Sicherheit: Es werde Licht!
Schon geschlossen? frage ich mich, als ich auf den Parkplatz des Supermarktes fahre. Halb neun abends. Doch nein, drinnen ist noch Licht. Nur der Parkplatz ist zappenduster. Ach ja, es soll ja Strom gespart werden.
„Ganz schön dunkel, so ohne Parkplatzbeleuchtung“, sage ich zur Kassiererin. Die schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und entgegnet: „Ja, und ganz schön blöd für mich. Meine Schicht endet um 21 Uhr, ich fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Jetzt ist alles dunkel, ich kann kaum mein Schloss aufschließen. Manchmal treiben sich komische Gestalten auf dem Parkplatz herum, die waren vorher nicht da. Ich habe oft Angst, dass mir was passiert.“
Mit diesem Gefühl ist meine Kassiererin nicht allein. Im Zuge der Energiekrise fahren viele Städte und Kommunen die nächtliche Beleuchtung runter, öffentliche Gebäude werden nicht mehr angestrahlt, GeschäftsinhaberInnen können es halten, wie sie wollen. Es greift die „Kurzfristenenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“ (EnSiKuMaV), kein Witz, die „lichtemittierende Werbeanlagen“ von 22 Uhr bis 16 Uhr verbietet. An sich kein schlechter Gedanke, nur tragen die Konsequenzen Menschen wie meine Kassiererin und ich. Genauer gesagt: Frauen. Denn für uns bedeutet Licht vor allem eines: Sicherheit.
Zig Studien beweisen, dass mehr Licht weniger Kriminalität bedeutet - und umgekehrt
Gehen die Lichter der Großstadt aus, erwachen die „dunklen Ecken“ – und die verheißen nichts Gutes für Frauen. Zig Studien und Statistiken im In- und Ausland untermauern die Formel: Mehr Licht – weniger Kriminalität.
Trotzdem stellt kaum einer und eine in Frage, dass jetzt überall das Licht ausgeht – wir müssen schließlich sparen. Einer der wenigen, die das Problem auf dem Schirm haben, ist NRWs Innenminister Herbert Reul (CDU). Reul sprach jüngst von „neuen Angsträumen“ durch das Lichtsparen, die vor allem eine Gefahr für Frauen seien. „Die Straßenlaternen im öffentlichen Raum müssen bleiben! Die Beleuchtung von Wegen, Straßen und auf Plätzen sind ein wesentlicher Punkt der Kriminalprävention, der nicht angetastet werden darf!“, so Reul. Auch die Polizeigewerkschaften in NRW und Hamburg warnten vor der Lichteinsparung: „Wir hoffen natürlich, dass es infolge von Lichtabschaltungen nicht zu mehr Straftaten kommen wird, aber wir befürchten es.“
Nach dem Willen des Hamburger Senats sollen sogar Wege in Park- und Grünanlagen, Sportanlagen und Jogging-Strecken nicht mehr beleuchtet werden. Aus Hamburg gibt es bereits erste Untersuchungen, die zeigen, dass insbesondere Frauen Gebiete in der Stadt meiden, die nicht mehr beleuchtet werden. Wieder ein Stück weniger öffentlicher Raum.
Aber was ist mit den Frauen, die Wege gar nicht meiden können? Die im Schichtsystem arbeiten, die nicht mit dem Auto vom Parkhaus des Arbeitsplatzes in die hauseigene Garage fahren können? Kassiererinnen, Verkäuferinnen aus dem Einzelhandel, Krankenschwestern, Kellnerinnen, Köchinnen?
Wie viele Frauen liefen schon lange vor der Energiekrise mit Angst nach Hause?
Und überhaupt: Wie viele Frauen liefen schon lange vor der Energiekrise nachts mit Angst nach Hause? Mit Pfefferspray in der Hand oder dem Schlüsselbund zwischen den Fingern, um sich im Notfall wehren zu können? Wie viele nehmen an Selbstverteidigungskursen teil, telefonieren oder tun so als ob?
Das Gefühl der Unsicherheit von Frauen in diesem Land ist groß – siehe auch SiKD-Studie. Durch das Lichtsparen wird das in der Studie erhobene Dunkelfeld von Kriminalität im wahrsten Sinne des Wortes noch dunkler. Es ist höchste Zeit, nicht mehr nur Opferstatistiken zu erheben, sondern endlich auch Maßnahmen zu ergreifen! Was bitte folgt denn jetzt aus den „Befürchtungen“ von Innenministern und Polizeigewerkschaften?