Suffragetten: Taten statt Worte!

Emmeline Pankhurst umringt von Menschenmassen bei einem Besuch in New York. - Foto: Getty Images
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„Punkt 5 Uhr 30 an einem denkwürdigen Abend im Jahr 1912 zogen zu Kundgebungen versammelte Frauen Hämmer aus ihren Muffen und Handtaschen hervor und fingen an, systematisch in allen Straßen der Londoner Innenstadt Schaufensterscheiben zu zertrümmern, beflügelt von dem Wissen, dass genau in diesem Moment Mrs. Pankhurst mit einem gezielten Steinwurf auf ein Fenster in der Downing Street 10 den Reigen eröffnete.“

So erinnert sich die englische Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth (1858 – 1944) an das, was sich an diesem Tag in London zutrug. Die Frau, die den Startschuss oder besser: Startwurf zum Frauenaufruhr gab und einen Stein genau in das Fenster des Premierministers Herbert Asquith schmiss, war ihre Freundin Emmeline Pankhurst – jene Frauenrechtlerin, die bereits mit 14 ihre erste Frauenstimmrechtsversammlung besuchte und heute als radikalste der englischen Suffragetten gilt.

Am 10. Oktober 1903, neun Jahre vor dem legendären Steinwurf, hatte Pankhurst, gemeinsam mit ihrer Tochter Christabel und vier weiteren Mitstreiterinnen, die „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) gegründet. Die Aktivistinnen wollten den Kampf um das Frauenwahlrecht, der in England zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahrhundert währte, offensiver führen als bisher.

Immer wieder hatten die Frauen, die schon 1867 die „National Union for Women’s Suffrage“ gegründet hatten, dem Parlament Resolutionen und Gesetzentwürfe für die Einführung des ­Frauenstimmrechts vorgelegt. Vergebens. Pankhurst und ihre Gefährtinnen wollten der Sache nun Nachdruck verleihen. Ihr Motto: „Deeds, not words“ – Taten statt Worte.

Zunächst organisierte die „Women’s Social and Political Union“ Frauenparlamente und Demonstrationen. Sie brachten ungeheure Massen auf die Straße. Der Höhepunkt sollte am 21. Juni 1908 erreicht sein. „Wochenlang war eine kleine Armee von Frauen damit beschäftigt, mit Kreide Ankündigungen auf die Bürgersteige zu schreiben, Flugblätter zu verteilen, von Haus zu Haus zu gehen und als Plakatträgerinnen auf den Straßen für die Kundgebung zu werben“, erinnert sich Emmeline Pankhurst in ihrer 1914 erschienenen Autobiografie.

Schließlich war es soweit. Mindestens 250.000 Frauen zogen in sieben Demonstrationszügen durch London und liefen sternförmig auf ihr Ziel zu: den Hyde Park.

„Was war Sonntag, der 21. Juni, für ein Tag!“ jubelt Pankhurst. „Als ich auf meine Tribüne im Hyde Park gestiegen war und die ungeheuren Menschenmengen, die schon warteten, und die endlosen Massen, die noch immer von allen Seiten in den Park fluteten, überblickte, wurde ich von Staunen erfüllt. Ich hätte nie gedacht, dass man so viele Leute zu einer politischen Demons­tration versammeln könnte.“

Auch die Presse war beeindruckt: „Wie Entfernung und Zahl der Sterne lagen diese Massen jenseits unserer Wahrnehmungsfähigkeit“, schrieb die London Times. Und der Daily Express vermutete: „Wahrscheinlich haben sich noch niemals zuvor irgendwo in England so viele Leute in einer einzigen großen Masse versammelt.“

Das stimmte. Und dennoch: Als die WSPU „voller Hoffnung“ eine weitere Resolution an Premierminister Asquith schickt, winkt der ab – mal wieder. Emmeline Pankhurst zündet die nächste Stufe im Kampf um das Frauenwahlrecht. Von nun an werden die Damen rabiater.

Dass die zu diesem Zeitpunkt 50-jährige Pankhurst einmal mit aller Kraft für Frauenrechte und insbesondere das Wahlrecht streiten würde, war dem Mädchen aus Manchester sozusagen in die Wiege gelegt. Schon ihre Eltern, überzeugte Demokraten, setzen sich nicht nur für die Sklavenbefreiung ein, sondern auch für das Frauenstimmrecht. Mutter Sophia hat das Women’s ­Suffrage Journal abonniert und nimmt ihre 14-jährige Tochter zu ihrer ersten Stimmrechtsversammlung mit. „Ich verließ die Versammlung als bewusste und entschlossene Befürworterin des Wahlrechts für Frauen.“

Mit 15 geht Emmeline nach Paris und besucht dort eine Mädchenschule, deren fortschrittliche Leiterin auch Chemie und andere Naturwissenschaften in den Lehrplan aufnimmt. Als Emmeline mit 18 nach England zurückgeht, schließt sie sich umgehend der Frauenstimmrechtsbewegung an. Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen: Richard Pankhurst. Auch der Jurist, mit dem sie fünf Kinder bekommt, ist Verfechter des Frauenstimmrechts. Er entwirft die erste Gesetzesvorlage für das Frauenwahlrecht, die ein Abgeordneter ins Parlament einbringt.

Da britische Politiker die Stimmrechtsaktivistinnen auffordern, ihre Eignung für politische Ämter zunächst unter Beweis zu stellen, indem sie sich in Ehrenämtern engagieren, wird Emmeline Pankhurst in Manchester Mitglied des Ausschusses für Armenpflege. Dort radikalisiert sie sich vollends. Sie erlebt das Elend der jungen Mütter mit unehelichen Kindern und alte Witwen, die bettelarm sind, weil sie nie berufstätig sein durften. „Ich war für das Frauenstimmrecht lange bevor ich Fürsorgerin wurde. Nun wurde mir klar, dass das Frauenstimmrecht nicht nur ein Recht, sondern eine verzweifelte Notwendigkeit ist.“

Nach der erfolglosen Massendemonstration 1908 werden Emmeline Pankhurst und ihre Mitstreiterinnen immer militanter. Sie zertrümmern nicht nur Schaufensterscheiben, sondern starten spektakuläre Aktionen. Eine Suffragette dringt ins Unterhaus ein und schreibt mit Druckerschwärze die „Bill of Rights“ auf die Wände. Eine andere zerschlitzt in der Londoner Nationalgalerie Velasquez’ Bild „Die Venus vor dem Spiegel“. Am 4. Juni 1913 wirft Emily Davison sich beim Derby in Epson vor das Pferd des Königs und stirbt an ihren Verletzungen.

Die Stimmrechtsbewegung hat ihre erste Märtyrerin. Immer mehr Suffragetten, auch Pankhurst, werden mehrfach verhaftet und treten im berühmt-berüchtigten Frauengefängnis von Holloway in Hungerstreik. Die Regierung schlägt mit Zwangs­ernährung, sprich: Folter, zurück.

Aber die Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten, noch nicht einmal durch den I. Weltkrieg. Emmeline Pankhurst beendet ihre Autobiografie in den ­ersten Kriegstagen. Sie kündigt an: „Sobald das Waffenklirren aufhört, sobald eine normale, friedliche, vernunftbestimmte Gesellschaft ihre Aufgaben wieder aufnimmt, wird die Forderung nach Gleichberechtigung erneut gestellt werden. Wenn sie dann nicht schnell erfüllt werden, werden die Frauen die Waffen wieder aufnehmen, die sie heute so großzügig niederlegen.“

Nach Kriegsende beschließt das Parlament den „Representation of the People Act“: Die britischen Frauen bekommen das Wahlrecht, allerdings nur die, die über 30 Jahre alt sind. Männer hingegen dürfen schon mit 21 Jahren wählen. Der Grund: Zahllose Männer sind im Krieg gefallen und man will verhindern, dass nun die weiblichen Wähler in der der Mehrheit sind. Es wird weitere zehn Jahre dauern, bis Groß­britanniens Bürgerinnen das gleiche Stimmrecht bekommen wie die Bürger. Am 2. Juli 1928 ist es soweit: Der „Representation of the People Act“ wird auf Frauen ab 21 Jahren erweitert.

Drei Wochen davor, am 14. Juni 1928, stirbt Emmeline Pankhurst im Alter von 90 Jahren. 1999 nimmt sie das Time Magazine in die Liste der 100 wichtigsten Menschen des 20. Jahrhunderts auf.

 

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Wer waren die Pionierinnen?

Eine Demonstration für das Frauenwahlrecht in Berlin.
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17. November 1918. Die Frankfurter Paulskirche platzt aus allen Nähten. So viele enthusiastische Frauen strömen in das geschichtsträchtige Gebäude, dass es Schlagzeilen in der Weltpresse macht. Allen voran meldet Jus Suffragii die Sensation: „The German Revolution in the first days of its glorious victory has announced equal citizen and economic rights for both sexes, and thereby given the women the vote for all corporate bodies“, schreibt die in London erscheinende Zeitschrift des „Weltbundes für Frauenstimmrecht“.

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Minna Cauer 1896: "Die Frau gehört nicht mehr ins Haus. Sie gehört in dieses Haus: den Reichstag!"
Minna Cauer 1896: "Die Frau gehört nicht mehr ins Haus. Sie gehört in dieses Haus: den Reichstag!"

Nur einen Tag nach Kriegsende erhielten die deutschen Frauen das Stimmrecht. Und diesen ­Triumph, so Jus Suffragii, feierten sie mit einer „überwältigenden Massendemonstration“. Es ist ein Triumph, für den sie ein halbes Jahrhundert lang gekämpft hatten – und bis zur letzten Minute.

Fünf Tage zuvor, am 12. November, hatte die provisorisch eingesetzte Regierung in ihrem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk“ die Anerkennung der Frauen als vollwertige Bürgerinnen verkündet. Bis dato hatten Frauen in Sachen Bürgerrechte mit Minderjährigen und geistig Behinderten auf einer Stufe gestanden. Ab nun galt: „Alle Wahlen zu öffent­lichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Nachdem die Jubelfeiern, die auch in München, Hamburg, natürlich Berlin und überhaupt in ganz Deutschland stattfinden, abgeklungen sind, macht sich emsige Betriebsamkeit unter der weiblichen Wahlbevölkerung breit. Man hatte sie so lange von den Wahlurnen ferngehalten und eingelullt mit der Behauptung, das politische Geschäft widerspreche ihrer „natürlichen Bestimmung“. Nun sind die Frauen wild entschlossen, mit größtmöglicher Kompetenz von ihrem Recht Gebrauch zu machen.

„Eine Wandlung hat sich im Weltall vollzogen wie nie zuvor: Frauen Deutschlands, Ihr werdet als gleichberechtigte Bürgerin dieses Staates gelten!“ jubelt die Frauenrechtlerin Minna Cauer in ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung und appelliert „An die Frauen Deutschlands“: „Eine konstituierende Nationalversammlung ist in Vorbereitung. Ihr könnt mitwählen! Bereitet euch würdig dafür vor. Frauen Deutschlands, Ihr werdet alle gerufen! Seid Mitarbeiterinnen, Helferinnen, Kämpferinnen für eine neue Zeit!“

Louise Otto 1849: "Ein Recht, das jetzt den Unwissendsten im Volke zusteht, muss auch für das Weib da sein."
Louise Otto 1849: "Ein Recht, das jetzt den Unwissendsten im Volke zusteht, muss auch für das Weib da sein."

Viele Frauen lassen sich das nicht zweimal sagen. „Kein Saal in den Großstädten ist groß genug, um die Massen der Frauen zu fassen, die sich politisch unterrichten wollen; in allen Kreisen und Berufen, auf dem Lande und in der Stadt wird jetzt von Frauen Politik getrieben und alle Kreise der Frauen sind erfüllt von brennendem Drange, ihr Wahlrecht auszuüben“, berichtet Die Frau im Staat. Die Herausgeberinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, zwei der kühnsten deutschen Streiterinnen für das Frauenstimmrecht, prognostizieren: „Es steht heute schon fest, dass die Beteiligung der Frauen bei den Wahlen sehr groß sein wird.“ Sie werden recht behalten.

Am Wahlsonntag, dem 19. Januar 1919, werden 82 Prozent der deutschen Frauen ihren Stimmzettel in die Urnen werfen! Und so wählen an diesem historischen Tag 15 Millionen Männer – und 17,7 Millionen Frauen die erste demokratische Nationalversammlung Deutschlands.

„Ihr Wunsch, ihre Stimme abzugeben, war so groß, dass die Frauen in langen Schlangen auf Einlass warten mussten“, berichtet Jus Suffragii stolz. Die Fotos von jenem Sonntag zeigen ein schwarz-weißes Meer von Hüten, das sich durch die Straßen windet. Damenhüte mit Schleifen, Pelzbesatz oder Blumenschmuck.

Dazwischen gelegentlich ein Herrenhut. „In Scharen“ seien die Wählerinnen herbeigeströmt und hätten „von früher Morgenstunde an ganze Straßenzüge entlang vor den Wahllokalen ‚Polonaise‘ gestanden“, berichtet Die Frauenfrage, das Zentralblatt des „Bundes Deutscher Frauenvereine“. „Auf den alten und jungen Frauengesichtern“ beobachtet Frauenrechtlerin Marie Stritt „etwas von einer neuen Würde und Sicherheit, von einem neuen Selbstbewusstsein und bescheidenen Bürgerstolz: Auch auf mich kommt es heute mit an! Auch ich darf mitreden, wo es um Wohl und Wehe des Vaterlandes geht!“

Olympe de Gouges 1791: "Das Gesetz muss Ausdruck allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung mitwirken."
Olympe de Gouges 1791: "Das Gesetz muss Ausdruck allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung mitwirken."

Aber nicht nur die neuen Wählerinnen strahlen stolz. Stritt: „Ein neuer Ausdruck lag auch auf dem Gesicht so manches ehrsamen Wählers, der an der Seite der Gattin oder der erwachsenen Tochter dem Wahllokal zustrebte, ein Ausdruck von kameradschaftlicher Hochachtung, wie sie bisher, zumal an solchen Tagen, nur dem eigenen Geschlechtsgenossen entgegengebracht wurde.“ Lange, sehr lange hatten die Gattinnen und Töchter um diese „Kameradschaftlichkeit“ ringen müssen, die Simone de Beauvoir 40 Jahre später im „Anderen Geschlecht“ als Utopie und „Geschwisterlichkeit“ bezeichnen wird.

Noch wenige Monate vor der Verkündung des Frauenwahlrechts hatte der Reichstag – wieder einmal – die Forderung nach dem Frauenstimmrecht mit großer Mehrheit als „unerhört“ und „ungeheuerlich abgelehnt“. „Verweiberung“ drohe, eine „Jungfernherrschaft“ stehe zu befürchten, wenn der Staat von der „giftigen Frucht am Baume der Frauenemanzipation“, dem Frauenstimmrecht, koste, zeterte der „Deutsche Bund gegen die Frauenemanzipation“ noch 1916. Die Politik bedürfe „männ­licher physischer und geistiger Kraft“ sowie „Entschlussfreudigkeit und unbeugsamen Todesmutes“; die Frau hingegen bleibe „im Kampf um das Dasein unter allen Umständen in gewissem Grade unfrei und vom Schutze und der Fürsorge des Mannes abhängig“. Daher sei die Frau als vollberechtigte Staatsbürgerin ein „Widerspruch in sich“. (...)

Dieser Textauszug über die feministischen Pionierinnen, die für das Stimmrecht gekämpft haben, ist Teil eines Dossiers in der November/Dezember EMMA. Darin geht es außerdem um die Suffragette Emmeline Pankhurst; die Österreicherinnen, die 1918 das Wahlrecht erstritten haben; die aktuelle Forderung nach "Parité in den Parlamenten"; sowie eine Chronik über die Stationen der Frauen auf dem Weg in die Politik. Ausgabe bestellen

 

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