14 Jahre für den Täter von Hameln

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Es war nicht nur die ungeheure Brutalität, mit der Nurettin B. im November 2011 seine Ex-Frau töten wollte: Zuerst schlug er Kader K. mit der Faust nieder, dann stach er mehrfach auf sie ein und verletzte sie am Herzen. Anschließend holte er ein Beil und zertrümmerte ihr mit der flachen Seite den Schädel.

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Aber das reichte dem 39-Jährigen nicht. Er wollte seine Ex-Frau vernichten und zwar öffentlich. Deshalb knotete er ein Seil um ihren Hals und schleifte sie an seinem Auto durch die Straßen. Wäre das Seil nicht nach 206 Metern gerissen, wäre Kader K. jetzt tot. Aber auch so grenzt es an ein Wunder, dass die 28-Jährige überlebt hat. Zweimal musste sie reanimiert werden.

Der Täter wollte sich rächen, weil Kader K. sich ihm nicht gefügt hatte

Grund für die beispiellose Tat: Nurettin B., der Kader K. 2013 auf einer Demonstration für Kurdenrechte in Brüssel kennengelernt und mit ihr nach islamischem Recht verheiratet war, wollte sich rächen: Dafür, dass Kader K. ihn verlassen hatte. Dafür, dass sie sein Gehalt für Unterhaltszahlungen hatte pfänden lassen. Überhaupt dafür, dass sie sich ihm nicht gefügt hatte. „Für ihn sind Frauen Sklaven“, hatte Kader K. vor Gericht ausgesagt. Nach der Tat hatten rund 300 Menschen in Hameln mit einer Mahnwache für Kader K. und gegen Gewalt gegen Frauen demonstriert.

Staatsanwältin Ann-Kristin Fröhlich sah keinerlei Gründe für eine Strafmilderung und forderte lebenslängliche Haft für den Täter. Doch Richter Wolfgang Rosenbusch sah das anders. Er hielt dem Angeklagten einiges zugute. Zum Beispiel, dass er ein Geständnis abgelegt habe. Nun ja. Blieb Nurettin B. nach der öffentlichen und von mehreren Zeugen beobachteten Tat etwas Anderes übrig? Außerdem: Hatte Nurettin B. nicht versucht, den für Mord notwendigen „Vorsatz“ abzuwenden, indem er behauptete, er habe die Tat nicht geplant und alle Tatwerkzeuge seien zufällig im Auto gewesen?

Nurettin B. hatte sich bereiterklärt, seinem Opfer 137.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen. Dafür wolle er sein Haus verkaufen und Kader K. sein Auto – das, mit dem er sie durch die Straßen geschleift hatte – überlassen. Auch das hielt der Richter für strafmildernd: Nurettin B. habe sich „seiner Verantwortung gestellt“ und sei bereit gewesen, „mit dem Opfer in einen Dialog zu treten“.

Kader K. war - trotz schwerer Verletzungen - beim Prozess dabei

Das Opfer jedoch hatte offenbar keinerlei Verständnis für die richterliche Milde. „Sichtlich fassungslos“, so beschreiben es Beobachter, habe sie den Richter angestarrt, nachdem der sein Urteil verkündet hatte. Dafür hatte Kader K., die dem Prozess trotz ihrer schweren Verletzungen beigewohnt hatte und als Nebenklägerin aufgetreten war, eine Botschaft an alle Frauen.

Sie ließ sie von ihrem Anwalt Roman von Alvensleben in seinem Schlussplädoyer verkünden: Kader K. habe „diese Demonstration von Macht und Unterwerfung“ mit ihrem „reinen Überlebenswillen“ überlebt, sagte er. Kaders Haltung: „Ich bleibe da, ich lasse mich nicht unterkriegen!“ Und das wolle sie allen Frauen mitgeben: „Seid stark! Lasst euch nicht kleinkriegen!“

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Gewalt gegen Frauen 2.0

Die Menschen in Freiburg trauern. Foto: Winfried Rothermel/Imago
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Am Abend des 23. November versammelten sich rund 300 Menschen zu einer Mahnwache in der Hamelner Prinzenstraße. Der Straße, auf der Nurettin B. vier Tage zuvor seine Ex-Frau Kader an seiner Anhängerkupplung fast zu Tode geschleift hatte. Oberbürgermeister Claudio Griese (CDU) findet klare Worte. Eine „barbarische Tat, die an mittelalterliche Hinrichtungen erinnert“ sei das gewesen, sagt er. Auf den Schildern, die die Menschen halten, steht „Unfassbar“ oder „Stoppt die Gewalt gegen Frauen“.

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Wäre das Seil, an dem Nurettin B. seine Ex-Frau durch die Straßen schleifte, nicht gerissen, wäre Kader K. jetzt tot. Die 28-Jährige wäre dann eine von rund 300 Frauen, die allein in Deutschland Jahr für Jahr von ihren (Ex)Männern getötet werden. Im Jahr 2015 waren es 331.

Doch was an dieser Tat so besonders ­erschüttert, ist, dass sie demonstrativ öffentlich begangen wurde. Tatsächlich: Wie im Mittelalter, wo Hinrichtungen vor Publikum stattfanden, zur Abschreckung und zum Vergnügen des Mobs.

Auch Nurettin B. wollte an seiner Frau, die sich von ihm getrennt hatte, ein Exempel statuieren. So rasend die Wut des Mannes gewesen sein muss – das war keine Tat im Affekt. Alle, sogar der zweijährige Sohn, der auf der Rückbank des Autos saß, sollten mitansehen, wie seine Mutter bestraft wird für ihren „Ungehorsam“.

Das Entsetzen in Hameln ist groß. - Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Das Entsetzen in Hameln ist groß. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Das Entsetzen über die öffentliche Exekution in Hameln und diese neue „Qualität“ der Tat ist groß. Die Frage aber, was sie mit der Herkunft des Täters und seinen Vorstellungen von Geschlechterrollen und „Mannes­ehre“ zu tun hat, soll offenbar lieber nicht ­gestellt werden. Nurettin B. ist Kurde und, so scheint es, PKK-Anhänger. Mit Kader K. war er in einer religiösen Imam-Ehe verheiratet. Aber: „Das ist ein Ansatz, der uns nicht weiterführt“, beschied Landrat Tjark Bartels (SPD) auf der Mahnwache.

Diese schamlos öffentlich ausgeübte Männergewalt gegen Frauen hatten wir in unseren Breitengraden nach jahrzehntelangem Kampf eigentlich besiegt. Gewalt gegen Frauen gibt es natürlich noch reichlich, der Fall Höxter ist ein entsetzliches Beispiel dafür. Aber sie wird hinter verschlossenen Türen oder im Dunkeln ausgeübt. 

Es war ein Zufall, dass Bundesfrauen­ministerin Manuela Schwesig (SPD) und der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, am Tag nach der Hamelner Mahnwache eine gemeinsame Pressekonferenz in Berlin gaben. Anlass: „Gewalt in Partnerschaften“. Da ging es um die heimliche ­Gewalt. 104.290 Frauen wurden im Jahr 2015 statistisch Opfer von Gewalt durch den eigenen (Ex)Mann. 65.800 dieser Opfer hatten ihren (Ex)Mann bzw. (Ex)Lebensgefährten wegen „einfacher Körperverletzung“ angezeigt, 11.400 mal wegen „gefährlicher Körperverletzung“. 16.200 waren Opfer von „Bedrohung“ geworden, 7.900 waren gestalkt worden. 331 wurden vom Täter getötet. In mehr als jedem dritten Fall (37%) beging der Täter die Straftat nach der Trennung vom Opfer. Jeder dritte Täter hatte keinen deutschen Pass.

Diese schamlos öffentlich ausgeübte Gewalt hatten wir eigentlich besiegt

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hatte das BKA diese Zahlen gezielt ausgewertet. Jahrzehntelang existierte die sogenannte „Partnerschaftsgewalt“ in der Polizei-Statistik schlicht nicht. 2011 wies das BKA erstmalig den Straftaten die Beziehung zwischen Täter und Opfer zu. Jetzt haben Frauenministerin und BKA die Daten aufbereitet und gemeinsam vorgestellt.

„Die Zahlen sind schockierend“, erklärte Ministerin Schwesig auf der Pressekon­ferenz, die pünktlich zum „Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen“ stattfand. Dabei zeigen diese Zahlen nur das so ­genannte Hellfeld, also die Opfer, die gewagt haben, die Tat anzuzeigen. „Zwei von drei Frauen“, klagte Schwesig, „zeigen trotz schwerer Gewalterfahrungen nicht an“. Und der BKA-Präsident erklärte, warum das so ist. „Opfer häuslicher Gewalt empfinden ihre Situation oft als ausweglos, sie werden nicht bemerkt und sie machen sich nicht bemerkbar.“

Kader K. hatte sich bemerkbar gemacht. Sie hatte Nurettin B. wegen seiner Gewalttätigkeiten verlassen und sich an die Polizei gewandt. Er hatte mehrfach Morddrohungen gegen seine Ex-Frau ausgesprochen und ihrer Mutter die Nase gebrochen. Es lagen gleich mehrere Anzeigen gegen Nurettin B. vor. Doch die Ermittlungen wurden eingestellt. Das sei in „unübersichtlichen“ Trennungsfällen oft so, erklärte die Hamelner Staatsanwaltschaft. Deshalb beließ es die Polizei bei einer so genannten „Gefährderansprache“. Nurettin B. sei schließlich nicht vorbestraft gewesen.

„Die Bundesregierung räumt dem Schutz vor Gewalt höchste Priorität ein“, erklärte Ministerin Schwesig auf der Pressekonferenz vier Tage nach der Tat. Doch nicht nur bei Kader K. ist das bestenfalls eine Hoffnung für die Zukunft.

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