Die (Un)Lust der Frauen
Zu mir kommen viele Frauen, denen die Lust in der Beziehung verloren gegangen ist. Die Frauen haben immer noch dieses Bild, dass sie sexuell zur Verfügung stehen sollten und fragen sich: Warum funktioniere ich nicht? Dabei sind die berufstätig, kümmern sich um die Kinder, führen den Haushalt. Ich habe als Sexualtherapeutin viele Sitzungen mit Paaren, in denen es nur um den „Mental Load“ geht, also um die Frage: Wer ist für was im Alltag zuständig? Was überfordert mich? Es gibt immer noch unglaublich viele junge Frauen, die meinen, sie müssten permanent performen und ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen. Die Anforderungen, die Frauen an sich selbst haben, steigen immer mehr. Dieses: Ich muss Karriere machen, dabei top aussehen und eine Spitzenmutter sein – das ist vollkommen wahnsinnig. Ich weiß nicht, wo das noch hingehen soll! Und dann haben die Frauen keine Kraft mehr für irgendwas anderes, so ein Programm kann man ja gerade noch haarscharf überleben.
Dabei bleibt die Intimität – und hier meine ich jetzt nicht die sexuelle – auf der Strecke, also eine gute Kommunikation und emotionale Nähe. Darunter leiden die Frauen sehr stark und dann verschwindet auch ihre Lust.
Was mich als Feministin immer wieder rasend macht, ist, dass ich denke: Leute, wir haben 2025, warum müssen wir euch Männern das immer wieder vermitteln? Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen: „Männer, hört auf zu helfen!“ Genau, dachte ich. Ihr sollt nicht „helfen“, ihr sollt Verantwortung übernehmen!
Gleichzeitig muss ich der Gerechtigkeit halber sagen, dass ich die jungen Männer als sehr offen dafür erlebe, es lernen zu wollen. Aber bei mir sitzen natürlich auch nur die Männer, die offen für eine Paartherapie sind.
Es sind übrigens genauso oft Männer wie Frauen, die sich bei mir melden und sagen: „Wir brauchen als Paar jetzt Hilfe!“ Das läuft aber bei den Männern natürlich über die Sexualität. Die sagen: „Ich leide darunter, dass wir so wenig Sex haben.“ Ich sage dann immer: Sie Armer, jetzt haben Sie mich an der Backe! Denn ich mache denen ganz schnell klar, dass wir keineswegs nur über Sex reden, sondern dass es ganz viel um das Paarthema geht – und eben darum, wer die Wäsche macht und wer die Spülmaschine ausräumt.
Dann habe ich in der Therapie natürlich auch das Thema Fremdgehen. Da halten sich in meiner Praxis Männer und Frauen die Waage, auch wenn die Statistiken was anderes sagen. Die Frauen gehen in der Regel fremd, weil das Paar nicht dafür gesorgt hat, weiterhin eine emotionale Nähe und Intimität zu haben. Und mit diesem Wunsch haben sich die Frauen dann oft dem Mann nicht so zugemutet.
Und dazu kommt natürlich, dass die meisten Frauen sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen. Ich habe größtenteils Frauen hier sitzen, die der klassischen Normschönheit entsprechen, richtige Barbies. Und keine ist mit ihrem Körper zufrieden. Die sagen alle: Ich müsste abnehmen, ich müsste dies, ich müsste das. Das ist ein Riesenthema. Bis hin zu denen, die sich sogar ihre Schamlippen verkleinern lassen wollen. Es gibt eine Praxis in Düsseldorf, die solche Genital-OPs anbietet. Und ich habe immer wieder Klientinnen hier sitzen, die dort waren und sich zumindest nach einer OP erkundigt haben. Die Schraube hat sich durch Instagram & Co. noch mehr angezogen.
Ich versuche dann, das in den Therapiegesprächen zu wecken: Kann ich lernen, mich mit mir und meinem Körper anzufreunden? Das ist immer auch Teil meiner Arbeit als Sexualtherapeutin. Denn diese Unzufriedenheit wirkt sich natürlich total auf die Sexualität aus. Ich hatte gestern erst wieder ein Gespräch mit einer Klientin, die mir erzählt hat, was alles in ihr vorgeht, wenn sie sich ihrem Mann gegenüber nackt zeigt. Wie soll ich mich denn einlassen, wenn ich mich selber nicht, wie ich immer sage, lecker finde?
Viele Frauen kommen zu mir, weil sie unter Vaginismus leiden und ich mich auf dieses Thema spezialisiert habe. Dabei zieht sich aufgrund von Anspannung, die natürlich im Kopf stattfindet, der Beckenboden zusammen, der wie ein Ring um die Vagina sitzt. Früher unterstellte man der Frau, sie sei „unnormal“, heute wissen wir: Der Körper hat einen Mechanismus entwickelt, um die Frau vor Geschlechtsverkehr zu schützen, der etwas Unangenehmes auslösen könnte. Denn die Ursache kann ein sexuelles Trauma sein, oft ein frühes, eine schmerzhafte medizinische Untersuchung oder auch eine sehr rigide Sexualerziehung. Oder es kann in einer früheren Partnerschaft entstanden sein, zum Beispiel durch einen Übergriff oder überhaupt Sex, den die Frau nicht wollte.
Es fällt Frauen schwer zu sagen, was sie wirklich wollen und was nicht
Ich versuche dann zu verstehen, wie der Vaginismus entstanden ist und mit der Frau eine langsame Annäherung an ihren Körper zu erreichen. Und ich arbeite natürlich mit dem Paar, wo wir dann unter anderem schauen: Was hat denn das Paar vielleicht schon für eine tolle Sexualität entwickelt? Denn Sex ist ja nicht zwangsläufig Penetration. Wir sprechen darüber, dass das ein gesellschaftliches Bild von Sexualität ist, dass es aber viele andere Möglichkeiten für eine schöne Sexualität gibt.
Ein großes Thema ist auch: Ich habe über einen längeren Zeitraum mit meinem Mann nur ihm zuliebe Sex gehabt. Das gibt es immer wieder, egal in welcher Generation und egal, wie aufgeklärt die Frauen sind. Dass sie entweder gar keine Lust haben und es trotzdem machen oder sagen: Das, was wir da machen, macht mir keinen Spaß. Es fällt ihnen aber schwer, sich dafür einzusetzen, oder aber überhaupt zu überlegen: Was ist denn dann der Sex, den ich will? Wir nennen das in der Sexualtherapie: sex worth wanting.
Mädchen assoziieren mit Sexualität nach wie vor häufig Gefahr: sexuellen Missbrauch zu erleben, schwanger zu werden, vergewaltigt zu werden. Sie werden darauf immer wieder hingewiesen, zu Recht. Aber es wird ihnen auch heute noch viel zu selten mitgegeben: Das ist deine Sexualität, die soll dir Spaß machen, schau, was du magst! Männern wird gesellschaftlich viel stärker vermittelt: Klar, du hast Sex, das ist deiner, der steht dir zu, probier Sachen aus! Und diese Wünsche sind natürlich stark von der Pornografie geprägt, beziehungsweise bei den Frauen die Vorstellung, wie sie zu performen haben. Auch da wird vermittelt: Die Penetration ist der Hauptteil von Sex. Und die Frauen glauben dann: Dann muss ich das jetzt auch am schönsten finden.
Dabei ist das Thema Klitoris eigentlich keins mehr, zumindest nicht bei Paaren unter 40. Aber dass ich weiß, dass ich eine Klitoris habe und da so und so berührt werden muss, heißt nicht, dass ich das dann auch durchsetze. Da sind Frauen oft sehr gefangen in dem Glauben: Ich darf nicht zu hohe Ansprüche stellen, denn dann bin ich kompliziert, und eine komplizierte Frau darf ich nicht sein.
Und dann frage ich mich: Wie kann das sein? Die Frauen verdienen ihr eigenes Geld, die sind unabhängig, die können alleine klarkommen. Und trotzdem bleiben genau diese Frauen in der 50er-Jahre-Rolle ihrer Mütter hängen und sind damit beschäftigt, wie sie es dem Mann unkompliziert einrichten können. Das erlebe ich täglich in meiner Praxis. Mich macht das wahnsinnig! Was haben wir für ein Jahr? Haben wir die Fünfziger und soll ich ihnen ein Petticoat schenken oder haben wir doch 2025?
Frauen wollen eine Beziehung, Männer wollen Unverbindlichkeit
Was ich auch beobachte, ist, dass Beziehungen zusehends unverbindlicher werden. Stichwort Situationship. Das kommt natürlich stark durch die Dating-Plattformen. Da kann man eben sehr schnell nochmal und nochmal und nochmal jemanden kennenlernen und hier mal ausprobieren und da mal ausprobieren. Und wenn ich mich mit 15 weiteren treffe, möchte ich mich jetzt noch nicht festlegen, weil ja vielleicht noch was Besseres kommt. Das hat natürlich sehr viel mit Konsum zu tun.
Manche Frauen machen das erstmal mit, nach dem Motto: Besser als nichts. Es gibt nach meiner Beobachtung auch bei Frauen stärker den Wunsch, mal verschiedene Sachen auszuprobieren. Also nicht mehr: Ich bin in einer Beziehung oder nicht. Sondern ich kann damit ein bisschen mehr spielen. Aber meist ist es eben so, dass die Frauen die Situationship gern in eine Relationship verwandeln wollen. Und für die Männer hat die Unverbindlichkeit jetzt einen coolen Namen.
Allerdings sehe ich auch die Tendenz, dass gerade junge Leute auf diese Dating-Plattformen keine Lust mehr haben. Auch, weil sie sich im Internet immer so super darstellen müssen. Die sagen: Ich will jemanden im wahren Leben kennenlernen! Da gibt es eine Sehnsucht, von diesem Konsumding wieder wegzukommen.
Das Gespräch führte Chantal Louis.
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