PROSTITUTION - TEIL 2: Die Trendwende

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Prostitution ist - endlich - offiziell kein Beruf mehr "wie jeder andere". Freier von Zwangsprostituierten sollen in Zukunft bestraft werden. Der Ausstieg von Frauen aus der Prostitution soll offensiv gefördert werden. Trendwende in der Politik.

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Der 24. Januar wird in die Geschichte der Emanzipation eingehen. Denn er ist der Tag der Trendwende in der deutschen Prostitutions-Politik. Konträr zu den bisher in Berlin vertretenen Positionen erklärte Ursula von der Leyen an diesem Tag auf einer eigens einberaumten Pressekonferenz: „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere.“- „Freier von Zwangsprostituierten werden in Zukunft bestraft.“ - „Der Ausstieg aus der Prostitution ist unser wichtigstes Ziel.“
Damit stellte die Frauenministerin der schwarz-roten Koalition nach fünf Jahren rot-grüner Pro-Prostitutions-Politik die Weichen neu. Freier von Zwangsprostituierten müssen in Zukunft mit Gefängnis rechnen; ein entsprechendes Gesetz soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Bis zu fünf Jahre Gefängnis droht Freiern, die Minderjährige unter 18 Jahren benutzen – bisher lag die Altersgrenze bei 16. Und auch die Strafbarkeit aller Formen von Ausbeutung der Prostituierten – zum Beispiel durch überhöhte Mieten – soll neu überprüft werden.
Fördern will die Ministerin in Zukunft den Ausstieg von Frauen aus der Prostitution. Und verbessert werden soll der Schutz der Opfer von Frauenhandel, die noch immer automatisch von Ausweisung bedroht sind – was bisher vor allem an der Union lag.
Prostitution - kein Beruf "wie jeder andere".
Direkt betroffen von den Berliner Plänen sind etwa 400.000 Frauen, die in Deutschland heute in der Prostitution tätig sind. Mindestens die Hälfte von ihnen, schätzt von der Leyen, sind illegal, und die Mehrheit der Illegalen sind Zwangsprostituierte im engeren Sinne, also gegen ihren Willen oder wider besseres Wissen verschleppt.
Wobei nicht nur für den Chef des  Hamburger Kommissariats Menschenhandel, Detlef Ubben, in Wahrheit 95 Prozent aller Frauen auf dem Strich, in den Bordellen und Callgirl-Ringen „Zwangsprostituierte“ sind. Ubben: „Der Fall, dass eine Frau Prostitution eigenständig und selbstbestimmt ausübt, trifft in 95 Prozent der Fälle nicht zu. Wenn die Frauen wieder rauswollen, droht ihnen meist Gewalt.“
Indirekt von der Prostitutionspolitik betroffen sind jedoch eigentlich alle Frauen - und Männer. Denn es hat schließlich fundamentale Auswirkungen auf das Bild von Frauen beziehungsweise Männern, wenn die einen das käufliche und die anderen das kaufende Geschlecht sind – und das in aller Legalität. Zu der zunehmenden Salonfähigkeit von Prostitution, Zuhälterei und Freiertum hatte die weltweit in dieser Krassheit bisher nur in Deutschland (und Holland) geltende uneingeschränkte Legalisierung wie befürchtet rasant beigetragen. Inzwischen brüsten sich prominente Männer in den Medien ganz lässig damit, Bordellgänger zu sein.
"Der Ausstieg aus der Prostitution ist unser wichtigstes Ziel."

Das sieht in Ländern wie Frankreich, wo in der Debatte über Prostitution viel von Verletzung der Menschenwürde die Rede ist; in Amerika, wo Prostitution „weiße Sklaverei“ genannt wird; oder in Schweden, wo Freiern Gefängnisstrafen drohen, ganz anders aus.
Die Verwunderung über die enthemmte deutsche Prostitutionspolitik wurde darum in den letzen Jahren zunehmend vernehmlicher. Ségolène Royal schrieb anlässlich der offensiv werbenden Großbordelle zur Fußball-WM einen „offenen Brief“ an Kanzlerin Merkel (LINK). Und der amerikanische Sonderbotschafter im Kampf gegen Menschenhandel, John Miller, wurde 2004 gar persönlich in Berlin vorstellig, um die zögerliche Bundesregierung endlich zu angemessenen Maßnahmen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel zu bewegen. Denn Deutschland galt dank seiner laxen Gesetzeslage inzwischen als „europäische Drehscheibe“ für „weiße Sklaverei“.
Unangetastet bleiben soll in Deutschland auch in Zukunft die „totale Entkriminalisierung der Prostituierten selbst“, so von der Leyen. „Aber das Umfeld der Prostitution wollen wir verschärft ins Visier nehmen.“Die Frauenministerin machte deutlich, dass sie dem Mythos von der freiwillig und „selbstbestimmt“ arbeitenden Prostituierten, der von der selbsternannten „Hurenbewegung“ seit Jahren propagiert wird - und den Grüne und SPD mit Verve mitgetragen haben - keinen Glauben schenkt.
Die rot-grüne Prostitutionsreform, die am 1. Januar 2002 in Kraft trat, habe fälschlicherweise auf der Annahme basiert, dass es sich bei Prostituierten „um Menschen handelt, die freiwillig auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen“, so von der Leyen. „Für mich ist das ein Schönreden der Situation. Viele Prostituierte suchen einen Ausweg, weil sie gezwungenermaßen unter menschenunwürdigen und gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten müssen.“
Folgerichtig kündigt die Frauenministerin an, künftig vor allem einen Bereich stärker ins Visier nehmen zu wollen, der bisher in bedrückender Weise vernachlässigt wurde: die Hilfe zum Ausstieg. ExpertInnen von Polizei, Beratungsstellen und Gesundheitsämtern beklagten seit Jahren: Es fehlen Ausstiegshilfen und -projekte.
„Denn wenn eine Frau erst mal in den Mühlen der Prostitution drin ist, dann hat sie wenig Chancen, ohne fremde Hilfe da wieder auszusteigen“ weiß Kommissar Ubben, und Beratungsstellen wie Solwodi oder La Strada sagen das schon seit Jahren. Denn die Hürden sind hoch. Der Zuhälter droht mit Gewalt; Körper und Seele sind schwer angeschlagen; der Gang zum Arbeitsamt scheitert oft an Misstrauen gegenüber der Bürokratie oder Angst vor verächtlichen Blicken.
„Jede Prostituierte soll die Möglichkeit haben, aus der Prostitution auszusteigen“, hatten die rot-grünen MacherInnen der Reform 2001 in ihre Gesetzes-Begründung geschrieben. Eine Bestandsaufnahme der bestehenden Ausstiegsprojekte, die Frauenministerin von der Leyen in Auftrag gegeben hat, ergibt allerdings, „ein ernüchterndes Bild“. Es gibt zu wenig Angebote, die zu wenig Frauen erreichen.
Das verwundert nicht weiter. Wer, wie Rotgrün, Prostitution als „Beruf wie jeder andere“ betrachtet, hat schließlich keinen Grund, Ausstiegsprojekte zu fördern. Denn wo ist das Problem?
Das aber soll jetzt anders werden. Für die Bundesregierung, die in einem ausführlichen Bericht die Ergebnisse der lange erwarteten Evaluation der Prostitutionsreform und ihre Konsequenzen daraus vorstellte, besteht „kein Zweifel an der Wichtigkeit niedrigschwelliger zielgruppenspezifischer Angebote“. Sie will deshalb prüfen, „wie der Ausstieg aus der Prostitution durch Ausstiegshilfen und Ausstiegsprogramme besser unterstützt werden kann, wie modellhafte Ansätze gefördert und der Zugang zu Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen flexibler gestaltet werden können.“
Zu wenig Hilfsangebote beklagt der Regierungs-Rapport auch für minderjährige Prostituierte, obwohl ein „hoher Anteil schon vorher sexuellen Missbrauch oder Gewalt innerhalb der Familie erfahren hat“. Endlich auch für Deutschland umgesetzt hat das Parlament eine EU-Richtlinie, die sexuelle Kontakte gegen Bezahlung mit unter 18-Jährigen unter Strafe gestellt wissen will.
Freiern von Zwangsprostituierten droht Strafe
Ein definitiver Sinneswandel ist auch in der Frage der Freierbestrafung eingetreten. Künftig sollen Männer, die wissentlich die „Dienste“ eines Opfers von Frauenhandel nutzen, bestraft werden können. Schon im Sommer 2004 hatte die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU), aufgerüttelt unter anderem durch den Fall Friedman, einen entsprechenden Gesetzentwurf formuliert und als Bundesratsinitiative ins Parlament eingebracht.
Aber die rot-grüne Mehrheit tat sich schwer. Während Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sich die Freierbestrafung zumindest „vorstellen“ konnte, erklärte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen Irmingard Schewe-Gerigk: „Jetzt haben wir gerade die Prostitution entkriminalisiert, da können wir jetzt nicht anfangen, die Freier zu kriminalisieren.“
Zwei Jahre später wandelt sich in der Berliner Republik der Ton. Der Bericht der Bundesregierung konstatiert eine „Strafbarkeitslücke“, die „schwer erträglich ist“ und die es zu schließen gilt. Deshalb soll, laut Ministerin von der Leyen, die Kriminalisierung der Freier, die „vorsätzlich die hilflose Lage eines Menschenhandelsopfers oder einer Zwangsprostituierten ausnutzen“, noch in diesem Jahr Gesetz werden. Wie genau das Gesetz aussehen soll, wird allerdings in Berlin noch debattiert.
Dabei dürfte weniger die Frage von Bedeutung sein, ob das neue Gesetz im Bereich „Menschenhandel“ oder bei den „Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ angesiedelt sein wird. Entscheidend dafür, ob Friedman & Co. für die Bestellung „naturgeiler Ukrainerinnen“ demnächst Gefängnis droht, ist, ob nicht nur das „vorsätzliche“, sondern auch das „fahrlässige“ Ausnutzen eines Frauenhandels-Opfers unter Strafe gestellt wird. Denn dies würde die Beweisführung von Polizei und Staatsanwaltschaften erheblich erleichtern.
Neue Töne schlägt die Bundesregierung auch in Sachen Opferschutz an. Da waren es bisher stets vor allem die CDU-regierten Bundesländer, die Aufenthaltsgenehmigungen und finanzieller Unterstützung für ausländische Frauenhandelsopfer blockierten. Nach Auswertung der Gutachten kündigt die Bundesregierung nun einen „umfassenden Opferschutz“ an, der auch medizinische und therapeutische Hilfe umfassen soll. Gerade ist ein Gesetzentwurf in Arbeit, der den betroffenen Frauen eine einmonatige Bedenkzeit einräumt. In dieser Zeit soll die Frau sich stabilisieren und dann entscheiden, ob sie gegen ihre Peiniger aussagen will.
Falls ja, soll dem Opfer eine Aufenthaltsgenehmigung bis zum Ende des Strafverfahrens gegen die Menschenhändler und möglicherweise auch darüber hinaus erteilt werden. Droht der Frau in ihrem Heimatland „besondere Gefahr“, kann ein längeres Aufenthaltsrecht in Betracht gezogen werden.
Wermutstropfen: Die "Förderung der Prostitution" bleibt straffrei.
Einen Wermutstropfen allerdings gibt es bei der Berliner Wende: Die sogenannte „Förderung der Prostitution“ soll weiterhin straffrei bleiben. Die war vor der Reform des Prostitutionsgesetzes ein Straftatbestand. Bestraft wurde, wer „gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält, in dem Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, die über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen hinausgehen“.
Rotgrün hatte diesen Passus gestrichen. Begründung: Er ginge zu Lasten der Prostituierten, denn mit ihm könnten Bordellbesitzer, die den Frauen „angenehmere“ Arbeitsbedingungen - wie einen Aufenthaltsraum oder gute hygienische Bedingungen - schafften, angeklagt werden. De facto aber gab es in der Praxis schon vor der Reform kaum Verurteilungen wegen „Förderung der Prostitution“.
Denn die Polizei hat selbst kaum Interesse daran, den Prostituierten das Leben schwer zu machen. Sie interessiert sich vor allem für Zuhälter und Menschenhändler und nutzte den Straftatbestand, um Bordelle und Wohnungen zu betreten, wenn Verdacht auf Frauenhandel oder andere kriminelle Machenschaften bestand. Seit aber der Passus gestrichen wurde, muss die Polizei schon einen „begründeten Anfangsverdacht“ auf Menschenhandel oder „dirigistische Zuhälterei“ haben, bevor sie ein Bordell betreten darf. Menschenhandel aber ist ein klassisches „Kontrolldelikt“, das nur bei offensiver Überprüfung des Milieus überhaupt entdeckt werden kann.
Es ist also überraschend, dass die Frauenministerin erklärt: Die Legalisierung der Förderung von Prostitution „behindert nicht die wirkungsvolle Strafverfolgung von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Minderjährigenprostitution und Gewalt in der Prostitution.“ Darüber wundert sich nicht nur die bayerische Justizministerin Merk. „Ich bin im engen Kontakt mit meinen Strafverfolgungsbehörden, und ich höre von dort: Wir kommen nicht mehr in die Bordelle rein. Man braucht die Möglichkeit, einen Anfangsverdacht zu äußern.“
Der Bericht der Bundesregierung selbst bestätigt das: JedeR dritte befragte VertreterIn der Staatsanwaltschaften sieht „in dem Wegfall der Förderung der Prostitution einen Erschwernisgrund für ihre Arbeit im Bereich der Strafverfolgung von Menschenhandel und Zuhälterei.“ Denn: Das Gesetz „leistete den Einstieg in Ermittlungen, legitimierte die Anordnung weiterführender Maßnahmen wie Durchsuchungen und bot letztlich die Möglichkeit einer Verurteilung, wenn schwerwiegendere Delikte nicht nachzuweisen waren“. Die Hälfte der befragten Polizei-VertreterInnen forderten darum bessere Kontrollmöglichkeiten für Bordelle und andere Prostitutionsorte.
Allerdings: Alle Befragten sahen in dem umstrittenen Passus nur ein „Vehikel“. Für eine Wiedereinführung der Strafbarkeit der Förderung in der alten Form sprach sich deshalb letztlich nur eine der befragten 52 Staatsanwaltschaften und eine von 20 befragten Polizeidienststellen aus. Begründung: Würde die „Förderung der Prostitution“ in der alten Fassung wieder strafbar, schade das den Prostituierten.
Für Ministerin von der Leyen liegt die Lösung nun in einer Konzessionierung von Bordellen nach dem Gewerberecht. „Für jedes Bierzelt braucht man eine Genehmigung, aber ein Bordell kann man ohne Erlaubnis betreiben. Das ist nicht akzeptabel“, erklärt die Ministerin. Eine „hohe Kontrolldichte“ soll in Zukunft zur „Bekämpfung der Ausbeutung von Prostituierten, Menschenhandel und anderen kriminelle Begleiterscheinungen“ beitragen. Aber wie genau das gehen soll, ob zum Beispiel für die Kontrollen überhaupt die Polizei zuständig wäre, ist in Berlin noch unklar. Da gibt es also noch Handlungsbedarf.
In München jedenfalls ist man unzufrieden. Ministerin Merk: „Die Bordelle über die Gewerbeaufsichtsämter kontrollieren zu wollen, ist nicht der richtige Weg. Diese Behörden haben natürlich viel weniger Möglichkeiten, das liegt ja auf der Hand.“ Die Zeichen in Berlin stehen jedenfalls auf Ausstieg. Ausstieg nicht nur aus der Prostitution, sondern auch aus der Akzeptanz des Handels mit Frauen als Ware. Frauenministerin von der Leyen: „Bei der Prostitution handelt es sich immer um eine unzumutbare Tätigkeit.“
Bericht und Gutachten:

www.bmfsfj.bund.de/Kategorien/Forschungsnetz/forschungsberichte
Weiterlesen in der Print-EMMA 2/2007.

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