Steffi Jones: Die Fußball-Kaiserin

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Der Stadtteil Bonames im Norden von Frankfurt ist einer dieser Großstadtbezirke, die als so genanntes Problemviertel gelten. Eine hohe Arbeitslosenquote, Jugendkriminalität und wenig Aussichten auf gesellschaftlichen Aufstieg – Bonames „zählt noch heute zu den sozialen Brennpunkten der Bankenmetropole“, sagt Steffi Jones. Und sie muss es wissen.

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Stephanie Ann Jones, die Tochter eines schwarzen US-Soldaten und einer deutschen Mutter, ist in Bonames aufgewachsen, in einer Zeit, als es zwischen den Sozialwohnungen und den Bolzplätzen, zwischen den Bankentürmen und den schicken Vororten im Taunus einen mal mehr, mal weniger offenen Rassismus gab. „Negerlein“ und „Krollekopp“ waren noch das Netteste, was ihr die anderen Kinder damals hinterherriefen, erzählt Jones in ihrer Biografie „Der Kick des ­Lebens“. Heute wird die 38-Jährige wegen ihres Vergleichs mit Franz Beckenbauer „die Kaiserin“ genannt.

Jones feixt, wenn sie auf diesen Vergleich angesprochen wird. Anfang 2008, als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die ausgebildete Fußball-Lehrerin nur kurz nach Ende ihrer aktiven Karriere zur Präsidentin des Organisationskomittees der Frauen-WM 2011 berufen hatte, war es noch ein schüchternes, ein abwehrendes Lächeln. Welche Frau wagt es schon, den Vergleich mit einer weltweiten Fußball-Ikone zuzulassen? Heute, nach drei Jahren und ­unzähligen Terminen im In- und Ausland, lächelt Jones bei dem kaiserlichen Vergleich mit der Selbstverständlichkeit einer Frau, die weiß, was sie kann.

Menschen begeistern, Verbindungen knüpfen, Hintergründe erklären – der Job als Organisationschefin der WM gleicht dem einer Diplomatin. Bis zum 26. Juni, wenn im Berliner Olympia­stadion mit dem Eröffnungsspiel der deutschen Frauen gegen Kanada die WM beginnt, wird Jones über 120000 Flugkilometer zurückgelegt und alle 15 WM-Teilnehmerländer besucht haben. Ob in den USA oder in Äquatorialguinea, in Frankreich oder in Neuseeland, in Schweden oder Australien – überall auf dem Erdball wurde Jones wie eine Staatsfrau empfangen, wurden die schöns­ten Säle der Hauptstadt herge­richtet und die berühmtesten Fußballer und Fußballerinnen des Landes zum Empfang geladen.

Was Franz Beckenbauer zur Männer-WM 2006 erstmals bei den Männern machte, gelingt Jones nun erstmals im Frauenfußball: Nie zuvor ist ein solcher Aufwand für eine Frauenfußball-WM ­betrieben worden, nie zuvor wurden alle Teilnehmer mit einem persönlichen Besuch des gastgebendes Verbandes auf das bevorstehende Ereignis eingestimmt. Doch auch hier ist Jones der Unterschied ihrer Aufgabe bewusst. „Wir wollen mit dieser Reise ­sicher etwas anderes bezwecken als Franz Beckenbauer“, sagt Jones. „Natürlich heißen wir die Nationen und ihre Mannschaften willkommen, aber bei unserer Reise geht es auch darum, in dem jeweiligen Land etwas für den Frauenfußball zu bewegen. Ihm Aufmerksamkeit und Respekt zu verschaffen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Strukturen und die Anerkennung, wie wir sie inzwischen im deutschen Frauenfußball haben, in anderen Ländern oft noch längst nicht vorhanden sind.“

Jones weiß, welchem Umstand sie selbst es zu verdanken hat, dass die Menschen ihr heute mit solch großer Aufmerksamkeit und Respekt begegnen. „Meine Beine haben mich herausgetragen aus dem Frankfurter Problemviertel ­Bonames, aus der Perspektivlosigkeit“, schreibt Jones in ihrer Biografie. „Ohne den Fußball“, sagte Jones einmal, „wäre ich nicht das, was ich heute bin.“ Sie hat nicht vergessen, was sie war: Die Tochter einer alleinerziehenden Mutter von drei Kindern, die ihren Vater kaum kennt.

Sechs deutsche und ein US-Meister­titel, vier deutsche Pokalsiege und der ­Gewinn des Uefa-Pokals, zwei olympische Bronzemedaillen, drei EM- und einen WM-Titel: Die 111-fache ehemalige ­Nationalspielerin ist eine der erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen. Dabei war ihre Mutter anfangs noch dagegen, dass Steffi gegen einen Ball tritt. Sie, die später kein Spiel ihrer Tochter verpasste, lehnte den Fußball damals als „Proletensport“ ab. Für Jones aber war der Sport ein Weg, sich austoben und sich gleichzeitig zugehörig zu fühlen zu einer Gruppe.

Nach den ersten Jahren bei den Jungs im SV Bonames, den Jones als ihr „zweites Zuhause“ sah, wechselte sie mit 13 schließlich zu den Frauen der SG Praunheim, aus der sich später der 1. FFC Frankfurt gründete. Bald wurde sie in die hessische Landesauswahl und schließlich in die Nationalmannschaft berufen, wo sie als Innenverteidigerin mit guter Spielübersicht schon damals mit Beckenbauer verglichen wurde – als Spielerin. Nebenher machte Jones eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau, arbeitete als Putzfrau, Zeitungsausträgerin, Verkäuferin, Barkeeperin, Kassiererin und Supermarkt-Leiterin. „Auch als Nationalspielerin musste man sehen, wo man bleibt“, sagte Jones. Erst später, in den zwei Jahren in der US-Profiliga bei Washington Freedom, konnte sie als Profi leben.

Dass das Leben ihres älteren Bruders Christian und ihres jüngeren Bruders Franky weniger glücklich verlaufen ist, darüber spricht Jones mit beeindruckender Offenheit. Christian, der sie inzwischen zur Tante gemacht hat, hatte den Absprung aus dem Milieu in Bonames nicht geschafft und war lange Zeit drogenabhängig. Franky, der mit seinem Vater in die USA und dort zur Army ­gegangen war, hat bei einem Einsatz im Irak durch eine Minenexplosion beide Beine verloren. Das hat auch das Leben der Schwester verändert. Chancen haben oder nicht, sie wahrnehmen können oder nicht – darüber muss der Chefin des Olympischen Komitees. keiner etwas erzählen.Nach dem WM-Finale, das am 17. Juli in ihrer Geburtsstadt Frankfurt ausgetragen wird, wird Jones einige Wochen lang endlich einmal nichts machen. Ab 1. September dann übernimmt sie die bis dahin neu ­geschaffene „Direktion für Frauen- und Mädchenfußball“ im DFB, der bis dato dem Breitensport und Ehrenamt zugeordnet war. Dann kann sich Jones weiter ihrer Lebensaufgabe widmen. Und das nicht nur als Kaiserin, sondern auch als ­Direktorin.   

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Steffi Jones: "Der Kick des Lebens" (Fischer, 8.95 €)

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