnern. Gegenüber dem Holocaust-Mahnmal mit seinen 2.711 Stelen wird im Tiergarten eine 3,60 mal 4,50 Meter große kastenförmige, gekippte Skulptur stehen, die bewusst Eisenmans Stelenform zitiert. Wer durch die kleine quadratische Öffnung ins Innere des Betonquaders blickt, sieht ein projiziertes Filmbild in Endlosschleife: zwei sich küssende Männer. So will es der Entwurf des von der neunköpfigen Jury (sieben Männer und zwei Frauen) prämierten Künstlerpaares Michael Elmgreen und Ingmar Dragset. Als im Sommer prompt erster weiblicher Protest aufkam, erklärten die offen schwulen Künstler gelassen, sie würden davon ausgehen, dass auch die Lesben sich mit ihrem Mahnmal „identifizieren“ könnten. Und auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), auf dessen Initiative das Mahnmal zum „Gedenken an die homosexuellen NS-Opfer“ im Dezember 2003 vom Bundestag in Auftrag gegeben wurde (Kostenpunkt: 430.000 Euro), schien bisher keine Probleme mit dem frauenfreien Entwurf zu haben.
Doch langsam kommt Unmut auf. Denn ein Mahnmal für die Verfolgung Homosexueller in der Nazizeit, das die Unsichtbarkeit und Verleugnung der homosexuellen Frauen selber auch noch fortschreibt, das wäre nicht nur ein handfester politischer Skandal, sondern das ist schlicht auch ein Verstoß gegen die Ausschreibung des Mahnmals durch den Bundestag. Dessen Auftrag nämlich lautet wörtlich: „Der Gedenkort soll die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wach halten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen“.

So ist es nur folgerichtig, dass jetzt der Regierende Bürgermeister von Berlin, der offen homosexuell lebende Klaus Wowereit, EMMA auf Nachfrage antwortete: „Es sollte alles getan werden, um zu vermeiden, dass sich durch das geschaffene Denkmal Opfergruppen – sprich hier: die weiblichen Homosexuellen – ausgegrenzt fühlen. Damit wäre just das eigentliche Ziel dieses Denkmals, nämlich ‚ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben zu setzen‘, verfehlt.“

Und Frauensenator Harald Wolf, PDS-Spitzenkandidat bei den Berliner Wahlen am 17. September, setzt nach: „Ich bin selbstverständlich und ganz entschieden der Meinung, dass das geplante Mahnmal das Andenken weiblicher wie männlicher Homosexueller gleichermaßen ehren muss! So lautet ja auch der Text der Ausschreibung.“
Auch die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Monika Griefahn (SPD) findet den Entwurf „schlicht unangebracht“: „Ich halte es für notwendig, den Entwurf anzupassen, zumal das in der Konzeption ohne weiteres machbar scheint.“ Stimmt. Es wäre ein leichtes, die Endlos-Projektion im Innern um ein küssendes Frauenpaar zu ergänzen.
Und Ingeborg Junge-Reyer (SPD), die für Denkmäler Zuständige Senatorin für Stadtentwicklung, hofft, dass „beim Gespräch mit den Künstlern auch ein Weg zum Gedenken an homosexuelle Frauen gefunden wird.“

Selbst die Grünen lassen sich nicht lumpen: „Die Lesben wurden bei der Umsetzung des Auftrages vergessen“, kritisiert Renate Künast und versichert: „Ich werde mich einsetzen für eine Überarbeitung des künstlerischen Entwurfs, der beiden gerecht wird!“

Ein bisschen weniger energisch hingegen tönt es bei dem grünen Homosexuellen vom Dienst und LSVD-Aktivisten Volker Beck. Er ließ EMMA auf Nachfrage wissen, auch er sei dafür, hier „nachzuarbeiten“. Schließlich gälte es, „aus den unterschiedlichen

Erfahrungen eine gemeinsame Lehre zu ziehen: nämlich jeder Ausgrenzung von Lesben und Schwulen entgegenzutreten“.  
Vollends wolkig wird es an der Spitze des LSVD, der zwar das Verdienst hat, das Mahnmal initiiert zu haben – sich aber auch fragen lassen muss, wie es sein kann, dass die Frauen wieder einmal vergessen wurden. Günter Dworek, LSVD-Bundesvorstand und Jurymitglied, betonte jetzt EMMA gegenüber noch einmal „die sehr unterschiedliche Praxis des NS-Staates gegenüber Lesben und Schwulen“, will sagen: Es gab graduelle Unterschiede in der Verfolgung. Gleichzeitig jedoch dürfe das Denkmal, so Dworek, „keinen ausschließenden Charakter bekommen“.
Was das konkret heißt, wird frau und man am 28. August sehen. An dem Tag hat der LSVD in Berlin eine öffentliche Diskussion mit den Künstlern über das Mahnmal anberaumt. Und da wird dann LSVD-Vorstandsmitglied Sabine Gillessen Klartext reden können. Ihr Statement EMMA gegenüber lässt Fragen offen: Gillessen findet den Entwurf „pfiffig“ und „in gewisser Weise konsequent“, dass er nur Männer zeigt: „Lesben sind wie so oft unsichtbar.“ Fazit: „Ich möchte, dass der Entwurf mit Änderungen realisiert wird.“

Vollends anspruchslos scheint der ‚Lesbenring‘ zu sein: „Unserer Meinung nach sollte es das geplante Schwulendenkmal geben, und es sollte als solches benannt werden.“ Der Lesbenring wünscht sich „zur Sichtbarmachung lesbischer Verfolgung weniger ‚versteinerte‘ Formen: lebendige Diskussion, Publikationen …“ Schwer verständlich, warum das eine das andere ausschließen sollte.

Nicht nur der LSVD und die beiden Künstler seien daran erinnert, dass auch homosexuelle Frauen dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind. Zwar fielen sie nicht unter den §175, der bis 1969 die „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe stellte und in dessen Namen in der Nazizeit rund 50.000 homosexuelle Männer zu Zuchthaus und KZ verurteilt, kastriert oder ermordet wurden. Aber auch homosexuelle Frauen wurden denunziert und in KZs verschleppt, wo sie, statt mit dem rosa Winkel, mit dem schwarzen Winkel als „Asoziale“

gebrandmarkt wurden. In den Akten des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück hat die Historikerin Claudia Schoppmann hinter Häftlingsnamen den Eintrag ‚lesbisch‘ gefunden.
Für lesbische Frauen war das die ‚Zeit der Maskierung‘, wie die Lesbenforscherin in ihrem Buch mit dem gleichnamigen Titel schreibt. „Lesbische Organisationen und Treffpunkte wurden geschlossen oder überwacht, Bücher und Zeitschriften mit homosexuellem Inhalt kamen auf den Index.“ Viele Lesben heirateten zwecks Tarnung und verschwanden in der Unsichtbarkeit.

Dass Frauen, ganz wie üblich, vergessen wurden, darüber ist auch Hella von Sinnen „stinksauer“: „Es gibt ein Mahnmal für Lesben und Schwule und wir sehen ein sich küssendes Männerpaar? Ich fasse es nicht! Da werde ich doch lieber beschimpft als komplett ignoriert.“ Auch Kollegin Ulrike Folkerts ist „natürlich für ein Mahnmal für homosexuelle Männer und Frauen! Auch oder gerade, weil mit weiblicher und männlicher Homosexualität unterschiedlich umgegangen wird. Bis heute, wie man sieht …“

Ebenso beklagt Maren Kroymann, dass homosexuelle Frauen mal wieder in die Unsichtbarkeit gedrängt werden: „Die Auslöschung der Identität der Lesben als Minderheit, die die Nationalsozialisten so perfide und nachhaltig hingekriegt haben, findet einen ganz merkwürdigen späten Widerhall im Fehlen der Lesben bei diesem Mahnmal.“ So ist es.

Öffentliche Diskussion mit den Künstlern: 28.8., 20 Uhr, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Oranienstr. 25, Berlin.

Unterschriftenaktion: Für Frauen im Homo-Denkmal!

"Ich protestiere dagegen, dass das geplante Homo-Denkmal in Berlin ausschließlich männliche Homosexuelle zeigt und fordere, dass auch die weiblichen Homosexuellen angemessen berücksichtigt werden"
Wenn Sie sich dafür einsetzen wollen, dass das geplante Mahnmahl auch der homosexuellen Frauen gedenkt, beteiligen Sie sich an dieser Unterschriftenaktion: Schreiben Sie uns Ihren Namen, Beruf/ Funktion und Wohnort per E-Mail an

redaktion@emma.de Außerdem können Sie Protest und Kritik direkt an die LSVD-Initiative "Der Homosexuellen NS-Opfer gedenken" richten:

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Liste der UnterzeichnerInnen 

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