Guo Jianmei: Entschlossen

Über 4000 Klagen hat Jianmei auf den Weg gebracht.
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„Schlafende Schönheiten“ nennt Guo Jianmei Gesetze für Frauenrechte in China. „Diese Gesetze kommen nie zur Anwendung“, erklärt sie. Die Bürgerrechtsanwältin kennt die Lebensrealitäten von zehntausenden von Frauen. Frauen, die ausgeraubt, vergewaltigt, in die Prostitution getrieben, enteignet, gefoltert oder gar verbrannt wurden. Oder Frauen, die es gewagt haben, schwanger zu werden, obwohl es ihr Betrieb untersagt hatte. Mehr als 4000 Klagen hat sie bisher auf den Weg gebracht.

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Frauen gelten in unserer Kultur als unterlegen

„Frauen gelten in unserer Kultur immer noch als unterlegen. Meine Großmutter starb mit nicht einmal 40 Jahren. Sie verhungerte, während sie Brot verkaufte. Aus Angst verprügelt zu werden, hat sie nichts davon gegessen“, erzählt die heute 58-Jährige. Aus ihrer Heimat in der zentralchinesischen Provinz Henan brach Guo Jianmei mit 18 Jahren aus und studiert Jura an der Universität von Peking. Nach ihrem Studium bekam Jianmei eine Stelle im Justizministerium in Peking und arbeitete als Redakteurin für den Frauenverband. Anfang der 90er Jahre reiste sie durch 18 Provinzen, um die Lage von Frauen auf dem Land zu erforschen. Die Rechtlosigkeit dieser Frauen schockierte sie.

Für die chinesische Anwältin wird das Jahr 1995 zum Wendepunkt. Sie nimmt an der internationalen Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking teil. Viele Chinesinnen kommen erstmals mit ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Kontakt. Schnell ist klar: Guo will ihre eigene NGO. Noch im selben Jahr kündigt sie ihren sicheren Regierungsjob und baut ein autonomes Rechtsberatungszentrum für Frauen an der Pekinger Universität auf. Das erste in ganz China. Rasch wird sie die bekannteste Frauenrechtsanwältin ihres Landes.

Die Regierung hat ein Auge auf die Familie geworfen

Das Zentrum berät Opfer der Ein-Kind-Politik oder von sexuellen Übergriffen, Wanderarbeiterinnen oder Angestellte. Darunter 80 Näherinnen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiteten und von dem einen auf den anderen Tag nicht mehr entlohnt wurden. Frauen, deren Land von der Regierung zwangsenteignet wurde. Der Fall „Wei“ sorgt 2000 in China für großes Aufsehen - eine Frau, die jahrelang von ihrem Ehemann misshandelt und von ihm mit Benzin übergossen und angezündet wurde. „Privatsache“ sagte die Polizei. „Versuchter Mord“ sagte Jianmei. Sie erreicht eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren für den Täter - ein Novum in China.

Jianmei ist verheiratet mit dem in China erfolgreichen Schriftsteller Liu Zhenyun und hat eine 31 Jahre alte Tochter, Liu Yulin, eine Filmregisseurin. Die Regierung hat die Familie im Auge. 2016 wurde Jianmeis Rechtsberatungszentrum für Frauen überraschend geschlossen. Kurz zuvor hatte Guo den Fall der 21-jährigen Li Ruirui vor Gericht gebracht, die in einem der „schwarzen Gefängnisse“ in Peking von einem Sicherheitsmann vergewaltigt worden war. „Schwarze Gefängnisse“ existieren offiziell nicht. In sie werden häufig Menschen gesperrt, die gegen Korruption und Willkür in ihren Heimatprovinzen kämpfen.

In China brodelt es. „Die Bevölkerung will die Ungerechtigkeiten und Unterdrückung nicht länger akzeptieren, die Menschen werden sich ihrer Rechte bewusster!“, sagt Jianmei. Am 4. Dezember hat sie dafür den mit 94.000 Euro dotierten Alternativen Nobelpreis in Stockholm erhalten. Vielleicht wird ja ein Weg gefunden, ihr wenigstens das Geld zukommen zu lassen. Sie könnte es gut brauchen. Für „ihre“ Frauen.

www.rightlivelihoodaward.org

 

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