Wie gestrig ist der Feminismus?

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Ich hatte gehofft, auch die blödesten Klischees würden sich irgendwann aufbrauchen. Nach 30 Jahren doch allemal?! Dann habe ich meine kleine Umfrage gestartet, angefangen bei meinem Friseur: "Sag mal, was stellst du dir unter einer Feministin vor?" Die Antwort kam ohne Zögern: "Das sind halt so hässliche und frustrierte Kampflesben, die gegen Männer wettern, gleichzeitig so aussehen wollen wie Männer und vor denen man sich in Acht nehmen muss." Pause. Ob er denn schon mal "von so einer" attackiert worden wäre oder ähnliches? "Nee, die halten mich meistens für 'ne Schwuchtel und deshalb lassen sie mich in Ruhe."

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Und nun, liebe Leserin, erwarten Sie bitte nicht, dass ich mich von meinem Friseur trenne. Erstens habe ich von Akademikern und Akademikerinnen (!) aus den unterschiedlichsten Branchen gleich lautende Antworten bekommen. Zweitens ist der Mann eigentlich schwer in Ordnung. Wir haben schon stundenlang über prominente Sugar Daddies, freiwillige Sexobjekte und Eva Herman gelästert. Und nebenbei - sorry - schneidet er verdammt gut.

Außerdem ging das Gespräch noch weiter, denn irgendwann musste ich mich ja als Feministin outen: "Ach Mensch, jetzt sag doch nicht so was! Das kann ich gar nicht glauben!" Als hätte ich verkündet, dass bei mir eine todbringende Krankheit diagnostiziert wurde. "Komm, so schlimm kann das bei dir doch gar nicht sein. Du siehst gut aus, du hast Familie!" An der Stelle hatte ich, noch mal sorry, einen Lachkrampf.

Anderes Beispiel mit größerer Stichprobe: Ein vollbesetzter Kinosaal mit 630 Plätzen; gezeigt wird Borat', ein halbdokumentarischer Road Movie, in dem ein vorgeblicher Reporter aus Kasachstan die politisch korrekte Seite Amerikas von innen aushöhlt. "Krank und unwiderstehlich", jubelt einhellig das Feuilleton. Einer der größten Lacherfolge des Abends ist Borats Treffen mit einer Gruppe von Feministinnen, bei dem der Reporter erläutert, warum man in Kasachstan der Meinung ist, das Gehirn einer Frau sei nicht größer als das eines Eichhörnchens. Und während die Damen ihn geduldig aufklären, heißt es aus dem Off: "Ich konnte mich nur schwer auf das konzentrieren, was diese alten Männer mir erzählten".

Darauf kriegen 630 KinobesucherInnen sich gar nicht wieder ein, darunter die Moderatorin eines Frauenmagazins. Sorry! Natürlich hätte ich lieber auf Seiten der Frauen gelacht, aber dazu hätte eine der Ladies dieses absurde Gespräch unterbrechen müssen, um dem verkleideten Affen eine Banane anzubieten und ihn feixend in seine behaarte Backe zu kneifen. Statt nach weiteren Superflach-Sprüchen empört aufzuspringen.

Soll heißen: Das Image des Feminismus ist ziemlich abschreckend. Vielleicht könnte es ganz hilfreich sein, die Sache mal aus der Marketing-Perspektive zu betrachten. Denn so wie es im Moment läuft, müssen Frauen immer gegen unsichtbare Feindbilder anreden, bevor es um die Sache gehen kann - was enorm viel Energie und Zeit kostet. Das versuchen die meisten zu umgehen, indem sie ihre Argumente einbetten in den Satz: "Ich bin keine Feministin, aber..." Schade und Scheiße!

Hat doch der Feminismus alles zu bieten, was andere Marken sich erst hart erarbeiten oder teuer erkaufen müssen: Weltweite Bekanntheit, charismatische Köpfe, beispiellose Erfolge in der Umwälzung der Lebenswelten ganzer Nationen bzw. Hunderttausende tatsächlicher und Milliarden potenzieller AnhängerInnen. Was ihm fehlt, sorry, ist Humor und Sexappeal.

Warum nur fürchten so viele Kolleginnen, die Nachrichtensendungen und Politmagazine präsentieren oder Redakteurinnen in leitender Funktion nichts so sehr wie "in der Frauenecke" zu landen? Wo doch Themen wie die Rollen- und Familiendebatte oder Islamismus schon lange aus der Ecke raus sind? Wieso hat jede junge Autorin - selbst solche, die zum Umfeld der EMMA gehören - das Bedürfnis, sich zunächst mal vom "Feminismus der Siebziger" oder "Achtziger" Jahre zu distanzieren? Mit Begründungen wie: Der hat "einen noch schlechteren Ruf als die deutsche Bundesbahn" oder war "kulturell-ästhetisch zum Weglaufen". Geistern denn bei denen dieselben Bilder durch den Kopf wie bei meinem furchtsamen Friseur?

Ich selbst war ja zu jung, aber ich weiß von Augenzeuginnen: Ja, es gab damals tatsächlich Frauenläden, die am Eingang die Windeln der mitgebrachten Säuglinge nach einem Pimmel durchsuchten, um dann allen Knabenmüttern den Zutritt zu verwehren. Kann man über solche bühnenreifen Auswüchse vielleicht auch mal ein paar Lachtränen vergießen? Joschka Fischer hat schließlich auch mal als Steineschmeißer angefangen. Und das ist rückblickend noch viel weniger witzig!

Die militanten Frauenbuchläden und -Cafés existieren längst nicht mehr. Was haben die Pimmelfahnderinnen von damals mit den Erfolgen der Feministinnen von heute zu tun? Wenn man bedenkt, dass es in den letzten Jahrzehnten keine andere politische Bewegung gab, die so viele gesellschaftliche Umwälzungen initiiert hat und inzwischen die Leitlinien nationaler und europäischer Politik prägt, ist es doch absurd, dass die Mehrzahl der Frauen das Label "Feministin" scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Warum müssen Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen oder Schauspielerinnen erst von der Zeit überredet werden, öffentlich einen neuen Feminismus zu fordern, statt selber "hier" zu schreien? Wieso kommt kaum eine Frau zwischen 20 und 40 auf die Idee, sich einfach in der würdigen Nachfolge einer stolzen Tradition zu sehen? (Ja, das Wort lautet Tradition!) Und wenn ich aus meinem bescheidenen Erfahrungsschatz schöpfen darf: Auch mit den sprichwörtlichen Haaren auf den Zähnen kann man Menschen für sich einnehmen. Man muss dabei nur breit grinsen und selbst mit dem Finger drauf zeigen. So wie die Gangster Rapper auf ihre Goldkronen.

Im Gegensatz zu der Gestrigkeit, die dem Feminismus zugeschrieben wird, scheint er auf dem Höhepunkt seiner Machtfülle zu sein: Er ist verantwortlich für Bevölkerungsschwund, am Zerfall der Gesellschaft, an weiblichen Depressionen, an männlichen Schul- und Bettversagern, an Amokläufern, verwahrlosten Kindern oder radikalen Islamisten. Wow! Noch was? Wie wäre es mit der Klimakatastrophe?

Doch wie passt das zu der ebenso beliebten Behauptung: Der Feminismus ist tot, gescheitert, hat ausgedient. Dann muss es wohl sein Geist sein, der folgende Ängste provoziert: Der Feminismus schaffe eine "alles durchdringende Kultur des Misstrauens", die das "Verhältnis zwischen Männern und Frauen nachhaltig vergiftet" und eine "emotionale Verwüstung im Privat- und Intimleben" erzeuge. So der Soziologe Rainer Paris. Die Lösung des Problems sieht Paris natürlich in der Rückkehr zu tradierten "asymmetrischen" Beziehungsmustern ... Um nur einen zu nennen.

Eines muss man diesen Profiheulsusen lassen: Sie riskieren eine ganz schön dicke Lippe, gern auch bei Themen, die nicht mal zu ihrem Fachgebiet gehören. Und damit füllen sie ganze Säle und landen auffallend oft in der Presse oder in Talkshows. Aber wo ist das Gegengewicht aus Forscherinnen, die ja qua Fachgebiet aus dem Vollen schöpfen könnten? Diese Feministinnen, die sich nicht hinter irgendwelchen Lehrstühlen verstecken und nur exklusiv in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichen? Oder solche, die den Mut haben, vor eine Kamera zu treten, auch auf die Gefahr hin, auf einen 30-Sekunden-O-Ton runtergekürzt zu werden? Irgendeine, die zur Frauen- und Kinderdebatte etwas Überzeugendes zu sagen hätte? In Schweden zum Beispiel sind die Argumente der feministischen Sozialwissenschaft so populär, dass sogar der Ministerpräsident mit Worten wie "Geschlechter-Machtordnung" jongliert - ohne jede Ironie. Was eigentlich hindert etablierte und öffentlich geförderte oder verbeamtete deutsche Wissenschaftlerinnen, ihren Hintern mal hochzuheben und rauszuhängen?

Halten Sie mich für ignorant, aber ich habe erst bei der Recherche zu diesem Text erfahren, dass Differenzialfeministinnen den Radikalfeministinnen vorwerfen, sich an männlichen Idealen zu orientieren. Dass Vertreterinnen des kybernetischen Feminismus die Aufhebung der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern fordern. Oder dass der gynozentrische Feminismus genau diese Unterschiede verteidigt und feiert. To cut it short: Es gibt vier Haupt- und elf Unterströmungen des Feminismus, die sich in ihren Theorien teilweise gegenseitig aufheben. Darunter auch der freudomarxistische, anarchistische oder marxistische Feminismus. Auf die Gefahr hin, dass jetzt einige von euch ihr Abo kündigen: Bin ich die einzige, die in dieser Aufzählung eine gewisse Komik entdeckt?

Auch würde ich gern wissen, warum keine der Expertinnen all dieser Fachrichtungen sich bemüßigt fühlt, einem Schirrmacher und seinem "Frauen-retten-unsere-Art"-Plädoyer entgegen zu treten. Den müssten die doch mit drei Sätzen vom Tisch fegen können?

Wenn sich nicht mal die Fachfrauen nach vorne wagen, dann muss man die Männer wohl erst gar nicht fragen, oder? Aber wir können ja mal rum spinnen: Stellen Sie sich vor, dieses Land hätte einen Minister für Gleichstellung, der alle Abgeordneten inklusive Kabinett in eine Gender-Schulung steckt. Und einen prominenten Anwalt, der gleichzeitig als Ombudsmann für Chancengleichheit amtiert und jeden Betrieb vor Gericht zerrt, der keinen Frauenförderplan vorweisen kann. Es gäbe Väter, die ihren Job kündigen, weil die Chefin sie zur Wochenendarbeit zwingen will. Und all diese Männer sind stolz darauf, sagen zu können: "Ich bin Feminist!"

Weil Gleichstellung für sie eine Frage der "Menschenrechte, der Demokratie und einer kollektiven Verantwortung ist". Na? Wonach klingt das? Nach einem Konzept für eine neue Comedy-Soap bei den Privaten? Überraschung! Was in Deutschland allenfalls als belächelte Utopie durchgehen würde, ist in Schweden Realität! (Das Land, von dem wir bekanntlich unser neues Elterngeld-Modell übernommen haben.) Es gibt diese Männer, und ihre Ämter. Sie sind aus Fleisch und Blut und sie bezeichnen sich tatsächlich als "Feministen".

Hierzulande haben wir dafür Harald Schmidt. O-Ton: "Ich gebe offen zu: Ich bin Feminist. Oder wie nennt man das, wenn man im falschen Körper steckt?" Dass Harald Schmidt ein sexistischer Misanthrop ist, heißt keineswegs, dass er nicht auch mal einen guten Witz landet. Und - sorry! - dieser Spruch ist witzig. Egal, wie er ihn gemeint hat und auch wenn die Fallhöhe gleich Null ist (weil Satire = Realität). In Deutschland gilt ein Feminist nämlich als Widerspruch in sich selbst. Einer, der irgendwie die geschlechtliche Orientierung verloren hat. Es gibt Sexualforscher, die behaupten, ein profeministischer Mann sei das Resultat einer "Mutter, die ihren Sohn als phallische Erweiterung ihrer selbst benutzt". Oder einer Mutter, die das "ödipale Begehren ihres Sohnes" zunächst entfacht, dann aber abweist, um sich dem Vater zuzuwenden. Die Zurückweisung mündet dann in eine "Dämonisierung des Väterlichen", also des Männlichen an sich ... blablablubb. Holla, die Waldfee! Da muss wirklich jedes Klischee herhalten, das die Freudsche Forschung zu bieten hat.

Mal abgesehen davon, dass solche Deformationen bei einzelnen zur Initialzündung für eine steile Entertainerkarriere werden können: Welcher Mann geht bei so einer Diagnose nicht auf Abstand? Und was soll das uns Frauen nutzen, wenn einer gesteht: "Ja, ich bin Feminist, aber nur, weil ich eigentlich mit meiner Mutter schlafen wollte." Ne Jungs, da hört der Spaß wirklich auf!

PS: Es gibt sie doch! Pardon! Ich habe einen sehr interessanten Leserbrief bekommen von einem überzeugten Feministen aus Bremen. Da war der Text leider schon fertig. Also, lieber York, in diesem Fall müssen Sie sich auf keinen Fall angesprochen fühlen und - Danke!

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