Plötzlich Feministin

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Storys, in denen plötzlich was passiert, sind ja immer beliebt. „Plötzlich Prinzessin!“ zum Beispiel. Meine Geschichte heißt „Plötzlich Feministin!“. Sie beginnt vor etwa einem Jahr als „die Neue“ in der EMMA-Redaktion. Seitdem hat sich nicht nur mein Arbeitsalltag verändert.

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Noch vor meinem ersten Tag in der EMMA erhielt ich von Freundinnen plötzlich E-Mails, die nicht mehr wie früher mit „Wie geht’s?“, sondern mit „Ich weiß, es ist typisch Frau, aber …“ begannen. Ob ich denn jetzt auch „so eine“ und neuerdings „lesbisch“ sei, hat mich ein Freund gefragt. Und einmal traf ich einen Ex-Kommilitonen, der mich fragte, warum ich denn jetzt für ein Blatt schreibe, das alle männlichen Ausländer und Kopftuchträgerinnen ausweisen wolle. Wie bitte? Ja, er hätte das „ganz sicher irgendwo in einem Artikel gelesen“.

Als EMMA-Redakteurin bekommt frau also kein Prinzessinnen-Krönchen, sondern einen dicken Stempel. Unabhängig davon, ob jemand das Heft auch nur in der Hand hatte oder nicht: Die meisten scheinen ganz genau zu wissen, was in EMMA steht. Und damit natürlich auch, was für eine ich bin, wo ich doch „jetzt da arbeite“.

Als ich meinen Job antrat, rechnete ich mit einem prall gefüllten Redaktionsalltag. Womit ich nicht rechnete, war meine Tätigkeit im feministischen 24-Stunden-Außendienst. Der beginnt beim Verlassen der Redaktion mit der Frage „Was machst du so?“

Versteht mich nicht falsch, ich liebe Diskussionen! Ich finde es toll, mit Freundinnen über Männergeschichten zu brüten und mit Müttern über Mütterprobleme oder mit meinen griechischen Bekannten über die Schuldenkrise. Vor allem, weil ich im vergangenen Jahr eher in diesen Gesprächen als bei der Zeitungslektüre gemerkt habe, wie wichtig es ist, dass es eine unabhängige, klarsichtige Stimme wie EMMA gibt.

Letztens hatte ich sogar einen prima Abend mit einem selbsterklärten Chauvinisten, der mich mit viel Humor auf einer Hochzeit von den Vorteilen des Hausfrauen-Lebens überzeugen wollte. Ich höre auch gerne zu, wenn ebensolche Typen („Ich habe eine sehr feministische Mutter!“) ihre Theorie vom „Urschmerz der Frauen“ als Ursache für „eure Unzufriedenheit“ entwickeln – anstatt mit mir zu flirten. Aber eben nicht immer und vor allem nicht um 1 Uhr 30 auf einer Party, wo ich EMMA erwähne und mein Gegenüber gegen die Frauen-Quote wettert und plötzlich die Gäste nicht mehr feiern, sondern streiten.

Nach einem Jahr EMMA ist mir mittlerweile klar: Die Reaktionen lassen sich in Kategorien einteilen. Es gibt die Ahnungslosen: „EMMA? Klar, kenn ich! Das ist diese Modezeitschrift!“ Die Begeisterten: „Hab ich im Abo, seit ich 15 bin!“ Es gibt die (eigentlich interessierten) Provokateure: „Wofür kämpft ihr denn heute überhaupt noch?“ Es gibt die Wankelmütigen: „Also, ich bin ja nicht nur eurer Meinung, aber …“

Und dann gibt es noch die Verhetzten. In Situationen wie dieser: Einige Wochen nach meinem Umzug nach Köln endete ein nettes Geplänkel mit einer Frau über das beste Wohnviertel der Stadt im Inferno. „EMMA! Alice Schwarzer! Egal, finde ich beides scheiße! Wie die Schwarzer sich immer im Fernsehen aufspielt, die soll mal abtreten und Jüngere ran lassen. Und dann die Bildzeitung …!“ Ihre Hass-Tirade schallte durch das nächtliche Köln, und ich schwieg betreten. Ob sie denn die EMMA schon mal gelesen habe? fragte ich zaghaft. Nein, bellte sie. Und das habe sie auch definitiv nicht vor.

Meine EMMA-Kolleginnen zucken bei solchen Erzählungen mit den Achseln. Das alles kennen sie seit Jahren oder Jahrzehnten. Diese ständige Konfrontation mit Klischees, die mich manchmal im Bett bis spät in die Nacht wach hält. Wie tief müssen Vorurteile verankert sein, wenn ausgerechnet Frauen sich freiwillig Informationen entgehen lassen, die sie zwischen Make-Up-Werbung und Promi-Klatsch in Modezeitschriften niemals finden werden? Übrigens: Vor ein paar Tagen hat mich ein Journalist gefragt, was ich Frauen wie der in Köln eigentlich entgegne. Ganz einfach: EMMA lesen, dann urteilen.

 

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