In der aktuellen EMMA

Menschenjagd: Kopf ab, Schwarzer

Christian Schultz-Gerstein über das "stumpfsinnige 'Schwanz-Ab-Schwarzer'" von rechten wie linken Journalisten.
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So geht das nun seit Monaten: „Hexe mit stechendem Blick (Bild), „frustrierte Tucke“ (Süddeutsche Zeitung) „Nachteule mit dem Sex einer Straßenlaterne“ (Münchner Abendzeitung). Und ein Ende der Beschimpfungen, die so offenkundig kein anderes Ziel haben als das, die deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer so lange zu demütigen, bis sie es endlich gefressen hat, dass sie ihre Schnauze halten soll, ein Ende dieser bisher längsten und perfidesten journalistischen Menschenjagd in der Geschichte der Bundesrepublik ist nicht abzusehen. Denn Alice Schwarzer hat immer noch nicht abgeschworen, darum muss sie weiter büßen nach dem Motto: Mit dir werden wir schon noch fertig werden. 

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Vorige Woche traten nach den Journalisten zur Abwechslung wieder einmal deren Leser, diesmal die Spiegel-Leser, zur Exekution an. Der Betriebswirt Hans Lochbaum aus Karlsruhe schlug vor, zur Beseitigung der Frauenrechtlerin – denn nur um die Frage, wie man diese „Hexe“, die sich unverschämterweise unter uns Arier mengt, am besten los wird, nur darum geht es noch –, der Herr Lochbaum schlug also vor, ein Mann müsste her, „es der Alice zu besorgen, dass die Heide weint –, ich wette, Deutschland hätte eine ‚Frauenrechtlerin‘ weniger“. Joachim Böttger aus München dagegen versucht es, einmal noch, im Guten, Alice Schwarzer zum Verschwinden zu bewegen, indem er sie höflich, wenn auch mit hörbar bebender Stimme, die nichts Gutes ahnen lässt für den Fall des Ungehorsams, auffordert: „Verschonen Sie uns in Zukunft bitte mit diesem unausgegorenen, orthodoxen Scheißdreck.“ 

Man könnte Seiten füllen, mit solchen Zitaten lallender und zugleich herrischer Empörung, es wiederholt sich auf monotone Weise ein- und derselbe Vorgang: Hier sollen Gedanken vernichtet werden, indem man sie gar nicht erst zur Kenntnis nimmt, geschweige denn sich mit ihnen auseinandersetzt, sondern zum offenen Angriff auf diejenige übergeht, die sie verbreitet. So gewiss Alice Schwarzers Kritik am Patriarchat nicht unter Naturschutz steht, so gewiss muss eine demokratische Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient, den Schutz ihrer wie jeder anderen Person gewährleisten dadurch, dass sie sie ernstnimmt, ihr sachlich widerspricht, zustimmt oder sie auch für unwichtig hält und schweigt. Dass Alice Schwarzer diesen selbstverständlich erscheinenden Schutz nicht genießt, dass rechte und linke Journalisten gleichermaßen ihr stumpfsinniges „Schwanz-Ab-Schwarzer“, das so verdächtig nach „Kopf ab, Schwarzer“ klingt, über sie verhängen und es ihren Lesern vormachen, wie man mit so einer umspringt, das ist schon furchterregend. 

Rechte und linke Journalisten und ihr stumpfsinniges Schwanz-ab-Schwarzer

Der einzelne, der sich auf eigene Faust, das heißt ohne den schützenden Apparat einer Zeitung oder einer politischen Partei mit Meinungen in die Öffentlichkeit wagt, die den Mächtigen unbehaglich sind und bei den Ohnmächtigen auch noch Beifall finden, der wird hierzulande zunehmend als Freiwild gejagt. Aus Ostfriesland berichtet ein Lehrer, der mit 14-Jährigen zum Thema Emanzipation einen Text von Alice Schwarzer las: „Die Stunden … waren sehr chaotisch. Schon der Name Alice Schwarzer löste einen ungeheuren Tumult in der Klasse aus … Ich musste mich gegen den Vorwurf wehren, überhaupt einen Text von Schwarzer vorzulegen.“   

Die Zeit, 16.7.76

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