Hannelore Hoger: Eine Liebeserklärung

Artikel teilen

Welche berühmte Schauspielerin erträgt es, sich ohne männliche Begleitung durch den obligatorisch paarweisen Prominentenauftrieb zu bewegen? Welche bringt es auf einem solchen Spektakel fertig, so attraktiv und doch so diskret zu sein, so in sich versunken, als wisse sie nicht oder sei es ihr gleichgültig, dass ­tausend verstohlene Blicke sie verfolgen?

Anzeige

Wäre sie eine Passantin gewesen, zufällig in diesen Trubel geschneit, es hätte nichts geändert an der rätselhaften Anziehungskraft dieser Frau, die so ganz mit sich im Einklang und so geistesabwesend zu sein schien. Aber das war unverkennbar Hannelore Hoger. Und sie ging nicht. Sie schritt. Nicht so, wie prominente Frauen auf roten Teppichen schreiten, so verkrampft entspannt. Sie bewegte sich absolut gelassen; schien tatsächlich auf den Geschmack konzentriert, wenn sie einen Schluck aus dem Weinglas nahm, das sie gleich darauf wieder gedankenverloren in der Hand drehte. Damit hielt sie, anscheinend ohne es zu ­bemerken, einen ganzen Saal, Männer wie Frauen, in Schach. Das ist es wohl, was sie zu einer der verehrtesten Schauspielerinnen Deutschlands macht.

Im Vorübergehen konnte man hören, wie Hannelore Hoger leise die Balladen der Jazzband mitsummte, die im Hintergrund musizierte. Sie liebe Musik jeder Art, hat sie in einem Porträt geantwortet, das der NDR vor einiger Zeit von ihr in Hamburg drehte. Fragen nach Lieblingsstücken wehrte sie höflich als zu banal ab, nannte dann aber doch das uralte spanische Volkslied ­„Cucurrucucu Paloma“. Das von hunderten deutscher und internationaler Schnulziers zu Tode geschluchzte Rührstück? Nein, die Version, von der Hannelore Hoger sprach, untermalt eine Szene in Almodóvars Film „Sprich mit ihr“. Damit findet das Lied zu jenem „Was werden die Steine jemals von Liebe wissen?“ der Ursprungsfassung zurück, die vom Sterben „an tödlicher Leidenschaft“ handelt.

Was ist das für eine Frauensperson, die als faszinierend Einsame ungerührt durch ein Fest streicht, und sich doch, aber das mit demselben distanzierten Blick und sachlichen Tonfall, zu einem Lied tödlicher Leidenschaft bekennt? „Ich nehm’ und mach los“, sagte sie auf die Frage nach ihrer Malerei, die sie betreibt, wenn sie nicht im Filmatelier oder auf der Bühne steht. (Von Freizeit zu schreiben verbietet Hannelore Hogers ernsthafte Ausstrahlung; eine wie sie pinselt nicht zum Zeitvertreib). Impulsives Malern also, das genaue Gegenteil von dem, was ihr Verhalten in der Öffentlichkeit sig­nalisiert, das sie als eine offene, aber dennoch durch und durch kontrollierte ­Persönlichkeit wahrnehmen lässt.

Oder erliegt man mit diesem Eindruck der Suggestion jener Rolle, mit der sie sich im Bewusstsein des deutschen Publikums unverrückbar verankert hat? Ist die Hoger für uns identisch geworden mit Bella Block, jener Kommissarin, der zwar keine Leidenschaft unbekannt zu sein scheint, die aber nie – oder allenfalls, wenn es um Gerechtigkeit und Humanität geht – die Beherrschung verliert?

„Das ganze Publikum hat geweint“, fügte die Schauspielerin erklärend an, als sie von „Cucurrucucu“ erzählte. Die Bemerkung weist unwillentlich zurück in die frühesten Anfänge der Schauspielerin, ins Hamburger Ohnsorg-Theater. Dort war ihr Vater Schauspieler und Inspizient, und dort trat Hannelore 1948, als Sechsjährige, zum ersten Mal auf.

Es gibt kaum eine strengere Schule für Darsteller als Volksbühnen. Jeder Satz muss sitzen, jede Pointe zünden, jeder nur denkbare Lacher und Schluchzer des Publikums muss vom Schauspieler herausgekitzelt werden. Zuschauer in Volkstheatern haben wenig Geduld und selten Verständnis für Vieldeutigkeit, Verunsicherung, Andeutung. Doch wer vor ihm besteht, hat seine schauspielerische Grundausstattung – und sein Rückgrat als Darsteller für immer.

Die Hoger spielte mit 14 ihre erste große Rolle bei Ohnsorg, und wusste mit 15 „endgültig“, dass sie nichts anderes als Schauspielerin werden wollte. Vielleicht liegt darin der Grund, dass der Kritiker Eckhard Franke ihr einmal in „Theater heute“, dem Katechismus der deutschen Bühnen, das sperrige Lob erteilte, sie sei „rigide selbstbewusst, wohl nur schwer zu haben fürs weniger Attraktive, was sie, die sich als Ensemblespielerin versteht, heftig bestreitet.“

Schwer zu haben fürs weniger Attraktive? Und was ist mit ihrer Lea in Egon Monks „Die Bertinis“, jenem Fernsehfünfteiler nach Ralph Giordanos autobiographischem Roman, der ihr 1988 im deutschen Fernsehen den Weg zu einem Millionenpublikum und damit indirekt auch zur Bella Block ebnete? Die Rolle der Jüdin, die während des „Dritten Reichs“ auf Gedeih und Verderb der Loyalität ihres „arischen“ Mannes ausgeliefert ist, ist eine klassische wichtige ­Nebenrolle – unentbehrlich, nur von besten Darstellern auszufüllen, aber nicht Zentrum. Hannelore Hoger aber – die sich den Part noch mit ihrer Tochter Nina teilte – spielte diese zwischen Stolz und Unterwürfigkeit schwankende Frau aus kleinen Verhältnissen als eine Art gefesselter Judith, die nie wissen konnte, ob der Vater ihrer Kinder über Nacht ihr Holofernes werden könnte. Nie verfiel sie in wohlfeiles Pathos, immer blieb sie dicht an Tonfall, Mimik und Gestik des Hamburger Kleinbürgermilieus – und erreichte mit dieser insistierenden Zurückhaltung, dass einem der Atem stockte und die ­Nebenrolle Mittelpunkt wurde.

Ist die Hoger also so etwas wie die „Urschauspielerin“ Inge Meysel, die mit ihrer Käthe Scholz in Strombergers „Die Unverbesserlichen“ der deutschen Durchschnittsbürgerin ein für immer gültiges Denkmal setzte? Ist ihre Lea Bertini eine auf Ohnsorg-Zeiten beruhende, brillante Analyse der „Frau von nebenan“? Nein, denn wie allen Figuren eignete auch ihrer Lea Bertini ein undurchdringlicher Rest Rätselhaftigkeit, schien im Verhalten dieser Person immer etwas unausgesprochen, ungelebt zu bleiben.

Was daran Schauspielkunst ist, erlernte Hannelore Hoger zehn Jahre nach ihrem Ohnsorg-Debüt an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Der Drang, nennen wir es ruhig Ehrgeiz, sich zu vervollkommnen, blieb auch nach der Ausbildung: Ab 1961 erfolgreich an den Theatern von Ulm, Bremen, Stuttgart, Köln, Berlin und vor allem Hamburg, nahm Hannelore Hoger dennoch mehrmals Unterricht beim legendären Lee Strasberg in New York.

Wieder so ein verwirrender Zug: die souveräne Verstandesspielerin, als Geschöpf des Strasbergschen „Method Acting“, das die bis zur Selbstaufgabe gehende Verschmelzung von Darsteller und Rolle lehrt. Undenkbar bei ihr, die immer beobachtend neben den Figuren zu stehen scheint, die sie darstellt.

Aber auch mit diesem Zweifel klebt man wohl zu sehr am Bild der absolut in sich ruhenden Bella Block. Denn nichts anderes als eine grandiose Strasberg-Leistung bot Hannelore Hoger in Edgar Reitz’ „Die zweite Heimat“, in selben Zeitraum gedreht wie die Bertinis. Als Elisabeth Cerphal, die enorm reiche und ebenso ­unnütze Erbin einer Münchner Verlags­dynastie, sitzt sie im Modellkostüm à la ­Jackie Kennedy oder Farah Diba mit kläglich verrutschtem Pill-Box-Hütchen und schlampig gespreizten Beinen auf dem Dielenboden einer Dachkammer ihrer Villa, stopft hemmungslos Pralinen in den grell geschminkten Mund und lamentiert über die Nutzlosigkeit ihres Daseins. Eine Mäzenin der Münchner Bohème und der Rebellen der 1968er Jahre, ein von Selbstmitleid triefendes Häufchen Elend – und, verglichen mit dem, was wir von Hannelore Hoger und ihren Rollen zu wissen glauben – ein Bravourstück absoluter Selbstverleugnung und perfekter Schauspielkunst.

Dass sie eine so phänomenal reale Cer­phal spielen konnte, eine, für die man als 68er nur Verachtung oder amüsiertes Mitleid haben durfte, verdankt Hannelore Hoger auch ihren eigenen Erfahrungen. 1968 stand sie für Alexander Kluge in „Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ vor der Kamera. Wer bei Kluge spielte, spielte gleichsam mit erhobenem Zeigefinger und mit Marx’ „Kapital“ im Hinterkopf; Brechts legendärer Verfremdungseffekt war reinstes Gefühlstheater gegen die trockene, aufklärungsbewusste Redeweise und spröde Körpersprache seiner Filme. Nur der 26-jährigen Hannelore Hoger gelang das Kunststück, Ideologie und Leben zu verbinden – sie hatte gelebt, was die Köpfe der 68er-Bewegung meist nur in Gedanken und aus Lehrbüchern kannten: „Meine Eltern wussten, was Arbeitslosigkeit ist“, sagt sie, und dass sie sich das Geld für ihr Studium selbst verdienen musste. Beim Springerverlag nahm sie nachts Zeitungen vom Band: „Das war so langweilig, dass ich geweint habe. Aber die Kantine war gut.“

Ihre Tochter, die sie mit zwanzig Jahren bekam, zog sie ohne Vater, gemeinsam mit den Eltern auf; mal in Ulm, mal in Hamburg. „Ich hatte hart zu kämpfen in meinem Leben.“ Was Wunder also, dass die Schauspielerin als Kluges Leni Peickert, Artistin und gebeutelte Reformzirkus-Direktorin, ihre Lehrsätze so menschlich vorträgt. Doch was ihr und dem Regisseur 1968 den Goldenen Löwen der Filmfestspiele Venedig eintrug, war mehr: Die Leni der Hoger, in ihren knapp sitzenden Zirkuskostümen wie einem Fellini-Film entsprungen, war von einer so fesselnden Erotik, dass sie auch in einem Stummfilm jedermann gebannt hätte. Eine Szene, die sie nackt in einer Badewanne zeigt, wurde als gewagter als die der Brigitte Bardot in Godards „Die Verachtung“ von 1963 gefeiert; kein zweifelhaftes Lob, denn es ging der Kritik hier wie da um die Verbindung von Eros und Intellekt.

So schmeichelhaft der Bardot-Vergleich vielleicht war, er traf jedoch nicht exakt, denn Hannelore Hoger strahlte Intelligenz statt Naivität aus, bot hintergründige Sinnlichkeit statt Schmollmund, Distanziertheit statt Mürrischsein. Sie verkörperte also das, was die Franzosen einst an ­Simone Signoret faszinierte. „Die Katze“ haben sie beide gespielt, die Signoret mit Jean Gabin, die Hoger mit Götz George. Dem deutschen Film ist mit Hoger ein „monstre sacré“ geschenkt worden. Doch außer Kluge wussten die Filmrebellen jener Ära – ausgenommen einige Jahre später Rainer Werner Fassbinder, dem aber die Hoger absagte – so wenig damit anzufangen wie „Opas Kino“ es gewusst hätte.

Umso mehr schätzten die älteren und jüngeren Feuerköpfe der Bühne die Schauspielerin: In Hamburg und Bochum schwur Augusto Fernandes auf sie, hatte sie 1974 Lorcas „Dona Rosita“ als glasstählerne, in Träume und moralische Schraubzwingen Verlorene spielen lassen, die 25 Jahre auf ihren Verlobten wartet. Und 1978 eine furiose, (erstaunlich junge), zwischen Katzbuckeln und Aufbegehren schwankende Magd La Poncia in „Bernarda Albas Haus“. Auch Wilfried Minks, Hans Lietzau und Kurt Hübner setzten auf Hannelore Hoger. Doch all das ist nichts gegen den Crashkurs, mit dem Peter Zadek, der damalige Berserker des deutschen Theaters, sie zur alles könnenden Schauspielerin formte: Unter seiner Regie war die Hoger eine atemberaubend ordinäre Rosa Fröhlich in Heinrich Manns „Professor Unrat“, irrlichterte als Isabella in Shakespeares „Maß für Maß“ und gab einen sarkastisch-gütigen Narren in Shakespeares „König Lear“. Formte Zadek sie? Nein, sie erkämpften gemeinsam Inszenierungen und Rollen, wie es heißt – und zerstritten sich.

Seit jener Zeit gilt Hannelore Hoger manchen Kollegen als schwierig. Wohl auch deshalb nannte Eberhard Franck sie eine „intelligente Diva“; eher aber dürfte „Ich bin, wie ich bin“, der Schlüsselsatz der Dona Rosita, auch der der Schauspielerin Hoger sein. Erst 2005 fanden Zadek und sie wieder zueinander. Das Ergebnis: Strindbergs „Totentanz“ am Wiener Burgtheater, wo Hannelore Hoger als Alice ihrem Gatten mit „teuflischem Genuss“ durch ätzenden Spott und gnadenlose Denunziation 25 Jahre Ehehölle heimzahlt. Selbst als verblühte Gattinfurie sprühte die Hoger in einigen Szenen vor Erotik.

Zu dieser Zeit aber schätzte längst ein Millionenpublikum Hannelore Hogers sinnliches, alle Altersklischees sprengendes Flair: Zwischen 1996 und 1997 agierte sie in der immens erfolgreichen Fernsehserie „Die Drei“ als Ladydetektivin Charlotte Burg, deren beide wesentlich jüngere Assistenten ihrer Chefin hörig sind, obwohl oder weil diese sie mit lakonisch süffisanten Bemerkungen auf Abstand hält. Das Trio jedoch war ein lediglich publikumswirksam vereinfachendes Nebenprodukt der Serie, mit der Hannelore Hoger bis heute die Republik bannt: 1994 sendete das ZDF die erste Folge von Bella Block. „Schon mein Alter war eine Sensation“, sagt Hannelore Hoger, damals 52 Jahre. In diesem Jahr ist sie 70 geworden – und als Bella Block überzeugender denn je.

Überflüssig zu sagen, mit welcher Wahrhaftigkeit die Block-Filme das beleuchten, was man gemeinhin menschliche Abgründe nennt, und wie vollkommen Hogers Kommissarin unserem Wunschbild von einer innerlich unabhängigen, lebenserfahrenen, mitfühlenden, so verletzlichen wie starken, immer bei sich bleibenden Frau entspricht. Das, was Devid Striesow als ihr Assistent Jan Martensen einmal von ihr sagt, ist wohl der Schlüssel sowohl zur Figur wie zur Faszination der Person: „Ihr Blick ist so innerlich und unbeugsam.“

„Es ist, was es ist, sagt die Liebe“. Mit diesen Zeilen aus dem berühmten Gedicht Erich Frieds sucht Bella Block einmal einen Selbstmörder vergeblich von seinem Vorhaben abzuhalten. Es ist eine dieser Szenen, in denen die gewohnte Contenance kurz zerbricht, Verwundbarkeit, Scheu, Sehnsucht, Trauer aufblitzen. Darin liegt das Geheimnis der Anziehungskraft, die nicht nur Bella Block, sondern auch der Schauspielerin Hannelore Hoger zu eigen ist.

Manchmal, wenn die Hoger wieder einmal so selbstversunken durch ihre Szenen wandert, denkt man an das vergleichbar abwesende Agieren der Marlene Dietrich, die mit der Lola, jener Vorstadtnymphe des „Blauen Engel“, in die Josef von Sternberg Heinrich Manns Rosa Fröhlich aus dem „Professor Unrat“ verwandelt hatte, ihre Weltkarriere startete. Die Dietrich hatte, wie sie in ihren Memoiren erzählt, Sternberg und das Berliner Theaterpublikum mit einer Masche fasziniert: Sie tat bei ihren Auftritten immer desinteressiert, so, als gehöre sie zu keiner Inszenierung und keiner Rolle. Umso wirkungsvoller konnte sie einen wichtigen Satz platzieren, eine winzige Geste bedeutsam werden lassen. Auch Hannelore Hoger bedient sich, wie schon als Zadeks Rosa Fröhlich, dieser Akzente, die durch eine gleichsam zerstreut ruhige Verfasstheit schießen. Aber sie sind bei ihr keine Masche, sondern grundlegender, fesselnder Bestandteil ihres Spiels.

Ohne diese traumwandlerische Sicherheit hätte Hannelore Hoger die endlosen Sequenzen jener Bella-Block-Folge, in der sie, stumm infolge eines Traumas, die ­Zuschauer mit Gestik und Mimik bannte, nicht bewältigt. 40 Jahre zuvor hat sie das schon einmal geschafft: Als Rosie in John Ardens „Leben und leben lassen“ spielte sie unter dem Nervenregisseur Peter Palitzsch nahezu wortlos. „Sie bringt es fertig, diese Stummheit nicht als Stumpfheit, sondern als elementare Sprach- und Ausdrucksarmut erscheinen zu lassen. Sie zeigt mit den geringsten äußeren Mitteln die Fühlsamkeit der scheinbar Fühllosen“, schrieb damals der Kritikerpapst Henning Rischbieter.

Für all diese Überlegungen hat Hannelore Hoger vermutlich nur ein Achselzucken übrig. „Ein Schauspieler sollte sowohl in- als auch extrovertiert sein“, sagt sie, und dass Darsteller „auch ein großes Schamgefühl“ haben. Damit erinnert sie an eine der ganz Großen des deutschen Theaters, an Tilla Durieux, der man seit ihrem Sensa­tionserfolg als Salomé 1906 auch immer wieder attestiert hat, sie sei eine „Verstandesschauspielerin“, hemmungslos und doch unfähig, sich preiszugeben, kalt noch in der höchsten Bühnenekstase. Erst, als die Durieux 1953 aus der Emigration zurückkehrte, feierten Kritik und Publikum sie einhellig als ergreifendes Doppelwesen aus Sein und Schein, glaubte man ihr, dass ­Reduktion nicht aus Kälte, sondern aus Wissen und leidvoller Erfahrung wächst.

Für Hannelore Hoger kam diese Anerkennung mit Bella Block. Und das, nachdem sie mit fast allen bedeutenden Theater- und Filmregisseuren gearbeitet und selbst mehrmals Regie geführt hatte, immer wieder in Neben- und Hauptrollen brillierte, Lesungen zu Erlebnissen gemacht hatte und Hörbücher zu Sternstunden. Noch immer wird unsereins erwartungsfroh, wenn eine neue Bella-Block-Folge oder in irgendeinem Dritten Programm die Wiederholung von „Die Katze“ angekündigt wird.

1978, mit 57 Jahren, erhielt Simone ­Signoret den César als beste Darstellerin in Moshé Mirahis Film „Madame Rosa“ (La vie devant soi), in dem sie, ohne Rücksicht auf ihre einst legendäre Schönheit, eine etwa zehn Jahre ältere ehemalige Prostituierte spielte. Shirley McLaine gewann 1989 mit 55 Jahren den Golden Globe und den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig für John Schlesingers „Madame Sousatzka“. Sie spielte eine – gleichfalls wesentlich ältere – eisern disziplinierte Klavierlehrerin, die sich nicht eingestehen kann, dass die Strenge gegenüber ihrem 16-jährigen Meisterschüler die Umkehr ihrer hoffnungslosen Liebe zu dem Jungen ist. Und mit 62 Jahren gewann Helen Mirren mit Stephen ­Frears „Die Queen“ u.a. einen Oscar. Nicht zuletzt dafür, dass ihre Elizabeth II. im Umgang mit den wechselnden Premierministern bei Bedarf durchaus dezent-souverän eine kühle Erotik einzusetzen wusste.

Für Hannelore Hoger, in Ausstrahlung, Können und untergründiger Sinnlichkeit diesen drei Schauspielerinnen ebenbürtig, hat sich bis zu ihrem 70. Geburtstag kein Regisseur gefunden, der ihr eine vergleichbare Rolle gegeben hätte. Aber es ist ja noch sehr lange nicht aller Tage Abend.

Was geht vor in dieser Frau? Selbst wenn man nicht gewusst hätte, dass da Hannelore Hoger allein durch das weite Foyer geht, hätte man sich das sofort gefragt. Denn wer traut sich, zumal als Frau, solo auf ein Fest wie das der Wiedereröffnung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt 2011? Welche berühmte Schauspielerin erträgt es, sich ohne männliche Begleitung durch den obligatorisch paarweisen Prominentenauftrieb zu bewegen? Welche bringt es auf einem solchen Spektakel fertig, so attraktiv und doch so diskret zu sein, so in sich versunken, als wisse sie nicht oder sei es ihr gleichgültig, dass ­tausend verstohlene Blicke sie verfolgen?

Wäre sie eine Passantin gewesen, zufällig in diesen Trubel geschneit, es hätte nichts geändert an der rätselhaften Anziehungskraft dieser Frau, die so ganz mit sich im Einklang und so geistesabwesend zu sein schien. Aber das war unverkennbar Hannelore Hoger. Und sie ging nicht. Sie schritt. Nicht so, wie prominente Frauen auf roten Teppichen schreiten, so verkrampft entspannt. Sie bewegte sich absolut gelassen; schien tatsächlich auf den Geschmack konzentriert, wenn sie einen Schluck aus dem Weinglas nahm, das sie gleich darauf wieder gedankenverloren in der Hand drehte. Damit hielt sie, anscheinend ohne es zu ­bemerken, einen ganzen Saal, Männer wie Frauen, in Schach. Das ist es wohl, was sie zu einer der verehrtesten Schauspielerinnen Deutschlands macht.

Dieter Bartetzko

Artikel teilen
 
Zur Startseite