Gisela Achenbach

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Eine grauhaarige Kollegin schleppt einen undefinierbaren rosa-braunen Klumpen durchs Büro. "Guck ma, Gisela, hier hat uns einer Fleisch gespendet!" Zur Zeit branden stündlich Lebensmittel im Containergebäude des Nokia-Betriebsrats an. Der Materialraum, in dessen Regalen sonst Kopierpapier und Kugelschreiber lagern, quillt über von Kaffeepaketen, Brühwürstchendosen und Brätchentüten. Viele geben etwas: die Supermarktkette genauso wie der Bäckermeister. Manche bringen selbstgebackenen Kuchen ins "Solidaritätszelt", das vor dem Nokia-Hauptgebäude in Bochum-Riemke steht.
"Das baut einen unheimlich auf", sagt Gisela Achenbach und schließt die Tür zum Lebensmittellager wieder. Und als sie am 21. Januar alle zur Großdemo nach Bochum kamen, die Opel-Kollegen aus Rüsselsheim genauso wie die Studenten von der Uni, da war die Betriebsratsvorsitzende "überwältigt".

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Sowas gibt es im normalerweise rebellionsresistenten Deutschland, weil alle, die jetzt ihr Nokia-Handy wegschmeißen, wissen: Es geht um 2.300 Arbeitsplätze plus 1.000 ZeitarbeiterInnen plus Zulieferer - aber es geht auch ums Prinzip. Ein Global Player, der zudem noch 41 Millionen Euro Subventionen eingestrichen hat, schließt ein lukratives Werk und verlagert die Arbeitsplätze in ein Billiglohnland. Dabei liegen die Lohnkosten schon in Bochum nur bei fünf Prozent.

Gisela Achenbach hat es als erste erfahren. Am 15. Januar um 9 Uhr 15. Eine Viertelstunde vor der Sitzung des Aufsichtsrats in Düsseldorf, dem die Betriebsratsvorsitzende qua Amt angehört. Sie hatte "ein komisches Gefühl, so einen Druck auf der Brust". Ein Journalist hatte sie am Vortag vertraulich angerufen und gefragt, ob was dran sei an dem Gerücht, dass Nokia den Laden in Bochum dichtmachen wolle. Achenbach vergewisserte sich noch einmal mit einem Blick in die Tagesordnung, in der etwas von Investitionen stand, und verneinte: "Da wüssten wir wat von!"

Sie wussten nichts. Achenbach stürmte nach der Verkündung, die "gerade mal drei Minuten gedauert hat", geschockt aus dem Raum, und als sie wieder auf dem Bochumer Werksgelände eintraf, sah sie dort schon die aus Finnland eingeflogenen Bodyguards, die die Geschäftsführung vor der aufgebrachten Belegschaft schützen sollten.

Gisela Achenbach hat am 1. April 1969, das Datum weiß sie wie aus der Pistole geschossen, auf dem selben Firmengelände in Riemke angefangen. Damals hieß die Firma noch Graetz und baute Lampen, Radios und schließlich Fernsehgeräte. Der 19-Jährigen, die bei Coop Industriekauffrau gelernt hat, bleibt das Fließband erspart. Gisela kann, obwohl schwanger und frisch verheiratet, als Qualitätsprüferin einsteigen. Der Chef ist ein Patriarch alter Schule, der noch mit strengem Blick und Zigarre seine Hallen inspiziert.

Vor dem 15. Januar hätte die 58-Jährige noch gesagt, dass es mit der Übernahme von Nokia im Jahr 1989 besser wurde. Die Finnen machten einen auf Familie und flache Hierarchien, förderten Frauen und verkündeten eine Unternehmensphilosophie nach "ethischen Maßstäben". Am makabersten tönt für Achenbach der Schlussatz im "Nokia-Verhaltenskodex": "In unserem Handeln manifestiert sich unsere Ehrlichkeit." Denn: "Die haben eiskalt gelogen".

Das Werk im rumänischen Jucu diene nur der Kapazitätserweiterung hieß es auf Anfrage immer wieder. Achenbach freute sich sogar für die rumänischen KollegInnen. Bei einem Besuch am neuen Standort hatte sie elfköpfige Familien kennen gelernt, die aus Platzmangel in Schichten schlafen mussten. "Es ist doch richtig, dass da Arbeit hinkommt", sagt sie.

Ein Zugeständnis nach dem anderen hat sie ihrer Belegschaft abgerungen, bis das Bochumer Werk das flexibelste aller elf Nokia-Werke weltweit geworden war. Schichtwechsel im Zwei-Tages-Rhythmus; mit einem Tag Vorlauf einsetzbar sein; Freitag erfahren, ob man Sonntag antreten muss. 2007 sollte sogar am Heiligabend und Silvester durchgearbeitet werden - da hat die vernünftige Betriebsrätin Nein gesagt. Und jetzt das.

Gisela Achenbach wäre am 1. März 2009 in Altersteilzeit gegangen. Aber ihr 40-jähriger Sohn, Vorarbeiter bei Nokia, wird - wenn die Belegschaft den Kampf verliert - arbeitslos sein. Ihre 83-jährige Mutter, die vor 40 Jahren schon das Kind genommen hat, damit ihre Tochter arbeiten konnte, kommt jetzt Kochen und Staubwischen und gehört zu denjenigen, die Kuchen für das Solidaritätszelt backen. Ihr Mann, der vor seiner Rente Betriebsrat bei Opel war und "das da alles selbst mitgemacht hat", organisiert den Rest. Seine Frau muss schließlich in die Talkshows. Und ihr elfjähriger Enkel hat für den Ernstfall bereits angekündigt, sein Spielzeug zu verkaufen, damit wieder Geld im Haus ist.

Die Tränen kommen Gisela Achenbach aber erst, wenn sie von ihrer maßlosen Enttäuschung über die spricht, die sich bisher auch für ihre Familie ausgeben hatten. Die Eiseskälte hinter den warmen Worten über Ethik und Verantwortung macht sie fertig. Und sie steht in einem makabren Widerspruch zu der betont antihierarchischen Selbstdarstellung der Nokia-Chefs, die sich mit ihren Angestellten und ArbeiterInnen duzen. Gisela Achenbach ist so richtig enttäuscht und plant jetzt eine Lichterkette um das Werk, und eine "Nokia Night of Chance" mit "unserm Herbert" (Grönemeyer).

Das Telefon auf Gisela Achenbachs Schreibtisch klingelt. Ein Wiener Unternehmer fragt unverbindlich nach, ob das Werk zu kaufen sei. Die Betriebsratsvorsitzende ist irritiert. "Wir sind ja noch am Kämpfen", fertigt sie den Anrufer ab. "Wir haben ja noch Hoffnung, woll?"

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