Swinging Wien: Ein Museum als Swinger-Club

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In dem Museum Wiener Secession wurde ein Swingerclub eingerichtet und das hat in der Berichterstattung einen eigentümlichen Wettbewerb ausgelöst: Von "verkniffenen Kunstdebatten" ist die Rede, von der "Empörungsmaschinerie der Boulevardmedien", von den Rechten, die "Sturm gegen das Treiben in der Secession" laufen. Es wird über die "radikal provozierenden Guerilla-Aktionen" des Künstlers Christoph Büchel geschrieben, dessen Idee es war, die Secession an einen Swingerclub zu vermieten. Bei der Eröffnung gab es auch schon "richtig Action". Und schließlich, heißt es, habe auch Gustav Klimts Beethoven-Fries damals "einen Riesenskandal" verursacht.
Merkwürdig sind diese Kommentare schon deswegen, weil sie überhaupt nichts zu dem Swingerclub selbst sagen, der ja angeblich das Kunstwerk sein soll. Das Reden darüber übernimmt folgerichtig auch der "Verein der kontaktfreudigen Nachtschwärmer", der den kommerziellen Club Element6 betreibt. "Wir bieten", heißt es in dessen Presseerklärung, "ein vielfältiges Showprogramm: Striptease, Bondage, SM, Body Painting, Tanz Performance, um die Stimmung anzuheizen."
Wer in den nächsten zwei Monaten das traditionsreiche Haus der Wiener Secession betritt, um Gustav Klimts "Beethoven-Fries" anzusehen, muss an Tanzbühnen, Couchlandschaften, einem Gynäkologenstuhl und Erotiknippes vorbeilaufen. Tagsüber ist der Club nicht in Betrieb, um neun Uhr abends kommen die Gäste. Das Ganze läuft als Kunst, Büchel nennt die Aktion "Raum für Sexkultur".
Doch worüber schreiben die Kritiker? Zuerst einmal über sich. Die Einrichtung eines Swingerclubs wird offenkundig als ein Aufruf missverstanden, die eigene freiheitliche Gesinnung zu demonstrieren. Wer Angst hat, als "verkniffen", "empört" oder "rechts" zu gelten, schlägt sich reflexartig auf die Seite des Künstlers. Dem Ganzen unterliegt eine alte Logik: Der Künstler, so die Vorstellung, ist der Außenseiter und derjenige, der von dieser Warte aus die Gesellschaft kritisiert. Die Gesellschaft besteht in diesem Bild natürlich aus Spießern, der Künstler ist, gemäß dem Klischée, ein einsamer Radikaler.
Nun lohnt es sich aber schon, sich in Erinnerung zu rufen, worin das eigentliche Werk besteht: aus einem Swingerclub. Wer die Entwicklung der Kunst in den letzten Jahren verfolgt hat, wird wissen, dass Pornografisches in Museen inzwischen zur Normalität geworden ist. Der Erfolg der pornografischen Bondage-Fotos des Japaners Nobuyoshi Araki sind ebenso ein Beispiel dafür, wie die Ausstellung "The Porn Identity", die 2009 um die Ecke von der Wiener Secession gezeigt wurde, in der Kunsthalle Wien.
Das Museum Kunst Palast in Düsseldorf zeigte im gleichen Zeitraum "Diana und Actaeon. Der verbotene Blick auf die Nacktheit" – die Liste könnte noch endlos weitergeführt werden. Man stößt aber immer auf dasselbe Argument: Die Ausstellungsmacher behaupten, 1. das, was wir da sehen, sei Kunst, ergo auf einer höheren Reflektionsstufe; 2. sie würden damit ein Tabu brechen.
Tabu? Wer Pornografie ins Museum holt, folgt nämlich schlicht einem Trend, der sich in allen Bereichen abzeichnet. Die pornografische Ästhetik hat sich fast alle Bereiche erobert: von der Mode über die Werbung zur Subkultur, Musik oder Literatur. Pornografie boomt. Es ist der meistgenutzte Sektor im Internet, dahinter steht eine Industrie mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Es gibt niemanden, der die Tatsache bestreiten könnte, dass unsere Gegenwart mehr von Pornografie geprägt ist als irgendeine Zeit zuvor. Pornografie ist also kein Tabu, sondern schlicht Mainstream.
Und damit wären wir beim Kernproblem: Die ganze Verwirrung um Büchels angeblich provokanten "Raum für Sexkultur" hängt im Grunde an zwei Worten – "Kunst" und "Künstler". Diese sollen bedeuten: Der Sexclub ist kein Sexclub, sondern eine Ausstellung; die Betreiber sind nicht einfach Betreiber, sondern von Herrn Büchel beauftragte Performance-Künstler; und das Ganze ist nicht, was es scheint, sondern etwas anderes, worüber wir uns Gedanken machen können.
Die Verwirrung löst sich, wenn man die Begriffe "Kunst" und "Künstler" einfach weglässt. Dann ist der Swingerclub wieder ein Swingerclub; die Betrachter kehren aus dem Zustand einer Allegorie in die Wirklichkeit zurück. Und die Behauptung, man wolle eine Debatte führen, klingt so überzeugend, als sage der Magistrat von Neapel, man habe den Müll in der Stadt liegen lassen, um die internationale Öffentlichkeit auf das Mülldilemma aufmerksam zu machen.
Herrn Büchel nennen wir mal einen Eventveranstalter: Als solcher hat er der Secession geschadet. Das Museum gewinnt keinen einzigen Besucher, der auch ohne Swingerclub wiederkäme. Der Swingerclub "Element6" aber wird jetzt wohl der berühmteste von Wien sein. Und die Ästhetik der Pornografie hat einen weiteren Sieg gefeiert: Der kommerzielle Mainstream durfte sich mal wieder als Tabubruch gerieren.

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