Lisa Ortgies: Die Übersexuelle

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Lisa Ortgies kann es nicht lassen: Diesmal schreibt sie sogar über den eigenen Mann (Foto). Und über die Frau, die die tollen Typen erfindet.

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Woran liegt es nur, dass wir Frauen uns so gar nicht weiter entwickeln, während die Männer ständig ganz erstaunliche Metamorphosen durchmachen? Vom Softie der 70er zurück zum Macho der 90er über den Metrosexuellen des neues Jahrtausends. Und nun wurde vor kurzem auch noch der Übersexuelle ausgerufen.

Während wir Frauen nicht mal eine müde Schlagzeile hergeben.
Dass für uns keine neuen weiblichen Mythen geschaffen werden, kann man schade finden, muss man aber wohl akzeptieren. Aber warum hatte ich nicht wenigstens das Glück mit einem dieser jeweils topaktuellen Männer an meiner Seite angeben zu können? Beim Softie war ich noch zu klein. Als dann Anfang der 80er der Macho Renaissance hatte, war ich – als hinterherhinkendes Landei – noch mit den verbleibenden Softies beschäftigt. Und der „Metrosexuelle“ ist an mir vorbeigegangen, weil ich keine Stringtangas trage, die er sich hätte ausleihen können, und auch keine sündhaft teuren Cremetöpfchen, in denen diese Spezies gern rumzupanschen pflegte.
Bei der Gesichtspflege habe ich längst nachgerüstet, aber nun ist der „Metrosexuelle“ laut Presseecho schon wieder tot, platt gemacht vom unmanikürten „Übersexuellen“.
Seine Schöpferin ist die erfolgreichste Vertreterin einer neuen, bisher unbekannten Forschungsrichtung, der „kommerziellen Anthropologie“, die in einem immer schnelleren Wechselspiel männliche Leitbilder propagiert. Jede neue Spezies wird zuerst in den Hochhausfluchten der Metropolen entdeckt und dann von Marian Salzman, amerikanische Trendforscherin und im Vorstand einer internationalen Werbeagentur, stolz vor die Scheinwerfer der Weltpresse gezerrt. Zufällig arbeiten die „Wissenschaftler“ dieser neuen Disziplin allesamt in den Vorständen großer Werbeagenturen und zufällig sind die Ikonen der jeweiligen Gattung sowieso schon prominent und werden auch nicht gefragt, ob sie Leitbilder sein wollen.
Salzman hat ihre „Studien“ in einem pop-soziologischen Bestseller verpackt mit keinem geringeren Titel als: ‚The future of men‘. Mit so einer PR-Aktion schafft die jeweilige Agentur auch Projektionsfläche für Frauen-Sehnsüchte. Denn laut Salzman „sind Übersexuelle in höchstem Maße selbstsicher, maskulin, stylisch und wollen kompromisslos Qualität in allen Lebensbereichen“. Welche moderne, untersexte Frau möchte nicht so ein Prachtexemplar an ihrer Seite?
Nun war meine Hoffnung, dass mein Mann vielleicht zufällig ins neue Leitbild passt. Aber weder kann er die Schultern eines Arnold Schwarzenegger vorweisen, noch trägt er Bundfalte, Toupet und ein fettes Portemonnaie wie Donald Trump. Er hat auch noch nie von einer Praktikantin einen Blow Job verlangt wie Bill Clinton. Die drei Herren gehören nämlich zu den Top 5 der international bedeutendsten Übersexuellen. Und mit Nr.1, George Clooney, kann er auch nicht mithalten (obwohl er wirklich hübsch ist!), allein schon weil er eine Kleinfamilie an den Hacken hat und nicht unter Bindungsphobie leidet.
Andererseits gibt es auf diesem Planeten sowieso keinen anderen Mann, der Clooney das Wasser reicht, denn im Gegensatz zu den ersten drei Herren ist er ja gleichzeitig reich, politisch engagiert, intelligent, begehrt und attraktiv. Was nur zum Teil auf unseren ehemaligen Außenminister zutrifft, der trotz Plauze und Knautschgesicht auf der nationalen ÜS-Liste ganz oben rangiert, weil er beim Essen und bei seinen Outfits „höchsten Wert auf Qualität legt“! Das einzige, was er sonst noch mit Clooney gemein hat, ist der Hang zu serieller Monogamie. Wobei sich Clooney immerhin an Gleichaltrige hält.
Wie Sie, liebe Leserin, bis zu diesem Punkt sicherlich schon bemerkt haben: Bei den Kriterien für den übersexuellen Mann geht es ein wenig drunter und drüber. Wie man am Vergleich Clooney und Fischer feststellen kann, ist körperliche Attraktivität kein Muss, eigene Kinder und eine feste Partnerin auch nicht. Gleichwohl soll der Übersexuelle einer sein, „der viel Zeit mit seinen Kindern verbringen möchte“. Aber nicht, weil er sich dem Druck des Feminismus beugt“, sondern „weil es ihm Spaß macht“. Was – genau betrachtet – nichts anderes heißt als: auch nur „wenn es ihm Spaß macht“. Und mit der Tatsache übereinstimmt, dass es nach wie vor bei einer wohlwollenden Absichtserklärung bleibt, sonst müsste die Geburtenrate ja dank der Übersexuellen steigen und die Zahl der allein erziehenden Mütter sinken. Beziehen wir uns also auf die zweite Silbe des Begriffs: Wie stehts’mit dem Sex? Jedenfalls ist der Übersexuelle, im Gegensatz zum Metrosexuellen, eindeutig in seiner geschlechtlichen Orientierung: Er kann zwar ein Muschelrisotto zaubern, ist aber trotzdem „very hetero“ beziehungsweise „schamlos männlich“. Marketingguru Marian Salzman, bringt es wie immer auf den Punkt: „Er holt sich, was er will, wann immer er es will!“ Nur: leider holt er sich das vor allem im Internet. Das ist eine traurige Erkenntnis des Kölner Rheingold-Instituts, beschrieben in dem desillusionierenden Buch von Stephan Grünewald „Deutschland auf der Couch“: Erotikprogramme und simulierter Sex sind fester Bestandteil der Alltagskultur. Die Pornopartnerin im Netz kann nach Alter, Haarfarbe, Oberweite und in verschiedenen Stellungen „gecastet“ werden. Der Preis dieser Verfügbarkeit ist eine „autistische Verwahrlosung“ der Liebeskunst. In den Interviews beschwerten sich viele Frauen darüber, dass ihre Partner sich hauptsächlich virtuell befriedigten. Dafür bleibt er ihr im platonischen Sinn treu. Immerhin!
Trotz der ernüchternden Ergebnisse der seriösen Forschung propagiert Trendforscherin Salzman die Rückkehr des Alphatiers, diesmal allerdings mit Manieren! Fußball gucken und mit den (ebenfalls gepflegten und gebildeten) Kumpels abhängen ist erlaubt, Sack kratzen und Rülpsen bitte nicht.
Der US-Satiriker Rush Limbaugh (Moderator bei der diesjährigen Oscar-Verleihung) bringt es für seine Geschlechtsgenossen auf den Punkt: „Die Männer sind jetzt wieder so, wie sie waren, bevor der Feminismus sie kastriert hat.“ Wäre da nicht die Tatsache, dass die Rolle rückwärts offensichtlich an den Männern selbst scheitert. Das Alphatier ist bereits in die Enge getrieben und beißt um sich: Angefangen bei nachlassender Spermienqualität bis hin zum Lamento des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, der den Männern in seinem neuesten Untergangsszenario ‚Minimum‘ prophezeit, dass sie dank des Geburtenrückgangs bald „keine Chance haben, eine Partnerin zu finden“ und deshalb noch anfälliger werden für Depressionen, Vergewaltigungen, Mord, Drogen und politischen Extremismus.
Der Geschlechterforscher Gerhardt Amendt gibt direkt dem „Verdammungsfeminismus“ die Schuld daran, dass moderne Männer erfolglos nach einer neuen Identität suchen. Eine „diffuse Feindseligkeit“ gegen Männer hätte sich breit gemacht, an der auch die Medien schuld sind, weil sie „schon kleine Jungen als Monster vorstellen“.
Angesichts all dieser massiven Vorwürfe fragt frau sich, wer sich hier eigentlich feindselig benimmt. Aber da wir ja nach Meinung der Forscher sowieso überlegen sind (sich diese Erkenntnis nur noch nicht bis in die Führungsebenen in Wirtschaft und Politik herumgesprochen hat) können wir Verdammungsfeministinnen zur Abwechslung ja auch mal Großmut zeigen und dem Beispiel der Managementberaterin Gertrud Höhler folgen: „Männer sind auf Verständnis noch mehr angewiesen als Frauen, weil sie eine viel stärkere Versagensangst auf ihren Lebensweg mitnehmen.“
Wir wollen uns nicht rausreden. Bestimmt sind wir auch an dieser Entwicklung schuld. Schließlich sind in den Kreativwerkstätten der Werbung vor allem Frauen am Werk. Die Medien hätten sich „in den vergangenen Jahren oft über Männer lustig gemacht, das haben die jetzt satt!“, sagt Salzman. Dass sich ihr Übersexueller trotz ihres Engagements nicht so recht durchsetzen will und eigentlich schon fast wieder aus den Gazetten verschwindet, mag auch an der Tatsache liegen, dass der Begriff trotz allem von einer XX-Chromosomen-Trägerin in die Welt gesetzt wurde. Männer mögen desorientiert oder verzweifelt sein, aber sich ausgerechnet von einer Frau helfen zu lassen, das wäre wohl zuviel der Demütigung.
Wo die Frauen ohnedies auch schon Spaceshuttles steuern, Medizin-Nobelpreise einsacken oder Kanzlerin werden. Folgerichtig hat Salzman in ihrer Studie zum Konsumprofil des Mannes herausgefunden, dass 61 Prozent der befragten Männer glauben, ihr Status gegenüber Frauen habe sich „verschlechtert“.
Salzman hat es sicherlich nur gut gemeint, als sie den Betroffenen eine neue Rolle anbot, die sie zumindest aus dem mentalen Elend befreit, wenn schon die Realität gegen sie spricht. Nun muss man wissen, dass die Werbefrau auch schon für den Metrosexuellen verantwortlich zeichnet, der den Männern Kosmetikprodukte und High-Tech-Küchen schmackhaft machen sollte. Der internationale Medienhype rund um den Metrosexuellen katapultierte sie in den Vorstand eines Konkurrenten (Werbeagentur JWT). Zeitgleich mit der Lancierung des Metrosexuellen landete sie einen Bestseller: ‚Buzz. Harness the Power of Influence and Create Demand‘, der genau beschreibt, wie man die „Presse weltweit dazu bringt, über ein Thema zu schreiben, ohne dass man Geld für Werbung ausgeben muss“, wie sie der New York Times erklärte. Und ihre neue Marketingfibel ‚The future of men‘ erreicht dieselben Auflagen.
Hut ab! Der Erfolg sei ihr gegönnt. Und der Ruhm auch: Hiermit verkünde ich einen neuen Trend: Die Übersexuelle! Sie beruft sich auf das typisch weibliche Helfersyndrom, um auf Kosten der Männer die eigene Karriere voran zu treiben. Nicht weil sie sich dem Druck des Feminismus beugt, sondern weil es ihr Spaß macht!
Lisa Ortgies, EMMA Mai/Juni 2006

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