Hass-Hetze gegen Alice Schwarzer

Alice Schwarzer diskutiert am Rande einer Kopftuch-Konferenz in Frankfurt mit einer Pro-Kopftuch-Demonstrantin. - Foto: Bettina Flitner
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Das Pamphlet erreichte uns am Freitag, den 17. Oktober, zugesandt via Twitter von Unbekannt. Über vier Seiten werden darin unhaltbare Unterstellungen verbreitet. Alice Schwarzer sei „rassistisch, islamophob, transphob, xenophob und hurenfeindlich“. Sie halte „an einem veralteten biologistischen und vereinfachten Verständnis von Geschlecht fest“; sei „eine Gegnerin der Rechte von Sexarbeitenden“ sowie für „die weitere Kriminalisierung von Sexarbeitenden“; und sie behaupte, „Feminismus sei ein weißes, europäisches oder säkulares Projekt“. Das ist schon starker Tobak.

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Einmal abgesehen davon, dass jede dieser Unterstellungen eine sehr dreiste und einfach widerlegbare Lüge ist, funktioniert es nach dem immergleichen Muster: Schwarzers Kritik an den Verhältnissen wird verfälscht in eine Kritik an den Opfern dieser Verhältnisse.

Konkret: Aus ihrer Kritik am politischen Islam, dessen Opfer vor allem Millionen aufgeklärter MuslimInnen in der ganzen Welt sind, wird „Islamfeindlichkeit“. Aus ihrer Kritik am System Prostitution wird „Hurenfeindlichkeit“. Aus ihrer Kritik an dem leichtfertigen Trend, jeden Rollenbruch (wie Mädchen, die Fußball spielen oder sich in Mädchen verlieben) gleich als Transsexualität zu diagnostizieren, wird „Transfeindlichkeit“.

Fakt ist das Gegenteil. Seit über 40 Jahren und bis heute tritt Alice Schwarzer offensiv ein: für eine aktive Solidarität mit den muslimischen Opfern der fundamentalistischen IslamistInnen (erstmals 1979); für das Recht transsexueller Menschen, die Geschlechtsidentität zu wechseln (erstmals 1984); für Menschenrechte, Schutz und Hilfe für Prostituierte (erstmals 1981). Ganz abgesehen davon, dass eine Feministin wie Alice Schwarzer Teil einer feministischen Strömung ist, für die der Internationalismus sowie der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus, Gewalt und Ausbeutung vom ersten Tag an eine Selbstverständlichkeit war und geblieben ist.

All das ist im zweiten Teil ihrer Autobiografie, dem „Lebenswerk“ nachzulesen, Wort für Wort. Und das nicht nur in ihren aus dem Heute erzählten Erinnerungen, sondern auch in ihren in dem Buch veröffentlichten Originaltexten (ab 1971) im Anhang, u.a. zu exakt diesen Themen.

Damit eins klar ist: Alice Schwarzer hat nicht die Absicht, sich von diesen verblendeten – und wie immer anonym agierenden! – IdeologInnen diffamieren und den Mund verbieten zu lassen! Und sie hofft, dass die Mehrheit aller freiheitlich denkenden Menschen in diesem Lande das genauso sehen. Alle, die nicht obskuren Ideologien verpflichtet sind, sondern dem Leben.

Nachfolgend der Original-Aufruf der „Sex Worker Action Group (SWAG)“:
 

KEINE BÜHNE FÜR TRANSPHOBIE, HURENFEINDLICHKEIT RASSISMUS UND XENOPHOBIE!

Betreff: Alice Schwarzer im Babylon Berlin am 06.11.2020 19:30pm

Am 6. November um 19:30 möchte Alice Schwarzer ihre Autobiografie über ihr „Lebenswerk“ im Babylon Berlin vorstellen.

Während Schwarzer in den 70ern im Kampf für Abtreibungsrechte Schlagzeilen machte, tut sie sich heute überwiegend durch rassistische, islamophobe, transphobe, xenophobe und hurenfeindliche Kommentare hervor. Sie arbeitet mit entsprechenden Gruppen wie Terre des Femmes oder Sisters zusammen, welche Schwarzer in ihrem Rassismus, Transphobie und der Stigmatisierung von Sexarbeitenden in Nichts nachstehen.

Alice Schwarzers Rassismus und Xenophobie

Alice Schwarzer nutzt immer wieder die sogenannte „Kopftuchdebatte“ als Aufhänger und Gesprächspunkt für rassistische Narrative und die Darstellung, Feminismus sei ein weißes, europäisches oder säkulares Projekt, welches Menschen, die diesem Narrativ nicht entsprechen und dennoch im Patriarchat leben, systematisch ausschließt. Sie betreibt aggressive Kampagnen für ein Verbot muslimischer Kopftücher und greift direkt Muslima an. Indem sie dies tut, werden muslimische Frauen* als eine Einheit verallgemeinert, stigmatisiert und zu Opfern erklärt, welche (auch gegen den eigenen Willen) durch „westliche Werte“ gerettet werden müssten. Dies ist eine zutiefst rassistische, koloniale und unvollständige Darstellung eines „Feminismus“, welcher nicht-weißen Frauen* das Selbstbestimmungsrecht vorenthält während dreist behauptet wird, diese zu unterstützen. Es entbehrt jeglicher Nuance und Menschlichkeit.

Nach den Ereignissen der Neujahrsnacht 2016 in Köln verortete Alice Schwarzer Frauenfeindlichkeit lediglich bei „fremden“ Männern und NICHT bei weißen, deutschen Männern, wofür sie Applaus aus der rechten Ecke erntete. Muslime/Muslima, BIPOC und Menschen mit Migrationshintergrund erfahren in Europa kontinuierlich Ablehnung und Gewalt und westliche NATO-Staaten führen Kriege im Nahen Osten und Nordafrika unter dem Vorwand „demokratische Werte“ durchzusetzen. Personen wie Alice Schwarzer lenken von diesen Jahrhunderte andauernden Aggressionen weißer Menschen und Gesellschaften ab und stellen Migrant*innen in Deutschland als Sündenbock und rassistische Karikatur dar. Damit bietet sie eine Grundlage für weiteren Rassismus und White Supremacy (die Ideologie der Überlegenheit und Vorherrschaft von Weißen).

In unserem Feminismus ist kein Platz für Rassismus und Xenophobie. Unser Feminismus ist auch für Muslima, BIPOC und migrantische Frauen*!

Alice Schwarzers Transphobie

Alice Schwarzer hält an einem veralteten, biologistischen und vereinfachtem Verständnis von Geschlecht fest. Medizinische Eingriffe wie Hormone oder geschlechtsangleichende Operationen sind in ihren Augen „Verstümmelungen“, welche für Betroffene keine Option sein sollen. Die Kämpfe von Trans*Menschen für grundlegende Rechte und ihre Anwesenheit in feministischen Frauen*räumen wertet sie als „Gefahr“ für (Cis-)Frauen. In ihren Augen ist ein intersektioneller, queerer Feminismus das Ende der Frauen*befreiung. Ihrer Ansicht nach gibt es nur zwei Geschlechter: Männer und Frauen – mit der Möglichkeit dass jemand dazwischen „in einem Identitätskonflikt gefangen“ sein könnte. Sie verweigert Trans*Menschen das Recht über den eigenen Körper entscheiden zu können und weigert sich darüber hinaus, die Existenz von Trans*Menschen als solche anzuerkennen. Hat Alice Schwarzer die Parolen der Bewegungen für Zugang zu Abtreibungen oder feministischer Autonomie wie bspw. „Mein Körper, meine Entscheidung.“ bereits vergessen? Oder grenzt sie gewollt Menschen aus, die nicht ihrer Anschauung passen, teils um einem transphoben Publikum zu gefallen, teils für den eigenen persönlichen Antrieb? Wie dem auch sei, Alice Schwarzer ist transphob und frauen*feindlich in ihren Aussagen. Sie befeuern die institutionelle und gesellschaftliche Ausgrenzung von und Gewalt gegen Trans*Menschen. Darüber hinaus ist ihr obsessives und vereinfachtes Verständnis von Frauen* als lediglich durch die Biologie bestimmt zutiefst frauenfeindlich. Wie kann jemand, die Frauen* als Summe ihrer Körperteile betrachtet, vorgeben Feministin zu sein?

Alice Schwarzers Hurenfeindlichkeit

Alice Schwarzer war schon immer eine Gegnerin der Rechte von Sexarbeitenden und sie bleibt es noch heute. Erst Ende September 2020 hielt sie eine Rede bei der SWERF/TERF-Konferenz „Bündnis Nordisches Modell“ in Bonn (SWERF / TERF = Sex Worker / Trans auschließender radikaler Feminismus, wobei nichts radikal oder feministisch an dieser Ideologie ist). Dabei bewarb sie die weitere Kriminalisierung von Sexarbeit. Durch repressive, gefährliche Mittel wie Verbote und Polizeigewalt möchte sie „eine Welt ohne Prostitution“ herbeiführen. Wieder einmal verweigert sie sich die Selbstbestimmung von Sexarbeitenden über den eigenen Körper sowie den Überlebenskampf im Kapitalismus anzuerkennen. Alle Sexarbeit ist in ihren Augen Ausbeutung und dennoch verunglimpft sie die Organisationen von Sexarbeitenden, in welchen diese sich für bessere Bedingungen und eigene Rechte einsetzen, als „Zuhälterlobby“. Die Beschreibung der Veranstaltung im Babylon huldigt ihr „Engagement gegen Pornografie und Prostitution“, doch was genau ist so engagiert daran die weitere Kriminalisierung und Ausgrenzung von Sexarbeitenden zu fordern und sich zu weigern, diesen zuzuhören und Unterstützung anzubieten? Die Polizei zu bekräftigen Sexarbeitende festzunehmen, einzusperren, mit Bußgeldern zu überziehen, abzuschieben oder lebensnotwendiges Einkommen zu entreißen? Schwarzers Sorgen drehen sich nicht um das Wohlergehen von Sexarbeitenden oder deren Bedürfnisse, sie sind ausschließlich moralistisch und motiviert von einem Hass für Sexarbeitende und einer tiefen Loyalität gegenüber einem „Feminismus“ welcher nur für weiße Cis-Frauen der Mittel- und Oberschicht existiert.

Wir sagen: Sexarbeit ist Arbeit und nur Rechte werden die Fehler beheben!

Gute Frauen vs. Schlechte Frauen?

Durch Angriffe auf marginalisierte Menschen, die Reproduktion von Stigma und Gewalt, die Forderung dass der Staat Ungerechtigkeiten mittels Verbote und Repression beseitigt und dies alles „Feminismus“ zu nennen, halten Menschen wie Alice Schwarzer rechten Autoritären die Tür offen und machen es möglich, Moralpanik und Unterdrückung als „Emanzipation“ zu verkleiden. Der Staat und die Polizei sind keine Instrumente der Befreiung, sie sind ihr Gegner. Sie berufen sich auf eine Logik des „teile und herrsche“, eine Logik die Alice Schwarzer zutiefst verinnerlicht hat, imaginiert sie doch den Gegensatz „gute Frau“ (überwiegend weiß, westlich, mittelständig, moralisch überlegen) und „schlechte Frau“ (für gewöhnlich alle Frauen* die als „anders“ dargestellt werden, welche rassifiziert und sexualisiert werden oder welche als degeneriert und moralisch korrupt dargestellt werden.

Wir stehen gemeinsam ein für einen intersektionellen, inklusiven Feminismus. In unserem Feminismus haben wir reichlich Platz für Sexarbeitende, Trans*Menschen, Migrant*innen, Muslima/Muslime und BIPOC Frauen*. Wir sind angewidert und müde, dass wir immer wieder mit ansehen müssen wie Menschen wie Alice Schwarzer eine Plattform geboten wird, wie sie Gewalt gegen Minderheiten zu Profit machen, während sie an autoritären Tendenzen in unserer Gesellschaft aktiv teilhaben – alles im Namen eines falschen „Feminismus“.

Deshalb würden wir gerne einen Protest oder eine Aktion gegen die Veranstaltung von Alice Schwarzer im Babylon Berlin am 6.11. gegen 19 Uhr organisieren. Nimmt mit uns Kontakt auf und lasst uns gemeinsam zeigen, dass es gegen dieses Event Opposition und Widerstand gibt!

Sex Worker Action Group (SWAG), swactionweek@protonmail.com

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