Mehr als eine Stil(l)frage

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Ich hielt es für eine höchstpersönliche Entscheidung, aber es kam einem ­Coming Out gleich: Ich stille nicht. Noch schlimmer: es ist nicht so, dass ich nicht konnte. Ich wollte nicht. Schon immer war mir der bloße Gedanke daran unangenehm – und dieses Gefühl veränderte sich auch im Laufe der Schwangerschaft nicht. Daher schien es mir besser für beide Beteiligte, statt verkrampfter Versuche mein Kind gleich entspannt per Flasche zu ernähren.

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Das „Abstillen“ war denkbar einfach. Am Tag der Geburt bekam ich zwei Tabletten. Mein Sohn bekam das Fläschchen, wurde von Anfang an satt, nahm gleichmäßig an Gewicht zu und schlief ab der zehnten Lebenswoche durch. Bis heute – er ist nun ein halbes Jahr alt – ist er ­äußerst ausgeglichen, hatte weder Koliken noch Krankheiten.

Dennoch geriet ich rasch in Rabenmutter-Verdacht, inklusive Mütter-Mobbing. „Sehr schade!“ quittierte eine Hebamme rügend meinen Entschluss, nachdem sie vergeblich versucht hatte mich umzustimmen, während ich das neugeborene Kind im Arm hielt. „Da kommt ja das Flaschenkind!“ wurde ich in Mütterrunden begrüßt. In der Folge wurde jede Unpässlichkeit oder auch die ungewöhnliche Größe meines Kindes bedacht mit „Das kann von der Flaschennahrung kommen“ oder „Du stillst ja auch nicht“.

Expertenwissen überall: „Natürlich ist Muttermilch das Beste“ – so beginnen nicht nur Babynahrungshersteller ihre Werbespots, sondern gerne auch junge Väter ihre Diskussionen mit mir. Selbst die (kinderlose) Nachbarin will wissen, ob ich „die Brust gebe“, und insistiert auf mein Nein hin: „Warum denn nicht, das ist doch so wichtig!“

Dabei ist Säuglingsnahrung heute hochwertig, Milchpulver und Thermoskanne machen flexibel, und natürlich ­entstehen auch beim Fläschchengeben Körperkontakt und emotionale Bindung (Wie ja stets pflichtschuldig versichert wird, wenn Mütter gerne stillen würden, aber nicht können).

Im Oktober ruft gar alljährlich die „Weltstillwoche“ dazu auf zu stillen. Motto: „Stillen ist lebenswichtig! Bist Du dabei?“ In Gegenden ohne Zugang zu sauberem Wasser und Säuglingsnahrung mag Stillen alternativlos sein. Hierzulande aber sollte sich jede Frau frei und selbstbestimmt dafür oder dagegen entscheiden können. Meine ich.

Doch das scheint nicht selbstverständlich zu sein. Die Kommentare hinter vorgehaltener Hand reichen von „Cool, dass du dich das traust“ über „Ich hätte beim zweiten Kind gern früher abgestillt, aber meine Hebamme hat mich angehalten, dranzubleiben“ bis hin zu „Hätte mir ­jemand gesagt, wie schmerzhaft das sein kann, hätte ich es lieber gelassen.“ Resultat: Eine heikle Mischung aus Perfek­tionsanspruch, Unersetzlichkeit und totaler Erschöpfung der Mütter. Und die Väter? Die können durchschlafen. Denn sie könnten zwar die Flasche geben, aber nicht die Brust. Auch praktisch.

Der Vater meines Kindes konnte sich vom ersten Tag an ebenso intensiv um seinen Sohn kümmern wie ich. Wir haben uns auch in den Nächten abgewechselt, was meinen Nerven (und damit auch der Beziehung zu meinem Kind) ­sicher gut getan hat. Brustentzündung, Milchstau oder zu wenig Milch, Stillhütchen und Quarkpackungen blieben mir erspart. Ich genieße es, unterwegs zu sein, ohne auf Abruf parat stehen oder Milch abpumpen zu müssen. Ich kann arbeiten und weiß mein Kind zwischenzeitlich gut versorgt von Vater oder Oma.

Gerade langes Stillen – die WHO empfiehlt mindestens sechs Monate, mit Beikost bis zu zwei Jahre und länger – fördert eben auch eine klassische Rollenaufteilung und längere Auszeiten aus dem Beruf. Zumal die geforderten „stillfreundlichen“ Arbeitsplätze – wie auch immer die aussehen sollen: Baby dabei? Alle paar Stunden nach Hause? – ja wohl noch ­weniger in Sicht sind als eine flächen­deckende, flexible Kinderbetreuung.

Was wird nicht alles bemüht, um die ­Vorzüge der Muttermilch zu preisen: Schutz vor Allergien, vor Übergewicht und Verwahrlosung sowie höhere Intelligenz. Diese Heiligsprechung passt in eine Zeit, in der die exklusive Mutter-Kind-Beziehung wieder überhöht und biologistisch verklärt wird. Da macht es misstrauisch, wenn von zwei Optionen eine gleich wieder kassiert wird. Weil sie schon im Geburtsvorbereitungskurs unter den Tisch fällt. Weil sie gleichgesetzt wird mit mangelnder Fürsorge, Bequemlichkeit und Egoismus. Weil man sie nicht aussprechen kann, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Daher nochmal für alle: Nein, ich stille nicht. Und das ist auch gut so.

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