Keine Bürger zweiter Klasse!

Am 19. März 1911 fordern in Wien 20.000 Frauen das Stimmrecht.
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Im Oktober 1888 reicht es Auguste Fickert endgültig! Dafür zu kämpfen, dass die nahezu rechtlosen Frauen mehr Rechte erhalten, war die 34-jährige Wiener Lehrerin ja gewohnt. So hatte sich Fickert zum Beispiel im „Verein der Lehrerinnen und Erzieherinnen“ für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen und gegen das so genannte „Lehrerinnen-Zölibat“ eingesetzt. Dass man aber Frauen ein bereits gewährtes Recht einfach wieder wegnehmen wollte, das war ein starkes Stück!

Was war passiert? Das niederösterreichische Landesparlament hatte beschlossen, steuerzahlenden Frauen, die seit 1861 immerhin bei Landtags- und Kommunalwahlen mitwählen durften, ihr Stimmrecht wieder zu entziehen. Bald darauf verloren die Frauen in den Wiener Vorstädten auch noch ihr Kommunalwahlrecht, als ihre Bezirke in die Großstadt eingemeindet wurden. Auguste Fickert startet nun eine Kampagne für das Frauenstimmrecht. Sie organisiert Versammlungen, sie sammelt Unterschriften und schickt Petitionen an den Landtag und an den Reichsrat. Als die die Eingaben der Frauen schlichtweg ignorieren, wird Fickert und ihren Mitstreiterinnen klar: Die österreichischen Frauen brauchen eine eigene, schlagkräftige Interessenvertretung!

Denn auch auf die Genossen der gerade gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs können die Frauenrechtlerinnen nicht zählen. Zwar hat die Partei, anders als die deutschen Sozialdemokraten, das Frauenstimmrecht von Anfang an in ihre „Prinzipienerklärung“ aufgenommen: Sie „erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Beseitigung der ökonomischen Abhängigkeit, die Befreiung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung“.

Allerdings klafft eine gewaltige Lücke zwischen sozialdemokratischer Theorie und Praxis: Zum Gründungsparteitag im Jahr 1889 werden Frauen nicht zugelassen, obwohl die Genossin Anna Altmann als Delegierte gewählt ist. Und selbst als das Frauenstimmrecht 1891 ganz offiziell ins Parteiprogramm aufgenommen wird, erklärt der Parteivorsitzende Viktor Adler: „Es fragt sich, ob die politische Lage reif ist, um einen Feldzug für das Frauenwahlrecht zu unternehmen.“

Was der Genosse Adler meint, ist: Die Genossen fürchten, sich mit einem Kampf für das allseits unbeliebte Frauenwahlrecht die Aussichten auf ihr vordringliches Ziel zu verscherzen: das Wahlrecht für Männer. Denn in Österreich ist zwar die Alleinherrschaft der Monarchie abgeschafft, aber von einem allgemeinen, gleichen Wahlrecht ist das Land weit entfernt. Das „Herrenhaus“ des Parlaments wählt der Kaiser aus, das „Abgeordnetenhaus“ ist in vier „Kurien“ aufgeteilt und wird von Großgrundbesitzern, Handwerkern etc. und nach Steueraufkommen gewählt. Taktische Gründe, erklärt nun der Genosse Adler, sprächen dafür, dass „der letzte Schritt erst gemacht werden kann, wenn der erste Schritt gemacht ist und der ist: Die Erkämpfung des Wahlrechts für die Männer.“ Die Genossinnen fügen sich – zunächst.

Auguste Fickert wundert das nicht. Alle Parteien hätten, sagt sie, „mit dem, was den Inhalt der Frauenfrage ausmacht, nichts zu schaffen“. Um ihr „Recht auf Selbstbestimmung“ zu erkämpfen, „vermag den Frauen keine politische Partei zu verhelfen, das müssen sie sich allein und unabhängig von allen Strömungen des Tages, von allen kleinlichen Zielen und Zwecken erkämpfen“.

Gesagt, getan. 1893 gründet Auguste Fickert, gemeinsam mit Marie Lang und Rosa Mayreder, den „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein“ (AÖF). Die Malerin und Schriftstellerin Mayreder wird bald zur bedeutendsten Theoretikerin der österreichischen Frauenbewegung werden. Radikal stellt sie die angebliche „Natur der Frau“ in Frage und erklärt in ihrem Werk „Zur Kritik der Weiblichkeit“: „Man wird erst wissen, was die Frauen sind, wenn ihnen nicht mehr vorgeschrieben wird, was sie sein sollen.“

Der ÄÖF setzt sich nicht nur für Mädchen- und Frauenbildung ein und gegen Prostitution und das entmündigende Familienrecht, sondern fordert auch klipp und klar das Frauenstimmrecht. Der Verband schickt Resolution um Resolution an den Ministerpräsidenten und das Parlament – erfolglos.

Zwar stimmt am 11. Dezember 1906 der Reichsrat für das allgemeine, gleiche Wahlrecht – jedoch nur für das der Männer. Die Frauen hingegen durften nicht einmal einen Frauenstimmrechtsverein gründen, weil § 30 des Vereinsgesetzes, ganz wie in Deutschland, „Ausländern, Frauenspersonen und Minderjährigen“ die Gründung politischer Vereine verbot.

Dennoch lassen sich Mayreder, Fickert & Co. nicht entmutigen und erklären: „Wir sind nicht gesonnen, die Flinte ins Korn zu werfen und uns für alle Zukunft in das Los von Menschen und Staatsbürgern zweiter Ordnung demütig zu schicken.“

1911 fällt das Vereinsverbot für Frauen, im gleichen Jahr ziehen in Wien zum ersten Internationalen Frauentag 20.000 Frauen über die Ringstraße. Sie fordern die Abschaffung des Abtreibungsverbots, gleichen Lohn – und das Frauenwahlrecht. Die Demons­tration macht Schlagzeilen im ganzen Land: „Die Frauen kommen!“

Am 11. und 12. Juni 1913, neun Jahre nach der Gründung des „Interna­tionalen Bundes für das Frauenstimmrecht“ in Berlin, kommen Frauen aus aller Welt nach Wien zur Internationalen Frauenstimmrechtskonferenz.

Den Ausbruch des I. Weltkriegs spaltet auch in Österreich die Frauenbewegung. Während der gemäßigt-katholische Flügel den Kampf um die Frauenrechte hinter den patriotischen Einsatz an der „Heimatfront“ zurückstellt, stellen sich die Radikalen gegen den Kriegswahn und bleiben beharrlich bei ihrem Einsatz für das Frauenstimmrecht. Gemeinsam mit Bertha von Suttner engagiert sich Rosa Mayreder in der Frauenfriedensbewegung und wird 1919 Vorsitzende der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“.

Als der Krieg zu Ende und der österreichische Kaiser Karl I. nach Madeira geflohen ist, liegt der provisorischen Nationalversammlung schon bei ihrer ersten Sitzung eine Petition vor, in der die Frauenstimmrechtsvereine die volle Anerkennung der Frau als Staatsbürgerin fordern. Am 12. November 1918 ist es soweit: In Artikel 9 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform der Republik heißt es, in der neuen Wahlordnung gelte das „allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“.

82 Prozent der Frauen werden am 16. Februar 1919 zu Wahl gehen (und 87 Prozent der Männer).

Auguste Fickert hat diesen Triumph nicht mehr erlebt. Sie starb mit nur 55 Jahren am 9. Juni 1910. Heute erinnert im Wiener Türkenschanzpark ein Denkmal an die radikale Vorkämpferin, von der ihre Kampfgefährtin Rosa Mayreder sagte, sie habe eine „unbedingte und unbeugsame Natur“ besessen. Heute können WienerInnen auch durch die Mayredergasse und den Rosa-Mayreder-Park flanieren.

 

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