Wenn Frauen Männer kaufen

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Frauen aus der alternativen Szene waren in den 80er Jahren die ersten, die von den „schönen Rastas“ schwärmten. Inzwischen haben auch Neckermann-Touristinnen die Gelegenheit.

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Wir sind Geschäftsmänner“, sagt Leroy stolz. „Wir verkaufen Ganja, Koks – und gute Liebe.“ Sein Grinsen wird immer breiter, als er seinen Freund Sean begrüßt: Die beiden geben sich nicht den High-Five, sie schlagen die Fauste aufeinander, der traditionelle jamaikanische Gruß zwischen Männern. „Respekt Mann. Auf die Geschäftsmänner!“
Es ist 10 Uhr morgens an Negrils Traumstrand. Weißer Sand, wiegende Palmen und kristallklares Wasser so weit der Blick reicht. Der Strand scheint endlos und – jedenfalls auf den ersten Blick – ein Paradies. Aber Negril ist nicht so traumhaft, wie es aussieht. Der Ort wird schon lange nicht mehr in erster Linie wegen seiner Traumlandschaft besucht. Er ist Objekt der Begierde einer stetig steigenden Zahl britischer Sextouristinnen.
Etwa 80.000 alleinstehende Frauen – von Teenagern bis zu Großmüttern – fallen jedes Jahr auf der Insel ein. Sie nehmen die Dienste von rund 200 Männern in Anspruch, die als „Rent a dread“, „Rastitutes“ oder „The Foreign Service“ – Miet-Rastas, Rastituierte, diplomatischer Dienst – bekannt sind.
Weiblicher Sextourismus ist nichts Neues. Schon in den späten 1840ern wurde berichtet, wie Engländerinnen nach Rom fuhren, um sich dort einen Liebhaber zu suchen. Und in den 1950ern und 60ern waren die ita­lienischen „Papagallos“ ein geflügeltes Wort. Es folgen in den 70ern und 80ern die „Rastas“ in Jamaika für Alternativtouristinnen.
Allerdings hat der Sextourismus von Frauen in den letzten Jahren zugenommen. Heutzutage handelt es sich bei diesen Frauen vor allem um alleinstehende Berufstä­tige. Und da Frauen immer länger Singles bleiben und gleichzeitig die Scheidungsrate weiter steigt, kann man davon ausgehen, dass der Sextourismus für Frauen in den kommenden Jahren boomen wird – begleitet von einer Flut von Büchern, Filmen und Theaterstücken über die möglichen Motive von Frauen, die auf der Suche nach Sex und Liebe auf Reisen gehen.
Im Herbst 2006 kam ‚In den Süden‘ in die Kinos – ein französischer Film über eine alleinstehende 55-jährige Sextouristin im Haiti der Siebziger Jahre. Mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle erzählt der Film die Geschichte einer desillusionierten Professorin, die ihre Leidenschaft durch die Körper junger schwarzer Männer neu entdeckt. Wie sie schnell herausfindet, können die für eine gutsituierte Europäerin lächerlich scheinende Summe gekauft werden. Warum? Im Film gibt die von Rampling gespielte Ellen die Antwort: „Wenn du über 40 bist und nicht so dumm wie ein Model, dann sind die einzigen Kerle, die sich für dich noch interessieren, die eingefleischten Versager oder Männer, die von ihren Frauen betrogen werden.“
Im Sommer wagte sich das Royal Court Theater in London mit dem Stück ‚Sugar Mummies‘ an das Thema. Die Schauspielerin Lynda Bellingham, die durch Fernsehwerbung zu dem Gesicht für traditionelle Familienwerte wurde, spielte eine von vier Sextouristinnen mittleren Alters. Noch vor der Premiere hat ‚Sugar Mummies‘ eine erhitzte Debatte über den weiblichem Sextourismus ausgelöst: Handelt es sich um ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft? Oder ist es Ausbeutung? Und wenn ja, wer ist das Opfer und wer der Täter? Die Frauen, die sich von Liebeserklärungen blenden lassen oder die armen, arbeitslosen Männer, die diese Liebesschwüre geben? Bestärkt der weibliche Sextourismus den rassistischen Mythos vom allzeit-potenten schwarzen Mann? Gibt es einen Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Sextourismus?
Die Gigolos von Negril haben eine einfache Erklärung für ihre Rolle in diesem „Romantik-Tourismus“, wie sie sagen. „Für uns ist es eine angenehme und einfache Art Geld zu machen“, sagt Leroy. „Und sie, sie kriegt richtig gute Liebe. All diese englischen Ladies, die hierherkommen, beschweren sich über ihre Männer zu Hause. Sie sagen, sie seien kalt und egoistisch, geschäftsmäßig und unhöflich. Wir wissen, was man tun muss, damit sich eine Lady gut fühlt.“
In Jamaika verdienen Hotelangestellte zwischen 60 und 75 Euro pro Woche, während Gästen in denselben Hotels pro Nacht 180 Euro berechnet werden. Die hart arbeitenden und hochbezahlten, einsamen Frauen, die auf die Insel kommen, sind im Vergleich zu den jungen Jamaikanerinnen wie Millionärinnen. Der Miet-Rasta Leroy: „Das, was wir machen, macht mehr Spaß und bringt mehr Geld als die Arbeit im Hotel.“
Es kann in der Tat für die jungen Männer ein sehr lukratives Geschäft sein. Aber das Szenario, das wir aus der klassischen Prostitution kennen – wo Männer Frauen kaufen – läuft hier ganz anders. Dem Gigo­lo-Kundinnen-Verhältnis liegt in beiderseitigem stillem Einverständnis eine Täuschung zu Grunde. Direkte Bezahlung wird nur selten erwähnt. Das würde die Illu­sion, dass sie die schönste Frau ist, die er je gesehen hat und in die er sich unsterblich verliebt hat, zerstören. Stattdessen versuchen die Gigolos, nachdem sie die Frauen umgarnt und sich als Inselführer angeboten haben, ihnen auf subtile Art und Weise indirekt so viel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen.
Das geht so: Leroy und Sean, beide 22, entdecken zwei üppige weiße Frauen um die 40. Sie schlendern zu ihnen hinüber – „Guten Morgen, schöne Ladies. Willkommen auf Jamaika“, sagt Leroy und bietet einer der Frauen seine Faust zum Gruß an. „Respekt“, fügt Sean hinzu und blickt der anderen Frau tief in die blassblauen Augen.
Im Hintergrund preisen Strandjungs konventionellere Waren an: „Kokosnuss, Ananas, Mangos, Bananen, Marlboros.“ Handgemalte Schilder, alle im Grün, Rot und Gelb der Landesflagge, laden TouristInnen ein, ein Frühstück aus Ackee-Früchten und Salzfisch zu versuchen. An Ständen werden Aloe-Vera-Massagen, Rasta-Zöpfe und handgemachter Schmuck verkauft. Schon morgens ist der unverwechselbare Geruch von Marihuana in der leichten Brise zu erschnuppern.
Die beiden Frauen erwidern ungeschickt den Faustgruß der Sexy-Boys und stellen sich vor. Sie sind gestern Abend aus Miami angekommen. Dies ist ihr erster Morgen am Strand. „Du bist wunderschön“, sagt Leroy zu der einen, deren Attrak­tivität nicht offensichtlich ist. „Aus welchem Teil des Himmels bist du gefallen?“ Ein Polizist läuft vorbei, beobachtet, aber schreitet nicht ein. Später erzählt er mir, dass es meistens die Frauen sind, die sich beschweren, wenn die Polizei tatsächlich mal einen der Stricher festnimmt.
Die Frau grinst ihre Freundin an – es ist eindeutig, dass sie sich geschmeichelt fühlt, aber nicht wirklich überzeugt ist. „Schöne Ladies, einige der Männer hier wollen euch belästigen und ausnutzen“, warnt er sie. „Ihr braucht jemanden, der auf euch aufpasst. Jemand, der euch herum­führt. Euch die Wasserfälle zeigt, die ‚Blue Mountains‘ und die Höhlen und die besten Partys.“ Er lächelt auffordernd.
Die Frauen schauen sich wie zwei ner­vöse Schulmädchen an und kichern. Sie sagen, dass sie sich „etwas zu alt“ für die Jungs finden. „Nein, ihr seid alterslos“, antwortet Leroy. „Und wir sind echte Männer. Hier auf Jamaika mögen echte Männer die Katze, nicht das Kätzchen. Und echte Männer mögen echte Frauen. Reife, intelligente und schöne Frauen wie ihr.“
Für viele Frauen sind diese Worte genau das, was sie schon immer hören wollten. Sie verabreden sich. Später am Abend auf der Reggae-Party am Strand.
Als ich später Leroy frage, was er macht, wenn er eine der Frauen mal so gar nicht attraktiv findet, antwortet er sachlich: „Ich schließe die Augen und stelle mir vor, es sei Beyoncé.“
Wenig später spazieren Jackie, eine 38-jährige Single-Frau, die in London als Werbemanagerin arbeitet, und der 24-jährige Andrew am Strand entlang. Jackie ist klein, hat dunkle Haare und ein schönes Gesicht. Sie hat Andrew – groß, schlank, kräftig – letzten Dezember während eines Inselurlaubs mit zwei Freundinnen kennen gelernt. Und sie ist zurückgekommen, um eine Woche mit ihm zu verbringen. Nur ihre beste Freundin weiß, dass sie hier ist.
„Ich hatte von diesen Typen gehört, die am Strand rumhängen und fragte mich, welche Frau dämlich genug ist, auf so etwas hereinzufallen“, erzählt Jackie. „Als Andrew mich das erste mal ansprach, ließ ich ihn abblitzen. Ich war nicht hierhergekommen, um ein Verhältnis anzufangen. Ich war hier, um über eine alte Beziehung hinwegzukommen. Aber er ließ nicht locker. Er umwarb – und bezauberte mich. Er brachte mich zum Lachen und war sehr zuvorkommend. Da dachte ich: ‚Was soll’s, du lebst nur einmal.‘“
Wie viele Frauen hier ist auch Jackie empört, wenn man andeutet, sie sei einfach nur eine Sextouristin und Andrew eigentlich ein Stricher. „Ich sehe nichts Unmoralisches dabei“, sagt sie. „Für mich ist es eher eine zeitlich begrenzte Affäre. Er sagt mir all das, was ich hören will und im Gegenzug bezahle ich alles – Essen, Unterkunft, Transport, Ausflüge – und kaufe ihm Geschenke. Aber das tue ich, weil ich eben über viel mehr Geld verfüge als er. Wir profitieren beide.“
Sie insistiert: „Wenn er mir sagt, dass ich die schönste Frau bin, die er je gesehen hat, und er meinen Körper vergöttert, weiß ich zwar, dass das nicht unbedingt die Wahrheit ist, aber es ist trotzdem schön, es zu hören. Die Aufmerksamkeit und die Komplimente sind für mich genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als der sexuelle Teil.“
Die Managerin Jackie erzählt, wie Andrew das Thema Geld am Morgen, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, ansprach. Er sagte, dass er kein Geld für die Miete habe und sein Auto dringend repariert werden müsse. Seitdem schickt sie ihm jeden Monat Geld.
Tanika Gupta, die Autorin des Theaterstückes ‚Sugar Mummies‘, das an diesem Strand von Negril spielt, klassifiziert die Sextouristinnen in vier Typen: Der ‚Ibiza-Typ‘ ist jung, ausgelassen und will einfach nur Spaß haben. „Viele von denen sind jung und hübsch“, sagt Gupta. „Da sie aber nicht besonders viel Geld haben, sind die Männer an ihnen nicht interessiert.“ Die zweite Gruppe ist Mitte bis Ende 30 und will unbedingt ein Kind, am liebsten ein süßes braunes. Die dritte Gruppe ist einfach nur auf der Suche nach „Liebe“ und die vierte nennt sie den ‚Großmutter-Typ‘: weißhaarige Frauen in ihren Sechzigern, die händchenhaltend mit durchtrainierten, gutaussehenden, jungen Männern am Strand entlanglaufen.
„Nach fünf Minuten am Strand fühlte auch ich mich wie Naomi Campbell“, sagt Regisseurin Gupta. „Egal wie du aussiehst oder welche Kleidergröße du trägst, die haben Sprüche drauf, dass du dich wie ein Supermodel fühlst. Man kann förmlich zusehen, wie die Frauen vor diesen Männern dahinschmelzen. Und ich kann das voll und ganz verstehen.“
Dennoch fand die Autorin auf Recherche das ganze zunehmend deprimierend: „Viele der Frauen reden darüber, wie kräftig die Männer seien und dass sie ‚die ganze Nacht durchhalten‘. Es hat mich schockiert, wie sie den männlichen schwarzen Körper zum Objekt machen. Aber am meisten hat mich deprimiert, dass das alles ja gelogen ist. Viele von den Frauen sind wirklich überzeugt, die wahre Liebe gefunden zu haben. Es ist alles ziemlich wahnhaft. Zuerst dachte ich, hier sind weiße Frauen, die schwarze Männer ausbeuten. Aber das stimmt so nicht. Es beruht auf Gegenseitigkeit. Die Kerle verhalten sich genauso ausbeuterisch.“
Guptas Stück schont die Sextouristinnen nicht. „Aber ich habe versucht klarzumachen, dass diese Frauen sich in der westlichen Welt so unsichtbar fühlen, dass ihr einziger Ausweg ist, für Bestätigung zu bezahlen.“
Es ist Freitagnacht und die Party findet in ‚Alfred’s Ocean Place‘ statt, einer Bar in Negril. Der Himmel ist sternenklar. An der unbeleuchteten Theke wird Rum oder Red Stripe-Bier getrunken, Joints kreisen. Eine Reggae-Band spielt auf der Bühne und die sandige Tanzfläche ist voll von kiffenden Rastas und blassen, plumpen Frauen, die ihr Bestes geben, um neben den Gigolos nicht lächerlich zu wirken.
Auch zwei Enddreißigerinnen aus England sind gekommen. Sie machen hier seit 2002 zwei- bis dreimal im Jahr Urlaub. Beide hatten schon mehrere jamaikanische Liebhaber. Obwohl sie Bescheid wissen. „Letztes Jahr hat uns eine Freundin begleitet und sich Hals über Kopf verliebt“, erzählt Anna, eine Krankenschwester aus Essex, die Arm in Arm mit Rodney, einem gutaussehenden 19-Jährigen, vor mir steht. „Wir haben sie gewarnt, dass der Typ ein Stricher ist, aber sie wollte uns nicht glauben und behauptete, wir seien nur neidisch. Sie schliefen miteinander, und dann fing er an, Geld zu fordern. Über ein Jahr hat sie ihm Bargeld für die Miete, für einen Pass, für alles Mögliche geschickt. Als sie einen Monat ausließ, rief er sie an und fragte: Wo bleibt mein Geld? Sie erklärte ihm, dass sie es sich nicht leisten könne und er sagte: Dann musst du dir eben einen anderen Strandjungen suchen. Sie war am Boden zerstört.“
Anna geht zur Theke und ich frage Rodney, ob er sie liebt. Er lächelt. „Ich habe eine Menge spezieller Freundinnen“, sagt er. Er holt sein Portemonnaie hervor und zeigt mir Fotos von fünf Frauen. Seine „speziellen Freundinnen“ kommen aus Großbritannien, Amerika, Kanada und Deutschland. Ich frage ihn, welche ihm am liebsten ist. „Connie“, sagt er und zeigt mit einem verträumten Grinsen auf das Foto einer weißhaarigen, attraktiven Amerikanerin Anfang 50. Und warum Connie? „Sie hat sehr viel Geld. Sie bezahlt meine College-Ausbildung und wenn ich fertig bin, wird sie mich nach Amerika mitnehmen. Das ist das, was wir alle wollen. In Amerika oder Europa leben.“

Die Autorin ist Reporterin beim Observer.
Übersetzung: Roya Shahr-Yazdi

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