Alice Schwarzer schreibt

Frauentag: Der 8. März - ein Witz!

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In der Hauptstadt ist der 8. März seit 2019 ein Feiertag. Eine galante Geste – und wie jede Galanterie gönnerhaft, ja eigentlich verächtlich. Eine symbolische Schmeichelei statt der realen Gleichberechtigung.

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Okay, die Berliner haben aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht, als sie für den 8. März als Feiertag plädierten. Hauptgrund: die säkulare Hauptstadt hat so wenig Feiertage: neun statt, wie das katholische Bayern, 13. Also musste ein weiterer Feieranlass her. Das ist nun der sogenannte „Frauentag“. Ein „arbeitsfreier Tag“ für alle. Arbeitsfrei? Nicht für alle! Im besten Fall darf Mutti mal ausschlafen und kriegt ein paar Blümchen ans Bett gestellt. Dann geht es weiter wie gewohnt.

Wird dieser 8. März in Berlin nun von Frauen genutzt werden, gegen ihre Unterbezahlung im Beruf und ihre Hauptzuständigkeit für die Gratisarbeit im Haus zu protestieren? Werden die Berlinerinnen massenhaft auf die Straße gehen? Männerdomänen besetzen? – Okay, das ist in Coronazeiten nicht möglich, wird aber auch 2022 nicht so sein. Denn an Feiertagen hat Mutti bekanntermaßen eher noch mehr im Haus zu tun.

Abends in der Tagesschau dürfen wir uns dann vor der launigen Abmoderation die markigen Sprüche der PolitikerInnen im Parlament anhören: Genderpay Gap, Quoten – und in diesem Jahr vielleicht sogar Homeoffice und die sogenannte häusliche Gewalt (als würden Häuser schlagen und nicht Männer). Einmal im Jahr.

Doch woher kommt er eigentlich, dieser skurrile 8. März, an dem die Frauen lauwarmen Sekt im Büro und die immergleichen Sprüche in der Politik zu hören bekommen? Darüber habe ich vor elf Jahren schon mal geschrieben. Hier mein Aufruf zur Abschaffung des Frauentages aus dem Jahr 2010:

„Woher kommt eigentlich der 8. März?“

Erich Honecker bei einer Feier zum Internationalen Frauentag in Berlin. - Foto: imago images
Erich Honecker bei einer Feier zum Internationalen Frauentag 1984 in Berlin. - Foto: imago images

Von der Frauenbewegung auf jeden Fall nicht. In den 1970er Jahren kannten wir keinen 8. März. Es muss so Anfang der 80er Jahre gewesen sein, als der auftauchte. Im Westen. Im Osten war er wohlbekannt.

Denn in der DDR war der 8. März seit Staatsgründung so etwas wie ein „sozialistischer Muttertag“. Muttern bekam das Frühstück gemacht, bevor sie in die Brigade eilte; Vatern überreichte der Seinen rote Nelken, im Betrieb gab’s Kaffe und Kuchen. Und der Staatsratsvorsitzende empfing die allerverdientesten Genossinnen zum Sektempfang.

Und in manchen sozialistischen Ländern amüsierten sich übermütige Genossen an diesem Tag damit, die dreifach belasteten Frauen (Betrieb, Einkaufsschlange, Kinder) mit Parfüm zu bespritzen, mit billigem Parfüm. Eine Handlung, die vom symbolischen Gehalt des karnevalesken Krawattenabschneidens der Frauen an Weiberfastnacht in nichts nachsteht…

Kurzum: Der 8. März ist eine sozialistische Erfindung, die auf einen Streik von tapferen Textilarbeiterinnen zurück geht und 1910 auf der 2. Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen in aller Form beschlossen wurde. „Genossinnen! Arbeitende Frauen und Mädchen!“ schrieb Clara Zetkin 1911 in der Gleichheit, „der 19. März (der später zum 8. März wurde, Anm.d.Red.) ist euer Tag. Er gilt eurem Recht!“

Doch gerade die Frauenbewegung entstand bekanntermaßen Anfang der 1970er Jahre im Westen nicht zuletzt aus Protest gegen die patriarchale Linke. Eine Linke, die zwar noch die letzten bolivianischen Bauern befreien wollte, die eigenen Frauen und Freundinnen aber weiter Kaffee kochen, Flugblätter tippen und Kinder versorgen ließ. Und die realsozialistischen Länder waren in den obersten Etagen bekanntermaßen auch frauenfrei. Unter diesen Vorzeichen ist die Übernahme des sozialistischen Muttertags als „unser Frauentag“ für eine Feministin wie mich, gelinde gesagt, der reinste Hohn.

Schaffen wir ihn also endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März! Und machen wir aus dem einen Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen – und für die Tiere und die Natur gleich dazu.

ALICE SCHWARZER

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Der 8. März – eine DDR-Erfindung

8. März 1967. Walter Ulbricht gratuliert den Müttern: mit einem Glas Sekt und roter Nelke. Foto: Bundesarchiv
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An zusammengeschobenen Arbeitstischen stehen zehn Frauen. In ihrer Mitte, eingerahmt von zwei kräftigen Blonden, die ihn um Kopfes­länge überragen, ein kleiner Mann. Das ist der Chef. Die Brigade "Ausfertigung" einer Ost-Berliner Maschinenfabrik feiert Frauentag. Mit Plätzchenteller und – wahrscheinlich süßem – Weißwein. Die Uhr an der Wand zeigt kurz nach drei an, also Arbeitszeit. Gefeiert wird kollektiv und, wenn es geht, im Dienst. Das vergilbte, undatierte Foto lag Anfang der 90er Jahre zwischen zerrissenen Akten und ­allerlei ramponierten Möbeln vor einer ­geschlossenen Maschinenfabrik in Berlin-Marzahn. Sperrmüll der Geschichte.

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Die Foto-Frauen aus Marzahn machen nicht den Eindruck, als hinge ihre Ehre oder ihr Selbstbewusstsein ab von diesem seltsamen Festtag, dessen Vorgeschichte die meisten Ostdeutschen nur vage, auf das Nötigste zusammengeschrumpft, kannten. Wählen durften sie längst, mussten sie alle, aber bekanntlich hatten sie keine Wahl. Arbeiten durfte, aber musste auch jeder. Streiken war verboten, wohl auch deshalb sollte die Geschichte des internationalen Frauentags nicht allzu genau gekannt ­werden. Eine große Gleichberechtigungskampagne nach dem Aderlass der Vormauerzeiten brachte jedenfalls die Frauen im Osten in Lohn und Brot und zuweilen sogar in wichtige Positionen. Doch bald schon klärte sich das Bild und es blieben für die meisten die Fließbänder, die Webstuhlreihen, die Verkaufstheken der HO.

Am 8. März schenkten die Kindergartenkinder ihren Müttern selbst gebastelte Blumenkärtchen, ganz biedermeierlich, und sagten brav das Frauentagsgedicht auf: "Meine Mutti, die ist tüchtig, alles macht sie klug und richtig, zu Haus’ und im Betrieb. Mutti, ich hab dich so lieb!" Nicht alle Muttis waren am 8. März stolz darauf, wenn sie einen Orden umgehängt bekamen. Wenn Erich Honecker, SED-Chef und oberster Frauenversteher in der DDR, am Frauentagsabend verdiente Traktoristinnen und Weberinnen im Palast der Republik auszeichnete, blickten die zwar meist stolz in die Kameras. Doch jeder kennt auch Wolfgang Mattheuers heftig diskutiertes Bild "Die Ausgezeichnete", diese abgespannte, einsame Frau mit dem kümmer­lichen Blumenstrauß, die Kehrseite der arbeitenden Mütterseligkeit im Sozialismus.

Streiken war verboten. Der Frauentag war eine Feigenblatt­aktion

Der Frauentag war eine Feigenblatt­aktion wie so vieles, mit den Jahren auf putzige Rituale reduziert; das Prost auf die "werktätigen Frauen und Mütter" mit dem Chef war eines davon. Ein anderes waren die lächerlichen Anstecknadeln. In den frühen DDR-Jahren gab es eine kleine Stoffblüte, in den späteren hässliche Plasteblümchen. Dazu bekamen die Frauen in fast allen Institutionen, Betrieben und den LPGs ein kleines, dünn gewebtes Handtuch aus chinesischem Frottee in schreiend bunten Farben und (oder auch nur) ein Stück mäßig duftende Seife, schlimmstenfalls mit Kölnisch Wasser komplettiert. In den biederen Ehrenpräsenten für die emanzipierte DDR-Frau spiegelte sich das eigentliche, überkommene Frauenbild im Männerstaat. Man ertrug es, weil man viel Schlimmeres auch ertrug.

In einem Verlag für Kinder- und ­Jugendzeitungen sang bei der Feierstunde, während der die Köchinnen, Redakteurinnen und Buchhalterinnen Orden und ­Auszeichnungen der nicht so wichtigen ­Kategorien (heute würde man sagen: der systemnahen Art) bekamen, der Männerchor von nebenan. Dort befand sich das ­Innenministerium der DDR und die ­forschen Herren sangen den benachbarten Frauen zu Ehren kämpferische oder frivole Lieder wie "Am Himmel hängt ein Flatterhemd". Der diskriminierende Hintersinn der Texte wird ihnen so wenig aufgegangen sein wie das sinnentleerte Ritual der ­Frauen­ehrung überhaupt.

Eine feministische Bewegung hat es in der DDR nie gegeben

Eine feministische Bewegung hat es in der DDR nie gegeben, erst mit den Bürgerbewegungen der Endzeit vor dem Mauerfall begann sie sich zu entfalten. Einer der Gründe dafür war die Situation, dass sie alle in einem repressiven Staat lebten, die Männer wie die Frauen, und der war nur gemeinsam zu ertragen – und schließlich gemeinsam zu besiegen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser seltsame Tag in einigen Büros des deutschen Ostens immer noch gefeiert wird. Mit Blümchen, Eierlikör und leisen Seufzern, war ja doch nicht alles schlecht, ­damals bei uns in der Mutti-Republik. Die meisten ostdeutschen Frauen aber werden ihn kaum vermissen, eher schon die Selbstverständlichkeit, arbeiten zu gehen. Was aber wenig mit dem vergessenen Frauentag, dafür viel mit dem anderen Frauenbild zu tun hat, mit dem sie heute konfrontiert sind. Ein Frauenbild, das sich irgendwie aus vergangenen Jahrhunderten in die Jetzt-Zeit gerettet zu haben scheint.

Doch ein Tag der Frauenfreiheit war der 8. März in der DDR nie. Nie wären die Frauen dort auf die Idee gekommen, an diesem Tag auf die Straße zu gehen, um etwa für ihre schwere Arbeit den gleichen Lohn zu verlangen, den Männer bekamen. Oder gar zu streiken, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen recht hohen Preis verlangte, vorzugsweise von ihnen, den Frauen. Sie verlangten nicht einmal, den Alltag wenigstens so zu organisieren, dass er mit mindestens 45 Stunden Arbeit pro Woche Zeit ließ für sinnvolle Dinge, statt sie zu vergeuden für den Kampf um Sonntagsbraten, Kindersocken, frisches Gemüse, schlecht sitzende Kleider und all die Unbill, die der SED-Staat neben schlecht bezahlten Tätigkeiten vor allem den Frauen zumutete.

Der 8. März: eine alljährliche Besiegelung des Stillschweigens

Aus der Distanz erscheint dieser Tag wie die alljährliche Besiegelung des Stillschweigens. Man brauchte die Frauen für die sozialistische Wunderwirtschaft, die ohne sie noch schneller zusammengebrochen wäre. Gleichberechtigung? Ein immer wieder beschworener Wert, doch wie sah er aus? Ein Blick in heutige Rentenbilanzen enthüllt mehr als all die Ruhmesreden auf die DDR-Frau in entatmeter Funktionärssprache: Im Durchschnitt liegt das Rentenniveau ostdeutscher Frauen um vierzig Prozent niedriger als das der ostdeutschen Männer. Wie die Männer arbeiteten sie mindestens vierzig Jahre, Hunderttausende in drei Schichten, im Akkord, in giftigen Dämpfen oder – wie die Frauen der Wolfener Farbfilmproduktion – in völliger Dunkelheit. Sie rutschten auf den Knien über die Rüben- und Kartoffel­felder, und sie verdienten in aller Regel nur einen Bruchteil der Männerlöhne, was sich negativ auf ihre Renten ausgewirkt hat.

Die frühen Generationen versorgten und erzogen dazu noch drei Kinder, später waren es eher zwei, immer häufiger auch nur eines. Sie lebten in zu engen Wohnungen, hatten keinen Geschirrspüler, dem durchschnittlichen Haushalt fehlte es überhaupt an allen möglichen Hilfsmitteln, von den "Waren des täglichen ­Bedarfs" im Mangelland DDR ganz zu schweigen. Natürlich "half" der Mann zu Hause mit, aber die wenigen soziologischen Studien über die Verteilung der Alltagslasten zeigten immer ein Übergewicht zu Ungunsten der Frauen. Bis zu siebzig Prozent der Arbeiten im Haushalt erledigte die berufstätige Frau selbst. Öffentlich diskutiert wurde das selten, und einfach verbieten lassen sich traditionelle Rollenmuster bekanntlich nicht.

Fast alle Frauen waren berufstätig, doch nur wenige in hohen Funktionen

Auch darum haben es in der DDR nur wenige Frauen in hohe Funktionen geschafft. Aber das ist nur ein Grund. Denn Frauen konnten sich der Umarmung von Staat und SED mit Verweis auf ihre ­Familienpflichten auch leichter entziehen als Männer, die bei Verweigerung Gefahr liefen, ihre berufliche Karriere zu riskieren, wenn ihnen kein akzeptierter Grund einfiel. Nicht jeder hatte bekanntlich Freude an Kampfgruppenübungen und Parteiversammlungen, am Funktionärsgeschwätz und an Verstrickungen in Vereinbarungen des Unrechtsstaats. Der Rückzug ins Private, in die Familie, hat viele ostdeutsche Frauen unbeschädigter als die Männer in die neue Zeit entlassen.

Aber "Mutter ist Hauptberuf", diesen Satz des katholischen Familienministers Franz-Josef Wuermeling aus der frühen Bundesrepublik, der hier und da bis heute im deutschen Alltag durchscheint, den würde keine Ostfrau mehr akzeptieren. Die Gleichberechtigung als Klischee hat nicht verhindern können, dass sich ostdeutsche Frauen trotz Plasteblümchen am Frauentagsrevers der Freiheiten versicherten, die man ihnen eigentlich nur auf dem Papier zugestanden hat.

Immer noch sind sie fast alle berufstätig, und wenn nicht, bestehen sie darauf, eine Arbeit zu suchen. Die Arbeitsämter haben heute im Osten Deutschlands wenig Glück mit dem Trick, verheiratete Frauen einfach, weil vermeintlich versorgt, aus der Arbeitslosenstatistik herauszurechnen. Öko­nomische Unabhängigkeit ist ein hoher Wert geblieben, der alle Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte überstanden hat, ein Freiheitsgewinn, der so selbstverständlich geworden ist, dass darüber nicht mehr gestritten wird. So wie sich auch die Familie als staatsfernes Refugium erhalten hat, als Lebenssinn jenseits aller Ideologie. Die höheren Geburtenraten im Osten der Republik und das Verschwinden der Ehe als Ernährermodell für Frauen beweisen, dass sich Freiheiten, selbst wenn sie nur versprochen waren, auf eigene Art durchsetzen und dann unumkehrbar sind. Der spießige Frauentag und das nicht minder spießige Frauenbild der SED sind darum nur noch Erinnerung an eine inzwischen schon sehr ferne Zeit.

Der Text ist ein Nachdruck aus "Erinnerungsorte der DDR" (C.H. Beck).

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