Münster: Wie konnte das passieren?
Adrian V., der IT-Fachmann, der Männer in die Gartenlaube seiner Mutter einlud, um dort mit ihnen seinen zehnjährigen Stiefsohn und weitere Jungen zu missbrauchen, sitzt in Haft. Die Polizei war ihm auf die Spur gekommen, weil die Experten ein Netzwerk durchsucht hatten, auf dem der 27-jährige Adrian V. mit anderen Pädosexuellen kinderpornografisches Material getauscht hatte.
Sie stießen dabei auf eine IP-Adresse, die zu dem landwirtschaftlichen Betrieb führte, in dem Adrian V. Biogasanlagen steuerte. Die Ermittlungen waren extrem aufwändig, es dauerte Monate, die hochprofessionell verschlüsselten Daten zu entschlüsseln.
Das alles war möglich, weil NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach dem Skandal von Lügde den Kampf gegen Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt und die Ressourcen der Polizei massiv aufgestockt hatte. Gerade forderte der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig, dass „die 15 anderen Innenminister jetzt dringend nachziehen müssen“. Die Polizei brauche „mehr Personal und muss mit modernster Technik ausgestattet werden“. Das ist richtig und lange überfällig.
Die Daten des Netzwerkes
waren professionell verschlüsselt
Aber der Fahndungserfolg der Polizei, der – wieder einmal – ein ganzes Netzwerk von Tätern aufdeckte, sollte nicht verhindern, die folgende Frage zu stellen: Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Adrian V. war schon 2016 und 2017 in zwei Verfahren wegen Besitz und Verbreitung von kinderpornografischem Material verurteilt worden. Zu Bewährungsstrafen. Das ist das erste Problem. Auch der Missbrauchsbeauftragte kritisierte scharf, dass der Besitz von Kinderpornografie „oft nur am unteren Rand der Kriminalität eingestuft“ werde. Rörig forderte, endlich „den Strafrahmen voll auszuschöpfen“. Der liegt bei bis zu fünf Jahren.
Problem Nummer zwei: Trotz der Verurteilungen von Adrian V. sah das Familiengericht keinen Anlass, den zehnjährigen Stiefsohn seinem Einfluss zu entziehen. Im Gegenteil: Im Jahr 2017 wies das Gericht das Jugendamt an, sich aus der Familie zurückzuziehen. Wie kann das sein?
Der Fall erinnert beklemmend an den Fall Staufen. Auch hier entschied das Amtsgericht Freiburg, dass der Sohn von Berrin T., die mit dem verurteilten Kindesmissbraucher Christian L. zusammenlebt, in der Familie bleiben soll. Auflage: Die Mutter soll ihren Sohn von Christian L. „fernhalten“. Die Folgen sind bekannt: Christian L. vergeht sich an dem Jungen, gemeinsam „verkauft“ das Paar das Kind an andere Männer. Auch das Jugendamt schreitet nicht ein, als der misshandelte Junge sich einem Mitschüler anvertraut, weil es den Hinweis für zu „vage“ hält. Erst nach jahrelangem Martyrium des Kindes werden Mutter und Stiefvater verhaftet.
Mütter, die wissentlich mit Pädokriminellen zusammenleben, schützen die Kinder nicht
Wann begreifen RichterInnen und Jugendämter endlich, dass der Besitz von Kinderpornografie kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine schwere Straftat, weil diese Bilder reale und schwere sexuelle Gewalt an Kindern zeigen? Aus Worten werden bekanntlich Taten, aus Bildern auch. Und: Wann verstehen sie endlich, dass Mütter, die wissentlich mit pädokriminellen Tätern zusammenleben, ihre Kinder nicht schützen (können)? Diese Frauen, oft selbst Missbrauchsopfer, sind in psychischen Abhängigkeitsverhältnissen verstrickt, die sie wegschauen oder, wie im Fall Staufen, schlimmstenfalls mitmachen lassen.
Eine gute Ausstattung der Polizei mit Personal, Ausrüstung und Befugnissen ist extrem wichtig. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass die zuständigen Behörden Opferschutz endlich vor Täterschutz stellen. Und dass sie begreifen, dass und warum Mütter zu Mittäterinnen werden. Dann könnten viele Taten von vornherein verhindert werden. Auch der Missbrauch in Münster.