Sisters gewinnt Prozess!

Sabine Constabel (2. v. re) und ihre Sisters im Berliner Landgericht: Gesiegt!
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Dass Gegnerinnen des Systems Prostitution und seiner Profiteure immer wieder heftig diffamiert werden, ist nicht neu: Sie seien „Hurenhasserinnen“, „rechts“ und neuerdings auch „queerfeindlich“. Am 12. Mai 2023 jedoch hatte das Ausmaß einen neuen Höhepunkt erreicht. Die „Sexarbeiterin“ Ruby Rebelde erklärte in einem Vortrag: Sisters, Solwodi, das Aussteigerinnen-Netzwerk ELLA und EMMA seien nicht nur „antifeministisch“, sondern auch „strukturell antisemitisch“. Bitte was?

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Einen schlimmeren und rufschädigenderen Vorwurf kann man in Deutschland kaum erheben. Der Verein Sisters e.V. zog dagegen vor Gericht – und gewann. Das Landgericht Berlin entschied: Sollte sie die Behauptung wiederholen, drohen Ruby Rebelde 250.000 Euro Ordnungsgeld oder ersatzweise bis zu sechs Monaten Haft.

Was genau war passiert? Am 12. Mai hatte die „Initiative Respekt und Schutz von Sexarbeiter*innen“ in Berlin zu einem Fachtag unter dem Dach der Diakonie Deutschland geladen. Der Initiative mit dem wohlklingenden Namen gehören neben der Diakonie auch der Deutsche Frauenrat, der Juristinnenbund und die Deutsche Aidshilfe an, finanziert wurde die Veranstaltung vom Bundesfrauenministerium.

Antisemitismus - einen rufschädigenderen Vorwurf kann man nicht erheben

Gemeinsam positionieren sich die vier Verbände seit Jahren öffentlichkeitswirksam gegen das „Nordische Modell“, also die Freierbestrafung bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten und Ausstiegshilfen. Immer mehr Länder übernehmen das Modell, das auch Europarat und EU-Parlament als effektivstes Mittel gegen Menschenhandel betrachten und empfehlen. Auch in Deutschland sind immer mehr Menschen und auch Bundestagsabgeordnete vom „Nordischen Modell“ überzeugt, berichten immer mehr Medien kritisch, zuletzt der Spiegel, der die deutsche Prostitutionspolitik als „verhängnisvollen Fehler“ bezeichnete. Das sorgt offenbar bei der Pro-Prostitutionslobby für eine gewisse Beunruhigung, womöglich auch: Panik.

Vermutlich auch bei „Hydra“, jener Berliner Beratungsstelle, deren Ziel es ist, dass „Sexarbeit als eine Erwerbsarbeit wie jede andere anerkannt wird“ und deshalb folgerichtig auch "Einstiegsberatung" anbietet. Vom rot-rot-grünen Senat wurde "Hydra" allein zwischen 2017 und 2020 mit 2,3 Millionen Euro gefördert. Ruby Rebelde ist „Vorständ*in“ von Hydra. Außerdem ist sie „dominante Bizarrlady“, die unter dem Namen Mademoiselle Ruby allerlei „sexuelle Dienstleistungen“ anbietet, darunter „Toilettenerziehung“, „Ponyplay“ oder „Ageplay“ inclusive „frischem Windelpaket“. Diese extravaganten Wünsche ihrer Klienten dürfte sich Mademoiselle Ruby sehr gut bezahlen lassen.

Bei ihrem Vortrag also erklärte Ruby Rebelde die angeblich „antifeministischen Motivationen“ derjenigen, die sich gegen die sexuelle Ausbeutung Hunderttausender Frauen aus den Armenhäusern Europas in deutschen Bordellen engagieren und für eine Ächtung des Frauenkaufs eintreten. Konkret warf Rebelde auf einer Folie die „Akteur*innen“ an die Wand: Sisters e.V., das Netzwerk Ella, SOLWODI und EMMA. Sie seien: „Radikal-feministisch, trans-exkludierend und strukturell antisemitisch“.

Dass eine Pro-Prostitutionslobby existiert, ist eine "Verschwörungserzählung"?

„Strukturell antisemitisch?“ Wie kommt die Hydra-Frau auf diesen aberwitzigen Vorwurf? (Auch die Behauptung, die vier seien trans-exkludierend, ist falsch, aber das ist hier nicht das Thema.) Die abenteuerliche „Argumentation“ lautet sinngemäß: Die genannten Initiativen sprächen von einer „Prostitutionslobby“, die Einfluss auf die Politik nehme. „Hinter diesem Begriff steckt eine Verschwörungserzählung“, behauptet Rebelde und beruft sich auf die Amadeo-Antonio-Stiftung, die erklärt: Eine Verschwörungsideologie sei, „zumindest strukturell, immer antisemitisch“. Denn: „Der Blick in die Geschichte zeigt: Der bösen ‚Weltverschwörung‘ werden immer wieder neue Mittel, Personen und Gruppen zugeordnet; fester Bestandteil bleiben jedoch ‚die Juden‘.“

Ein ebenso durchsichtiger wie argumentativ unterirdischer Versuch, politische Gegner mit dem Vorwurf des Antisemitismus mundtot zu machen. Er ist allerdings zum Scheitern verurteilt.

Erstens ist der Begriff Lobbyarbeit keineswegs ehrenrührig. In das Lobbyregister beim Deutschen Bundestag sind rund 6.000 Verbände und Initiativen eingetragen, von Greenpeace bis zum Bund der Deutschen Katholischen Jugend NRW. Zweitens betreiben Verbände wie der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BESD) selbstverständlich Lobbyarbeit. So durfte der BESD bei der Ausarbeitung des „Prostituiertenschutzgesetzes“ von 2017 auf einer Fachtagung des damals SPD-geführten Bundesfrauenministeriums seine Vorschläge für das Gesetz unterbreiten, genau wie übrigens der (ins Lobbyregister eingetragene) Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland (UEGD), ein Zusammenschluss von Bordellbetreibern.

Der Bordellbetreiberverband ist ins Lobbyregister des Bundestags eingetragen

Und drittens verwässert es den Begriff des Antisemitismus, wenn sämtliche Verschwörungstheorien - von inszenierter Mondlandung bis Chemtrails – angeblich „strukturell antisemitisch“, also judenfeindlich sein sollen. Was sagt eigentlich der Zentralrat der Juden in Deutschland dazu?     

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Das bei Rebeldes Vortrag anwesende Fachpublikum jedenfalls sagte nach Angaben anwesender ZeugInnen nichts, auch die gastgebende Diakonie ließ den ungeheuerlichen Vorwurf unkommentiert durchgehen. Nicht so die Richterin am Berliner Landgericht. Sie wollte den absurden Gedankengängen und dem Versuch der Rufschädigung von Ruby Rebelde und dem sie unterstützenden BESD nicht folgen und gab der Klage auf Unterlassung statt. Zuvor hatte sich Rebelde geweigert, eine von Sisters, ELLA und EMMA anwaltlich eingeforderte Unterlassungserklärung zu unterschreiben und beklagt, sie solle in ihrer „Meinungsfreiheit eingeschränkt“ werden.

Das Gericht folgte jedoch den Ausführungen von Anwalt Jonas Jacob, der erklärt hatte, es gebe für die Titulierung von Sisters e.V. „keinerlei sachliche Anhaltspunkte“, so dass der „rufschädigende Vorgang keinesfalls von einer ‚Meinungsfreiheit‘ gedeckt“ sei. Außerdem bestehe „ein besonderes Interesse, den Begriff Antisemitismus klar definiert zu halten.“  

"Jeder Cent, den wir wegen so etwas weniger bekommen, fehlt den Frauen beim Ausstieg."

Die Vorsitzende von Sisters, Sozialarbeiterin Sabine Constabel, die seit drei Jahrzehnten Prostituierte beim Ausstieg unterstützt, ist hochzufrieden mit dem Urteil. „Wir haben uns erfolgreich gegen eine Diffamation verteidigt.“ Das sei auch deshalb so wichtig, weil „jeder Cent, den wir aufgrund einer solchen Diffamation weniger einnehmen, den Frauen fehlt, die wir beim Ausstieg unterstützen.“ Sisters unterhält unter anderem eine Schutzwohnung für Prostitutions-Aussteigerinnen. „Gerade haben wir einer Frau, die im Bordell trotz Alarmknopf von einem Freier schwer verletzt wurde, die Krankenhauskosten finanziert. Uns anzugreifen mit dem Effekt, dass wir weniger Spenden bekommen, ist infam.“

Es wird nicht der letzte Angriff gewesen sein. Dieser jedoch ist erfolgreich abgewehrt -zunächst. Ruby Rebelde hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. 

CHANTAL LOUIS
 

Sisters e.V - für den Ausstieg aus der Prostitution
Netzwerk Ella
Solwodi

 

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