Matthias Bloechle: Provokant

Der Berliner Gynäkologe Matthias Bloechle. - Foto: Bettina Flitner
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"Ich wollte einfach nur dieser Frau helfen“, sagt der Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in seiner Berliner Kinderwunschpraxis ruhig. So ruhig, wie einer redet, der die Aufregung um ihn nicht versteht.

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Diese Frau. Sie ist erst Mitte 20, hat aber schon vier Schwangerschaften hinter sich. Und vier Fehlgeburten. Nach der zweiten stellen Ärzte fest, dass sie einen genetischen Defekt in sich trägt. Sie selbst beeinträchtigt das nicht. Aber leibliche Kinder? Lassen Sie’s, wird ihr daheim in Bayern geraten. Sie probiert es zwei weitere Male, zwei weitere fast fertige Kinder, und dann: wieder keine Herztöne mehr. Wieder künstliche Einleitung. Wehen. Presswehen. Totgeburt.

Diese Frau. 2005 ist Matthias Bloechle ihre letzte Hoffnung auf ein gesundes leibliches Kind. Seine Berliner Praxis ist schon damals über die Grenzen der Hauptstadt hinaus bekannt – für ihre Erfolgsraten, aber auch für ihre Toleranz: Bloechle und seine Kolleginnen finden beispielsweise, dass jeder Kinderwunsch legitim ist, egal ob von verheirateten oder lesbischen Paaren oder Singles. Bloechle weiß, dass er möglicherweise auch dieser Frau helfen kann, er muss nur herausfinden, welche Embryonen krank sind und welche gesund –  noch bevor sie überhaupt im Mutterleib heranwachsen können.

Medizintechnisch ist das möglich. Man erzeugt künstlich Embryonen im Reagenzglas, untersucht sie in der Petrischale auf die fragliche Erbkrankheit und pflanzt nur die gesunden ein. Präimplantationsdiagnostik (PID) heißt die Methode, in Frankreich, in Großbritannien, in Belgien wird sie geräuschlos praktiziert, es geht um wenige hundert Fälle jährlich.

In Deutschland ist die Rechtslage unklar. Dr. Bloechle wünscht sich Klarheit. Er zeigt sich selbst an, nachdem er 2005 die PID durchgeführt hat. Im Sommer 2010 spricht ihn der Bundesgerichtshof (BGH) frei. Seither ist die PID auch hierzulande erlaubt.

Menschenzucht, Designerbabys, Dammbruch? Matthias Bloechle, 48 Jahre, wedelt mit der Hand vor seiner Stirn, als wolle er sagen: Spinnen die alle? Die Argumente gegen die PID seien „haltlos“, sagt er dann, „der Unwissenheit entsprungen“.

Doch je mehr er darüber nachdenkt, desto wütender wird der sonst so beherrschte Mann: „Jede Frau muss für sich entscheiden, was sie tut, das ist der wichtigste Aspekt, auch bei der PID, es geht um ihren Körper.“ Seine Stimme wird lauter: „Es ist eine Frage von persönlicher Freiheit, dass man das der Frau zugesteht.“

Die persönliche Freiheit. Sie treibt ihn um, bestimmt sein Denken und Handeln, beruflich wie privat. „Ich habe fünf Kinder“, erzählt er, „davon drei Töchter – ich möchte nicht, dass die vorgeschrieben bekommen, wann und von wem sie Kinder bekommen sollen!“

Der Vorwurf, er, der Arzt selektiere, hat ihn getroffen. „Ich entscheide nicht darüber, was lebenswertes Leben ist und was nicht“, sagt er. „Die PID gibt Auskunft darüber, was lebensfähig ist und was todgeweiht. Das ist der Unterschied zwischen der Diagnostik vor der Implantation und der Pränataldiagnostik im Mutterleib: Bei letzterer sehen Sie plötzlich am Ultraschall, dass der Fötus schwer krank ist, und dann muss entschieden werden, ob das Kind, das prinzipiell lebensfähig ist, ausgetragen wird oder nicht.“

Aber so sehr er, der Naturwissenschaftler, daran glaubt, dass am Ende Fakten sich durchsetzen werden gegen Ideologien, so sehr ist ihm bewusst, dass der Kampf gegen jede Form von Fundamentalismus ein zermürbender ist.

Diese Erfahrung hat er früh gemacht: Matthias Bloechle wächst als ältestes von vier Kindern in einem schwäbischen Pastorenhaushalt auf. „Meine Mutter hat mich in dem Glauben erzogen, ein guter Protestant könne keine Katholikin heiraten.“ Heute kann er darüber grinsen. Seine Frau Silke Marr ist Gynäkologin und arbeitet auch in der Klinik.

Seine Antwort auf „die versuchte Einzwängung in amtskirchliche Maßstäbe“ ist politisches Engagement bei den Grünen, und, als die ihn „mit ihrem Dogmatismus“ nerven, der Rückzug in die Literatur. Beauvoir, Sartre, Camus. Schließlich beginnt er ein Medizinstudium – erst in Marburg, später in Berlin, je weiter weg, desto besser. „Jede Form von Medizin ist ein Eingriff in die Schöpfung“, sagt er, als zu Hause leidenschaftlich über den Paragraphen 218 diskutiert wird. Und: „Soll man deswegen Willkür zu Lasten der Frauen walten lassen?“

Matthias Bloechle kann spitz werden. Dabei, das wird rasch klar, je länger man sich mit ihm unterhält, möchte er im Grunde genommen nur seine Ruhe. Leben und leben lassen, die Welt könnte so einfach sein. Seit ein paar Jahren ist er Mitglied der FDP, aber selbst die, findet er, respektiert seinen Wunsch nach individueller Freiheit nur in Maßen.

Dass er sich auf Frauenheilkunde und Geburtshilfe spezialisiert, ist ein Zufall. „Ich wäre eigentlich gern Kinderarzt geworden“, sagt Matthias Bloechle, „aber da gab es keine freien Stellen.“

An der Berliner Charité erlebt er als junger Arzt aus dem Westen am Zentrum für Pränataldiagnostik die letzten Monate der DDR. „Spätabbrüche aufgrund von Fehlbildungen, ein Desaster, die Frauen hatten sich 22 Wochen lang auf ihr Kind gefreut, und dann komme ich und sage: Das Kind lebt nicht mehr. Das ist wie eine Krebsdiagnose.“ Auch deswegen bietet er heute vor allem Kinderwunschbehandlungen an.

Das kleine Mädchen, das dank Bloechles Hilfe und PID in Bayern lebt, hat neulich seinen vierten Geburtstag gefeiert.

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