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Wollen keinen Mann in Kita!

Einer der vielen männlichen Lesepaten (aber nicht der Vorleser, um den es hier geht). - Foto: Ralph Bodemer/Funke Foto Services/IMAGO
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Zweimal im Monat liest Martin Wagner Kindern in einer Kölner Kita etwas vor. Die Kita liegt im Stadtteil Chorweiler, einem sozialen Brennpunkt. Es sind meist Bilderbücher mit kurzen Texten, für die etwas älteren Kinder auch schon mal längere Geschichten.

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„Den Kindern hat das Spaß gemacht und mir auch“, sagt Martin Wagner, „ich fand es gerade wichtig, in einer Kita vorzulesen, in der viele Kinder nicht Deutsch als Muttersprache haben“. Martin Wagner hat früher als Journalist und Regisseur im Fernseh- und Event-Bereich gearbeitet, er selbst hat eine erwachsene Tochter. Anfang des Jahres hat der 67-Jährige mit dem Vorlesen angefangen und wurde einer von 160 ehrenamtlichen VorleserInnen der Kölner Initiative „Lesewelten“. Ähnliche Vorlese-Initiativen gibt es in ganz Deutschland. Sie wollen die deutsche Sprache fördern und die Generationen zusammenbringen.

Alle VorleserInnen nehmen an literaturpädagogischen Schulungen teil und legen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vor. Meist sind es ältere Frauen und manchmal eben auch Männer, die im Ruhestand sind und eine sinnvolle Beschäftigung darin sehen, Kindern in Kitas, Grundschulen, Flüchtlingsunterkünften, Museen oder Bibliotheken etwas vorzulesen.

"Ich verstehe die Bedenken nicht. Es geht ausschließlich darum, dass ich ein Mann bin."

Für Martin Wagner ist das nun vorbei. Warum? „Die Kita hat mir mitgeteilt, dass drei muslimische Familien nicht möchten, dass ich dort weiter vorlese, weil ich ein Mann bin“, erklärt er. Bei den Vorlese-Stunden muss immer eine Kita-Kraft anwesend sein. „Ich war keine einzige Minute mit den Kindern allein und verstehe die Bedenken nicht“, sagt Martin Wagner, „in dem Fall geht es ausschließlich darum, dass ich ein Mann bin.“ Auch über männliche Praktikanten haben sich die muslimischen Familien nach Auskunft der Kita in der Vergangenheit schon beschwert.

Wagner fühlt sich diskriminiert. „Ich finde es nicht richtig, dass man einzelnen Eltern so schnell nachgibt“, sagt er.

Anfangs stellte sich die Kita-Leitung hinter Wagner, genau wie die Initiative „Lesewelten“. Doch dann kam als städtischer Träger der Kita die Stadt Köln ins Spiel. Die legte der Kita-Leitung tatsächlich nahe, die Zusammenarbeit mit Wagner zu beenden. Und nicht nur das. Nach Rücksprache mit der Stadt Köln beschloss die Kita-Leitung zudem, dass auch in Zukunft kein Mann mehr in der Kita in Chorweiler vorlesen soll. Die Sachgebietsleiterin für Jugendförderung im Jugendamt der Stadt Köln, Jessica Mörtl, schrieb an Wagner: „Ich kann nachvollziehen, dass Sie verärgert sind (…) und womöglich Ihr Geschlecht zu diesem Konflikt geführt hat. Allerdings bitte ich um Verständnis, dass sich die dortigen Mitarbeitenden täglich in diesem Spannungsfeld bewegen und daher einen Umgang mit dieser Situation finden müssen.“ Im Klartext: Wir haben keine Lust auf Ärger mit migrantischen Familien, gehen Sie mal lieber nach Hause.

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Die Initiative „Lesewelten“ sieht das anders und steht nach wie vor zu ihrem Vorleser. „Das passt nicht zu unseren Werten. Wir stehen für Diversität. Wir kommen auch nicht dem von der Kita-Leitung geäußerten Wunsch nach, nach einer Frau als Vorleserin zu suchen. Wir legen die Kooperation mit dieser Kita nun auf Eis, gehen aber noch einmal in klärende Gespräche mit allen Beteiligten“, sagt dazu Simone Krost, Bereichsleiterin bei „Lesewelten“.

Vor einigen Wochen wollte sich ein muslimischer Vater unangekündigt in Wagners Vorlesestunde begeben. „Ich fand das übergriffig. Es war eine seltsame Stimmung. Eltern setzen sich auch nicht einfach so in eine Schulstunde. Was wäre passiert, wenn er mir danach unterstellt hätte, ich hätte seine Tochter komisch angeschaut?“, empört sich Wagner.

Dass er sich die ungewöhnliche Inspektion verbat, finden im Nachgang sowohl die MitarbeiterInnen der Kita als auch das Team der „Lesewelten“ richtig. Eltern könnten sehr wohl bei ihm zuschauen, sagt Wagner, aber dann sollten sie das aus „ehrlichem Interesse tun, und nicht, um zu kontrollieren“. Der Vater sei schon mit der Auswahl des Buches nicht einverstanden gewesen: „Das ist ab vier, aber hier sind auch Kinder ab drei!“, hat er gesagt. Das besagte Buch heißt „Wie Henri Henriette fand“ und handelt von zwei Hühnern auf einem Bauernhof.

Die Stadt Köln nennt Wagners Reaktion beim „Kontrollbesuch“ des Vaters nun auch als Grund für seinen Platzverweis. Er habe damit andere Eltern irritiert und die Vertrauensbasis zerstört.

„Das stimmt nicht“, sagt Martin Wagner, „Es handelt sich nach wie vor nur um die drei muslimischen Familien, denen ich von vornerein ein Dorn im Auge war, nur, weil ich ein Mann bin. Ich finde, Toleranz und Weltoffenheit darf nicht nur in eine Richtung gehen. Und dafür sollte eine Stadt wie Köln sich auch trauen, einzustehen.“

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