Die Tour des Femmes!

Die französische Protestgruppe "Donnons des Elles au Vélo" auf der Tour de France. Foto: Mickael Gagne Photographies
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„Watch the Femmes“ stand gut lesbar auf der Mütze von Radsport-Stars Tadej Pogacar. Damit warb der dreimalige Sieger der „Tour de France“ für die „Tour des France Femmes“. Es ist die dritte Auflage der Tour der Frauen. 949 Kilometer und 10.700 Höhenmeter legen die Fahrerinnen zurück.

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Erstmals fahren sie nicht im medialen Windschatten der Männer, die ARD überträgt live, und erstmals gibt es ein ordentliches Preisgeld. 250.000 Euro werden auf den acht Etappen vergeben (bei den Männern ist es noch immer doppelt so viel), inklusive der 50.000 Euro, die der Gesamtsiegerin zustehen.

Bis in die 1980er wurden Rennfahrerinnen als "radelnde Hausfrauen" belächelt

Der Frauen-Radsport hat in den vergangenen Jahren einen phänomenalen Aufschwung erlebt. Die mediale Präsenz ist um ein Vielfaches gestiegen, große SponsorInnen engagieren sich und sportlich ist frau nun deutlich professioneller aufgestellt.

Bereits 2009 gab es ein erstes, an die Tour der Männer angelehntes Frauenrennen, das kam in den Medien aber kaum vor. Von den Podiumsgirls, die den Etappensiegern der Männer Blumensträuße überreichen und ihnen einen Kuss auf die Wange drücken, war im Fernsehen mehr zu sehen als vom gesamten Wettkampf der Frauen. Als die drei Gewinnerinnen zur Pressekonferenz gerufen wurden, saßen da gerade mal eine Handvoll gelangweilter JournalistInnen.

Das bis heute ins Feld geführte Argument, Frauen könnten einfach keine 3.000 Kilometer im Sattel sitzen, wird schon seit 2015 von den französischen Protestradlerinnen „Donnons des Elles au Vélo!“ widerlegt. Die fahren jede Etappe der Tour de France genau einen Tag vor den Männern – bis ins Ziel nach Paris. „Donnons des Elles au Vélo!“ ist ein Wortspiel. „Elles“ (sie) klingt wie „ailes“ (Flügel) – „Geben wir dem Fahrrad Flügel“.

Das Fahrrad gab Frauen Freiheit - manchmal gleich dreifach.
Das Fahrrad gab Frauen Freiheit - manchmal gleich dreifach.

Eine erste „kleine“ Tour de France der Frauen gab es übrigens schon 1955, gefolgt von weiteren Rennen, bei denen Frauen unglaubliche Zeiten fuhren. Nur ignorierte die Presse diese Erfolge. Besonders in Großbritannien wurden die Rennradfahrerinnen als „radelnde Hausfrauen“ belächelt, „als Frauen, die nur so schnell unterwegs sind, weil sie dringend nach Hause müssen, um dem Haushalt hinterher zu kommen“.

Beryl Burton zum Beispiel, eine der erfolgreichsten Rennradfahrerinnen der Welt, wurde bis zu ihrem Karriere-Ende 1980 die „Hausfrau aus Yorkshire“ genannt. Sie hatte 1976 in einem Rennen den Groll der Männerwelt auf sich gezogen. Bei einem Zwölf-Stunden-Rennen starteten die Frauen zeitversetzt auf der gleichen Strecke wie die Männer.

Burton überholte zunächst alle Frauen und schloss trotz des späteren Starts sogar zu den vorausradelnden Männern auf. Einen nach dem anderen überholte sie, bis sie nach über elf Stunden bei Kilometer 400 auf den führenden Mann, Mike McNamara, traf. Der war gerade auf dem besten Weg, einen neuen Männerrekord aufzustellen und hatte keine Ahnung, wer da neben ihm fuhr. Beryl bot ihm ein Lakritz-Bonbon an. Er nahm es und bedankte sich. Und dann zog Beryl an ihm vorbei und stellte einen neuen Rekord auf, für Frauen und für Männer, für Menschen.

Eileen Sheridan - The Mighty Atom - zeigte es allen.
Eileen Sheridan - The Mighty Atom - zeigte es allen.

Bei aller Häme, die den Radsportlerinnen in den 1950ern entgegenschlug – an einer kam nun wirklich niemand vorbei: an Eileen Sheridan. Die Britin galt in den 1950ern als „populärster Radsportler Großbritanniens“, geschlechterübergreifend. Sie schlug nicht nur alle bestehenden Rekorde in Frauenrennen, sie radelte wiederholt den Männern davon. Eileen wurde ein absoluter Publikumsliebling – auch wegen ihres entwaffnenden Lächelns. Ganze Dörfer stellten sich an die Strecke und winkten mit dem Taschentuch, wenn „The Mighty Atom“ vorbeischnürte, so ihr Spitzname. Der Fahrradhersteller „Herkules“ nahm sie als erste Profi-Fahrerin unter Vertrag.

Eine radelnde Frau - das schickt sich nicht. In manchen Ländern ist das noch immer so.

Anfang der 2010er Jahre wurden alte Filmaufnahmen von Männerrennen wieder ausgegraben, auf denen Eileen zu sehen war, 2014 ein 20-minütiger Dokumentarfilm über sie montiert. Titel: „Come on Eileen!“ 2016 wurde sie in die „British Cycling Hall of Fame“ aufgenommen.

Eine radelnde Frau, das schickte sich früher nicht. In Ländern wie Afghanistan, Iran oder Saudi-Arabien ist das bis heute so. Ergreifend eingefangen hat das 2012 die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour in ihrem Filmdebut „Das Mädchen Wadjda“. Wadjda ist ein elfjähriges Mädchen in Riad, und sie träumt davon, das schöne grüne Fahrrad zu besitzen, das sie jeden Tag in einem Spielzeugladen auf ihrem Schulweg sieht. Sie will damit ein Rennen gegen einen Schulkameraden fahren. Aber Fahrradfahren, das dürfen Mädchen in Saudi-Arabien nicht. Wadjda schafft es gegen alle Widerstände, das grüne Fahrrad zu bekommen. Sie gewinnt sogar das Rennen gegen den Jungen und radelt schließlich in die große weite Welt hinaus. Ein Traum für alle muslimischen Mädchen.

Erst im April 2013 hat Saudi-Arabien Frauen und Mädchen das Radfahren erlaubt. Allerdings nur in Begleitung eines männlichen Verwandten und unsichtbar gemacht unter dem Schleier.

In Saudi-Arabien ist das Radfahren für Frauen und Mädchen erst seit 2013 erlaubt

In manchen afrikanischen Ländern wird das Fahrrad „kleines Wunder“ genannt, besonders von Mädchen. Es ist ihr Schlüssel zu Bildung. In Sambia zum Beispiel verschenkt die Hilfsorganisation „World Bicycle Relief“ Räder an Mädchen, damit sie die oft weitentfernten Schulen besuchen können oder schneller an Brunnen gelangen. Das Wasserholen ist in vielen Ländern des globalen Südens Mädchensache. Ihr Weg ist nicht selten 30 Kilometer weit, oft in sengender Hitze.

Trotz aller Widerstände haben sich die radelnden Frauen in jeder Epoche durchgesetzt. Zu groß ist ihre Liebe zum eigenen Fahrrad und das berauschende Gefühl, ein bisschen fliegen zu können.

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