Lorena Bobbitt: Sie hat es getan!

Fotos: 2018 Amacon.com Inc. (li); Danny Moloshok/Invision/AP (re)
Artikel teilen

Der Talkshow-Moderator Steve Harvey, ein bekannter Komiker, findet das alles wahnsinnig witzig. „Also, dann haben Sie das Ding aus dem Autofenster geworfen und alle mussten suchen!“ Hahaha. „Warum haben Sie ihn denn eigentlich mitgenommen? Stellen Sie sich vor, Ihr Mann wäre aufgewacht und hätte das Ding auf dem Kopfkissen neben sich entdeckt!“ Hohoho. Lorena Gallo lacht kurz mit. Dann ist Schluss mit lustig. „Es freut mich, dass Sie darüber lachen können. Aber jetzt erzähle ich Ihnen mal, wie sich das anfühlt, wenn eine Frau misshandelt wird.“ Das Publikum jubelt. Zehn Minuten später wird es Lorena Gallo mit Standing Ovations aus dem Studio verabschieden.

Lorena Gallo hieß früher einmal Lorena Bobbitt. In der Nacht des 24. Juni 1993 schnitt sie ihrem Mann John Wayne Bobbitt, der sie jahrelang beschimpft, geschlagen und vergewaltigt hatte, mit einem Küchenmesser den Penis ab. Doch die Zeiten, in denen sich (fast) jeder Comedian der Nation über die „rachsüchtige Irre“ lustig machte, sind endgültig vorbei. Jetzt redet Lorena. Sie redet über eine „schreckliche Epidemie“: die Gewalt gegen Frauen.

Lorena Gallo trägt in der Sendung ein rotes Kleid und das ist kein Zufall. „Lorenas Red Wagon“ heißt die Organisation, die die heute 49-Jährige 2007 gegründet hat. Mit den Spenden, die sie sammelt, unterstützt das einstige Gewaltopfer die Frauenhäuser ihrer Region. Sie finanziert Therapeutinnen und Weihnachtspakete, die sie gemeinsam mit ihrer 13-jährigen Tochter Olivia persönlich vorbeibringt. Und sie ermutigt die Frauen, denen sie dort begegnet: „Sie können der Gewalt entkommen und sich ihr Leben zurückerobern – wie ich.“

Lorena Gallo weiß, wie schwer es ist, der Hölle aus Demütigung und Gewalt zu entfliehen. Mit 15 kam sie aus Ecuador nach Manassas, Virginia, um den „American Dream“ zu leben. Der erwies sich bald als Alptraum. Der gutaussehende Ex-Marine John Bobbitt entpuppte sich nach der Hochzeit als brutaler Schläger und Vergewaltiger.

In der vierstündigen Dokumentation „Lorena“ (neu auf Amazon Prime) sehen wir, wie eine zitternde, weinende Frau im Gerichtssaal aussagt: Wie ihr 1,96 Meter großer Mann sich in jener Nacht auf sie warf, seine Brust auf ihrem Gesicht, sie keine Luft bekam, es sich anfühlte, „als ob er mir die Vagina rausreißt“. Wie er sie vorher unzählige Male vergewaltigt hatte, „am liebsten anal“, wie er sie als dick und hässlich beschimpfte, als „Hispana, die ihn nicht verdient hat“. Wie er drohte, ihr die Papiere wegzunehmen, damit sie abgeschoben wird, wie er sie zu einer Abtreibung zwang und „Witze darüber machte, wie groß die Nadel sein würde“.

John Bobbitt wurde freigesprochen. Denn in dem Prozess gegen ihn durfte nur die Tatnacht beleuchtet werden, nicht Lorenas Leidensgeschichte. Und da er leugnete, wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Später werden ihn zwei weitere Frauen anzeigen, Bobbitt muss 60 Tage ins Gefängnis.

Es folgte der Prozess gegen Lorena Bobbitt. Er wurde zum Tribunal gegen die „Domestic Violence“: „Lorena Bobbitts Reaktion darauf, ständig geschlagen und vergewaltigt zu werden, mag einzigartig und bizarr sein. Aber was ihr passiert ist, passiert so oder so ähnlich Millionen Frauen in den USA“, schrieb die New York Times. Ein Jahr nach dem Prozess wird in den USA der „Violence Against Women Act“ verabschiedet, der 46 Millionen Dollar für Frauenhäuser freigibt. Lorena Bobbitt wird zur Hassfigur vieler Männer – und zur Heldin vieler Frauen. „Arschlöcher im ganzen Land geraten in Panik“, spottet Whoopi Goldberg. „Sie hätte ihm auch die Eier abschneiden sollen“, zitieren die Daily News eine alte Dame aus Brooklyn.

Lorena Bobbitt wird freigesprochen. Doch anders als der Sadist John Bobbitt, muss sie für 45 Tage zur psychiatrischen Begutachtung ins Central State Hospital. Nach ihrer Entlassung geht sie aufs College, wird zuerst Friseurin und dann Immobilienmaklerin. Sie lernt ihren heutigen Mann David kennen, ihren „besten Freund“. Doch der „Wendepunkt in meinem Leben: Ich ging in Frauenhäuser und begann, über meine Erfahrung als Opfer häuslicher Gewalt zu sprechen. Ich habe verstanden, dass ich nicht allein war. Und so habe ich es geschafft.“

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
Alice Schwarzer schreibt

Die verzweifelte Rächerin

Artikel teilen

Täglich werden Frauen geschlagen, vergewaltigt, ermordet - von Männern. Und niemand schert sich darum. Aber wenn eine Frau einem Mann mit einem 25 Zentimeter langen Fleischmesser zu Leibe rückt, und dann noch an seiner empfindlichsten Stelle, rauscht es im Blätterwald. Lorena Bobbitt hatte nach einer Vergewaltigung durch den eigenen Ehemann für seine Entwaffnung gesorgt. Seitdem heißt die Amerikanerin weltweit: „Die Frau, die ihrem Mann den Penis abschnitt.“

Anzeige

Mit dem Pimmel in der Hand verließ die zierliche Kosmetikerin (24) am 23. Juni gegen vier Uhr morgens das gemeinsame Appartement in der Kleinstadt Manassas. Sie stieg in ihr Auto, fuhr los und warf das „abgehackte Anhängsel“ unterwegs aus dem Fenster. Die Polizei fand es später in der Nähe eines Kindergartens.

John Wayne Bobbitt (26), der 1,96 Meter große Ex-Soldat der Elite-Einheit „Marines“, betrat gegen fünf Uhr die Ambulanz eines Krankenhauses: mit blutbedeckten Händen, die er gegen seine Leisten preßte. Der Arzt wollte zunächst sein Handgelenk behandeln. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der „Alptraum eines jeden Mannes“ (Vanity Fair) wahr geworden war.

Bis nach Europa drang die Kunde von der Kastration. „Feministinnen rühmen es als Befreiungshieb“, witzelt die Bunte, und die amerikanische Presse höhnt über den „Triumph der Schwanzabschneiderinnen“. Aber nicht nur Emanzen jubelten über den gelungenen Racheakt. Das ganze weibliche Amerika ist begeistert. Die Frauenzeitschrift Vanity Fair ergriff offen Partei für Lorena. Die Völkerkundlerin Helen Fisher wunderte sich öffentlich, „dass es nicht öfter passiert“. Und eine alte Dame aus Brooklyn wetterte in der Daily News: „Sie hätte die Eier gleich mitabschneiden sollen.“

James Sehn, der Urologe, der das „Corpus Delicti“ wieder anoperiert hat, berichtet: „Wenn ich die Geschichte erzähle, fühlen sich Männer entmannt, und Frauen fühlen sich machtvoll.“ So tief ist die Sympathie der Frauen für Lorena, so groß die Rage gegen den Vergewaltiger John, dass die Frau des erfolgreichen Operateurs in ihrem Schönheitssalon beschimpft wurde. Auch auf Kaffeekränzchen und nach der Kirche wird sie immer wieder gefragt, warum ihr Mann „das Ding“ wieder angenäht hat. Mrs. Sehn entnervt: „Die Frauen sagen, Lorena hätte das Teil in einen Müllschlucker werfen sollen.“

Und die Rächerin selbst? Für sie ist es keine Heldinnentat, für sie war es nur verspätete Notwehr. Mit 15 ist die gebürtige Venezuelanerin in die USA ausgewandert. Ihr Traum: ein netter Mann, nette Kinder und ein nettes Häuschen. Geld und Liebe dazu. Und dann traf sie den Marine John Wayne Bobbitt.

Eine Woche vor der Hochzeit schlief Lorena das erste Mal mit ihm: „Ich habe immer Filme gesehen und dachte, Sex, das sind Berührungen, Küsse, Zärtlichkeit, aber er war nicht zärtlich. Es ging immer nur rein, raus, rein, raus.“ John Wayne hatte kein Geld, er ließ sich von Lorena aushalten. Und er dankte es ihr mit Schlägen: „Dabei benutzte er Kampftechniken, die er bei den Marines gelernt hatte.“ In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni liegt Lorena im Bett und schläft. Zwischen drei und halb vier wird sie wach, John kommt von einer seiner Sauftouren nach Hause. Sie schläft wieder ein. Als sie das nächste Mal erwacht, liegt er auf ihr: „Ich war für ihn nur ein Stück Fleisch. Er riß meine Beine auseinander, rammte seinen Penis in mich hinein. Er schob seine Zunge in meinen Mund. Sehr, sehr tief. Ich dachte, ich werde stranguliert.“

Als er von ihr herunterrollt und zu schnarchen beginnt, holt sie das Messer aus der Küche; sie schlägt die Bettdecke zurück und schneidet das Ding ab, die Waffe des Vergewaltigers. Zwei Stunden später stellt sich Lorena freiwillig der Polizei, sie sagt den Beamten, wo sie den Penis hingeworfen hat. Zehn Stunden war John Wayne Bobbitt schwanzlos, nach neuneinhalb Stunden auf dem Operationstisch war der Penis wieder dran. Noch ist es nicht sicher, ob der Vergewaltiger impotent bleibt. Aber, freut sich News Week: „Immerhin kann er wieder urinieren.“

John Wayne Bobbitt wurde wegen „sexueller Nötigung“ angeklagt. Wie in Deutschland gibt es in Virginia den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe nicht. Dem Mann könne die Gewalttat nicht nachgewiesen werden, meinten die Geschworenen. Sie sprachen ihn frei. Der Prozeß gegen Lorena Bobbitt ist für den 10. Januar festgesetzt. Für die „heimtückische Körperverletzung“ drohen ihr 20 Jahre Gefängnis.

Wie auch immer der Prozeß ausgehen mag - eins hat die schüchterne Rächerin schon jetzt bewirkt: Wenn Amerikanerinnen das Victory-Zeichen machen, formen sie neuerdings die zwei hochgereckten Finger an der rechten Hand zur Schere. Schnippschnapp.

Weiterlesen
 
Zur Startseite