Sibeth Ndiaye: Sie kann es!

Foto: Julien Mattia.
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Sibeth Ndiaye fällt auf. Einerseits wegen ihrer Outfits, aber mehr noch wegen ihres Mundwerks. Ndiaye ist „cash“, wie sie das selbst nennt: ehrlich, unverblümt und manchmal eben auch etwas brutal. Das ist ein Charakterzug, der sie unter normalen Umständen nicht dazu prädestiniert, Regierungssprecherin zu werden. Aber da Emmanuel Macron grundsätzlich alles anders macht, hat er nun seine Medienberaterin zur Ministerin und zum Sprachrohr der französischen Regierung gemacht.

Jahrelang hat sich Ndiaye nur im Hintergrund bewegt – bis zu jenem Tag im Mai 2017, als sie gemeinsam mit sieben jungen Männern über den roten Teppich in den Elysée-Palast marschierte. Die Truppe wirkte unbesiegbar, ausgelassen, alle lächelten triumphierend. Ihnen war schließlich gelungen, woran keiner geglaubt hatte: den chancenlosen Kandidaten Emmanuel Macron zum Präsidenten zu machen. Das Foto von jenem Tag sagt viel. Die einzige Frau darauf: Sibeth Ndiaye. Die einzige auch mit dunkler Hautfarbe.

Ndiaye ist im Senegal als jüngste von vier Schwestern geboren, in einem mehr als guten Haus. Es gab Bedienstete, einen Chauffeur und gute Schulen. Ihr Vater, ein bekannter Politiker und Moslem, pflegte den Töchtern zu sagen: „Eure Erziehung ist euer Erbe.“ Und auch das prägte er den Töchtern ein: „Macht euch nie von einem Mann abhängig!“

Doch mehr noch als der Vater war die Mutter prägend: Tochter eines deutsch-­togolesischen Paares, Katholikin und erste Prä­si­dentin des senegalesischen Verfassungsgerichts. Die Mädchen hatten die Pflicht, den Armen und Leprakranken Essen zu bringen. Das hat Sibeths Bewusstsein für Ungerechtigkeit geschärft.

Mit 17 wurde sie nach Paris geschickt und blieb. Als Studentin engagierte sie sich in einer linken Gewerkschaft. An dem Tag, als sie mehr als 80 neue Mitglieder für Macrons Bewegung warb, gewann sie eine Wette und bekam ein Zungenpiercing. Sie trägt es stolz bis heute.

In dieser Zeit lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen: Patrick Roques, er managt sozialen Wohnungsbau. Der Vater kümmert sich mehr als die Mutter um die drei kleinen Kinder. „Die finden sich karamellfarben“, lacht sie, mit einer „Schokolade“-Mutter und einem „Vanille“-Vater.

Auf den ersten Blick wirkte Ndiaye, 39, wie der Typ zum Pferdestehlen. Aber sie ist ihren drei Kindern eine „außerordentlich autoritäre Mutter“, wie sie selbst zugibt. Als Medienberaterin haben die Journalisten sie schnell fürchten, wenn nicht hassen gelernt: Sie galt als der Zerberus des Präsidenten. Ihre neue Jobbeschreibung klingt so: „Groß­zügigkeit zeigen und Nähe verkörpern“.

Das ist ein kurioser Rollenwechsel für den „Dobermann und die Anstandsdame des Präsidenten“, als die sie die Schriftstellerin Gaël Tchakaloff charakterisiert hat. Tatsächlich war Ndiaye während des Wahlkampfes Macrons Vertraute und sein Gendarm. Sie legte ihm die Hemden raus und schminkte ihm die Augenränder weg. Die innige Verbindung geht zurück auf die Zeit, als Macron noch Wirtschaftsminister war. Bei einem Besuch der Flugschau in Le Bourget versperrten die Sicherheitsleute der einzigen Frau im Pressekorps den Weg. Es war nicht das erste Mal, dass man die Schwarze für die Putzfrau hielt. Aber das einzige Mal, dass Sibeth Ndiaye weinend zusammenbrach. Es war die eine Demütigung zu viel. „Eine schwarze Frau zu sein, verfolgt dich ein Leben lang“, sagte sie ihrem Chef. Der ergriff daraufhin ihre Hand, blickte ihr lange tief in die Augen. „Damit hat er mein Herz erobert“, sagt Ndiaye heute.

Als der Präsident seine Beraterin zur Regierungssprecherin ernannte, hagelte es in den sozialen Medien Hassbotschaften. Die konservative Ex-Ministerin und Europaabgeordnete Nadine Morano bezeichnete Ndiaye, die erst vor drei Jahren französische Staatsbürgerin geworden ist, als „unwürdig“ für dieses Amt. Sie verkünde „große Dummheiten verkleidet in Zirkuskostüme“, eine Anspielung auf Ndiayes Vorliebe für bunte Kleider. Die konterte, solche Attacken würden sie schon lange nicht mehr verletzen. Allerdings müsse sie an all diejenigen denken, die nicht Ministerin sind und sich schlechter gegen den alltäglichen Rassismus zur Wehr setzen könnten.

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