Was wollen die Männer?

Psychologin Sandra Konrad. Foto: Kirsten Nijhof
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Im 21. Jahrhundert haben Frauen in der westlichen Welt Freiheiten, von denen ihre Vorfahrinnen nur träumen konnten. Sie können verhüten und somit Sex ohne Angst vor einer Schwangerschaft genießen. Sie können ihre PartnerInnen frei wählen. Sie müssen nicht heiraten. Sie können über Sex sprechen, Sex haben oder Sex ausschlagen, wenn sie keine Lust haben. Sie sind, wie man so schön sagt, „sexuell befreit“. Aber was bedeutet das genau?

Zum Beispiel bei Sonja, einer 33-jährigen Lehrerin. „Ich finde nicht, dass ich mich irgendwo unterordne“, sagt sie. „Ich mache doch genau das, worauf ich Lust habe!“ Sonja hat eine Affäre nach der anderen. Sie reist viel, hat einen großen Freundeskreis und geht mindestens dreimal die Woche zum Sport, nicht, weil es ihr Spaß macht, sondern weil sie fit, schlank und straff bleiben will. „Noch ist der Richtige ja nicht gefunden“, scherzt sie.

Sie hat mit über 50 Männern geschlafen, was außer mir nur ihre beste Freundin weiß, weil Sonja die Erfahrung gemacht hat: „Man wird da sehr schnell abgestempelt.“ Trotzdem will sie sich ihre sexuelle Freiheit nicht nehmen lassen, und das heißt im Klartext: „Mich sexuell auszutoben und mich wie ein Mann zu verhalten, also nicht zu emotional zu werden.“

Obwohl Sonja mit ihrer Definition von sexueller Freiheit voll im Trend liegt, ist sie sich auch des Abgrunds aus Scham und Beschämung bewusst, in den Frauen noch immer leicht abrutschen können, denn über weibliche Sexualität wird nach wie vor hart geurteilt. Selbst wenn man sich als Frau theoretisch sexuell befreit fühlt, lauern doch oft unbewusste und deshalb umso tiefer verankerte gesellschaftliche Werturteile über weibliche Sexualität in den meisten von uns: Schlampig, prüde, nuttig, verklemmt – es gibt viele Adjektive, die Frauen in ihrer Sexualität diskriminieren, hemmen oder ausbeuten und sie unmissverständlich in ihre Schranken weisen.

Bis zur sexuellen Revolution in den 1960er- und 70er-Jahren war klar, was von einer Frau erwartet wurde: Sie sollte passiv und empfangend sein, ihrem Mann treu ergeben und darüber hinaus eine brave Hausfrau und Mutter. Weibliche Sexualität war ein Tabu, die Geschlechtsorgane einzig zur Fortpflanzung gedacht. Heute ist alles anders, heute dürfen, nein, sollen Frauen sexuelle Wesen sein. Enttabuisierung lautet das Zauberwort; „Alles kann, nichts muss“ das Motto der neuen Konsensmoral, die ehemalige Perversionen normalisiert und entdramatisiert, denn ­erlaubt ist, was Beiden gefällt.

„Am Wochenende habe ich das erste Mal mit meinem neuen Freund geschlafen, und er hat mir, als er gekommen ist, ins Gesicht ge…“ – sie stockt – „na ja, du weißt schon, was ich meine.“ Die 21-jährige Lara wird rot und senkt den Blick. Ich lasse ihr Zeit, um sich zu sammeln und den Anflug von Scham vergehen zu lassen. Scham ist ein unlogisches Gefühl. Manchmal schämen wir uns für etwas, das uns widerfahren ist, das wir nicht kontrollieren konnten, dessen Opfer wir wurden. Besonders in der Sexualität, die heute laut und offen daherkommt und in der alles erlaubt scheint, sitzt immer noch viel Scham. Weibliche Scham.

„Macht man das so? Ist das normal?“, fragt Lara mich nach einer Weile. „Normal“, antworte ich langsam. „Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was normal ist. Ich weiß auch nicht genau, wer bestimmt, ob etwas normal ist. Und ob normal gut oder schlecht ist. Deshalb finde ich es eigentlich viel wichtiger, wie du ­etwas findest, als wie andere etwas finden.“

Sie überlegt eine Weile. „Ich war total geschockt. Ich fand es eklig. Aber ich hab mich nicht getraut, ihm das zu sagen.“ Sie schlägt die Hände vors Gesicht. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt.“ Das unrühmliche Ende des Coitus interruptus ­ihres Freundes wird Lara wahrscheinlich für immer im Gedächtnis bleiben.

Was ist heute normal? Und inwieweit bestimmen Frauen diese Normalität mit, wenn sie sich ihre Brüste operieren lassen, ihre Vulva wie die einer Pornodarstellerin enthaaren, sich in Frauenzeitschriften über die „schärfsten Stellungen“ und die besten „Blowjob-Techniken“ informieren, Pole-­Dance und Striptease in Fitnessstudios üben und sich auf unverbindliche, oftmals unbefriedigende Sexualkontakte einlassen?

Wer nach 1995 geboren wurde, lebt nach vollkommen anderen Regeln als frühere Generationen. Wurde Mädchen lange Zeit geraten, sich aufzusparen und erst in einer festen Beziehung Geschlechtsverkehr zu haben, so ist Sex heute oftmals eine aus romantischen Beziehungen ausgelagerte Handlung. „Friends with benefits“, auf Deutsch: Freundschaft mit Vorteilen oder eben „Freundschaft Plus“ ist eine neue, gängige Beziehungsform, die es Jugend­lichen und jungen Erwachsenen erlaubt, Sexualität in einem mehr oder weniger vertrauten und sicheren Umfeld erleben zu können.

Bei älteren Generationen funktionieren solche Arrangements weniger reibungslos und sind auch weniger gewollt. Bei unverbindlichen sexuellen Kontakten, die zwar durchaus als „ermächtigend“ beschrieben werden, geht es speziell bei den jüngeren Frauen weniger um die eigene als vielmehr um die Befriedigung des anderen.

„Es gibt mir ein gutes Gefühl, gut im Bett zu sein“, sagt die 20-jährige Mia. „Was heißt ‚gut im Bett‘?“, frage ich nach. „Das heißt, dass ich es dem Jungen – um es mal deutlich zu sagen – so richtig besorgt habe und dass er danach findet, dass ich geil bin. Da muss man allerdings ein bisschen aufpassen, dass man nicht gleich als Schlampe abgestempelt wird“, schränkt sie ein.

In diesem Spannungsfeld leben junge Frauen heute scheinbar immer noch: Es geht darum, den Mann sexuell zu versorgen, also „gut im Bett“ zu sein, aber gleichzeitig einen guten Ruf zu bewahren. Es geht nicht darum, selber eine lustvolle, befriedigende Erfahrung zu machen, sondern über sexuelle Erfahrungen sprechen zu können und dabei möglichst gut ­bewertet zu werden.

Wie widersprüchlich und oft auch unbefriedigend Sexualität von jungen Frauen heute in vielen Bereichen erfahren wird, zeigt sich auch am Umgang mit Oralverkehr: Während viele junge Frauen bereits beim ersten sexuellen Kontakt selbstverständlich Fellatio praktizieren, ist es den meisten unangenehm, wenn ihre Partner ihnen Cunnilingus anbieten.

„Das ist irgendwie was anderes“, sagt die 24-jährige Emily. „Inwiefern?“ „Weil – dass Frauen Männern einen blasen, gehört dazu.“ „Umgekehrt nicht?“, frage ich. „Doch, dass Männer Frauen lecken, das gehört theoretisch auch dazu. Wegen Gleichberechtigung und so. Aber ich mag das nicht so gern. Weil – ehrlich gesagt – weil er mir leidtut, wenn er mich da schmecken muss. Das wäre mir irgendwie unangenehm.“

Diese Argumentation fand ich bei vielen der jungen Interviewpartnerinnen. Obwohl ihre Partner sie gern oral befriedigt hätten, lehnen sie Cunnilingus ab, weil sie sich für ihren eigenen Körper, seinen Geruch und die Flüssigkeiten schämen – während sie die ihres Partners ­bereitwillig aufnehmen.

„Wenn mein Freund will, schlucke ich auch. Das mache ich aber nicht bei jedem, das ist ein Gefallen“, differenziert die 20-jährige Romy. Sie erlaubt es ihrem Freund nur in Ausnahmefällen, sie oral zu befriedigen. „Aber ich bin da nie entspannt. Ich verkrampfe immer total.“

Andere beschreiben, dass sie die orale Stimulation durchaus schätzen, aber „mit den Gedanken mehr bei ihm als bei mir selbst“ sind. In vertrauten Beziehungen ist die Unsicherheit dabei oft schwächer und der Genuss größer: „Auch, weil ich ja spüre, wie es meinen Freund erregt.“

Sexuelle Freiheit zeichnet sich zwar grundsätzlich dadurch aus, dass dem eigenen Lustgefühl folgend sowohl individu­elle Grenzen gesetzt, als auch gesellschaftliche Grenzen überschritten werden können, aber bei dem, was mir die jungen Frauen erzählen, geht es oft eher um das Bild, das sie von sich vermitteln wollen, als um das Gefühl, das sie selbst beim Sex tatsächlich empfanden. Anders gesagt: Nicht ihre eigene Lust und das Ausloten von Grenzen, sondern die Lust des Partners und seine Bewertung ihrer Performance stehen im Vordergrund.

Im Laufe der Gespräche – besonders mit jüngeren Frauen unter 25 – fiel mir ein bedeutsamer Unterschied auf zwischen ihrem Selbstbild, sexuell selbstbestimmt und mächtig genug zu sein, um sexuelle Grenzverletzungen abzuwehren, und der gleichzeitigen oft unbewussten Unfähigkeit, diese Grenzen überhaupt wahrzunehmen. „Ich mag es nicht so gern, wenn der Mann nicht in mir, sondern auf mir kommt. Das macht für mich irgendwie den Moment kaputt. Aber einige stehen darauf, also mach ich das mit“, sagt die 25-jährige Jasmin.

„Typen mögen es, wenn man ihr Sperma schluckt. Ich mag es nicht so gern. Meine Freundinnen auch nicht. Aber wir tun es trotzdem, wenn wir den Typ richtig gut finden oder ihm ein gutes Gefühl ­geben wollen“, sagt die 24-jährige Sarah.

„Letztens hat mich ein Bekannter ­gefragt, ob er mit mir einen Tittenfick ­machen darf. Er fand das lustig und geil. Und obwohl ich es eigentlich doof fand, weil ich sowieso ein Problem mit meinen großen Brüsten habe, hab ich ihm zuliebe mitgemacht“, sagt die 22-jährige Ronja.

„Es gibt Männer, die drängen total auf Analverkehr, also probiert man das mal aus, wenn sie da so scharf drauf sind. Ist überhaupt nicht meins. Aber ich will auch nicht die Einzige sein, die das nicht mitmacht“, sagt die 21-jährige Maja.

„Ich hab schon ein paarmal mit Typen geschlafen, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. Aber da war ich betrunken und hatte mich nicht mehr so unter Kon­trolle“, sagt die 32-jährige Imke.

Ein häufig genannter Grund, sich auf individuell grenzüberschreitende sexuelle Aktivitäten einzulassen, ist die Hoffnung, dass der Partner sich deshalb fester an ­einen binden würde: „Ich dachte, wenn ich sexuell alles gebe, dann verliebt er sich vielleicht in mich.“

Oft bieten junge Frauen sexuelle Dienste auch freiwillig, quasi in vorauseilendem Entgegenkommen an, um den Mann zu befriedigen. „Im Urlaub hab ich mal zwei Männern gleichzeitig einen geblasen. Danach war ich irgendwie stolz“, berichtet die 19-jährige Merle. „War es schön oder erregend für dich?“ „Also, ich bin dabei nicht gekommen. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob ich erregt war. Aber darum ging es gar nicht. Ich hab mich irgendwie mächtig ­gefühlt, weil ich im Mittelpunkt stand und sie durch mich gekommen sind.“ „Wenn du heute darauf zurückblickst, würdest du es wieder tun?“ „Ja, vor allem, weil ich jetzt eine coole Geschichte erzählen kann. Das ist eigentlich das Beste daran.“

Junge Frauen erfahren Aufwertung durch sexuelle Dienste und sind wahrscheinlich auch deshalb bereit, das, was derzeit „normal“ ist, ohne Hinterfragen ihrer eigenen Bedürfnisse zu praktizieren. Dazu zählen beispielsweise Oralverkehr als Auftakt einer sexuellen Begegnung oder das Mitwirken an einem Threesome, altmodisch mit „flottem Dreier“ übersetzt, weil dies als cool gilt. Das Gefühl der Ermächtigung, das sie dabei haben, entsteht aus der Erfahrung, Lustspenderin zu sein. Deshalb initiieren und erbringen sie sexuelle Gefälligkeiten – in vielen Fällen, ohne dabei selbst körperlich oder emotional auf ihre Kosten zu kommen.

Diese Haltung scheint sich mit dem ­Älterwerden zu verändern, da Frauen lernen, sich selbstbewusster für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Auch der Umstand, in einer festen Beziehung zu leben, trägt oftmals zu einer gleichberechtigteren Sexualität bei. In unverbindlichen Kontakten ­jedoch gelingt es Frauen oft nicht, aus einer den Partner sexuell versorgenden Rolle herauszutreten, weil sie befürchten, sonst weniger wertgeschätzt oder sogar abgewertet zu werden.

Um trotzdem im Einklang mit ihrem Selbstbild bleiben zu können, deuten sie ihre Rolle mehr oder weniger konsequent um: Ich wollte das, was er will. Ich bin wertvoll und gut im Bett, weil er zufrieden ist. Ich bin sexy, weil ich Sex habe. Ich bin lustvoll, weil ich ihm Lust mache. Sexuelle Erfahrungen steigern meinen Marktwert, egal, ob sie lustvoll für mich sind oder nicht – solange ich nach den Regeln spiele und nicht „zu“ schlampig werde.

Dieser Selbstbetrug lässt sich in einer länger währenden Liebesbeziehung, in der der Wunsch nach echter Nähe entsteht, kaum aufrechterhalten. Das, was man wirklich will und wer man ist, kann dann nicht mehr vertuscht werden, nicht in den alltäglichen Begegnungen und schon gar nicht in der Sexualität. Verletzungen und Mangelerfahrungen, die in unverbindlichen Begegnungen eher mit sich selbst ausgemacht werden, treten in einer engen Beziehung zwangsläufig zutage und spiegeln sich in der Beziehung des Paares. Je sicherer und verbindlicher sich die Beziehung anfühlt, desto mehr werden Erwartungen, aber auch Kränkungen geäußert.

„Bei einer reinen Fick-Beziehung geht es halt nur um Sex. Wenn ich da verletzt werde, bespreche ich das mit meinen Freundinnen. Alles andere wäre irgendwie gegen die Abmachung. Aber in einer Beziehung sieht das ganz anders aus“, sagt die 30-jährige Ines. „Da gibt’s halt mal Streit, und wenn ich sauer bin, dann kriegt mein Freund das auch mit. Und umgekehrt. Eine Beziehung zu führen ist einerseits schwieriger, als einfach nur Sex mit jemandem zu haben, aber es ist andererseits auch einfacher, weil ich mich zeigen kann und nicht alles runterschlucken muss. Weil ich ja weiß, dass es dem anderen nicht nur um Sex geht, sondern dass er mich wirklich mag und mich nicht verlieren möchte.“

In einer intimen Liebesbeziehung werden in der Sexualität weniger gesellschaftliche Rollenbilder verhandelt als reale, individuelle und paarbezogene Bedürfnisse: Wie gehen zwei Menschen miteinander um, was und wie viel investieren sie in die Beziehung und das Wohl des anderen; sind sie bereit, die Wünsche des anderen zu erfahren; trauen sie sich, ihre eigenen Wünsche zu formulieren?

In der partnerschaftlichen Sexualität einer exklusiven Beziehung wird auf einer anderen Ebene verhandelt, hier spielen vielschichtige Kosten-Nutzen-Rechnungen und unterschwellige Macht-Ohnmacht-Kämpfe eine Rolle, die Partner veranlassen oder aber auch davon abhalten, sich auf die sexuellen Wünsche des anderen einzulassen.

Bei Gelegenheitssex geht es nicht um Intimität und Verbindlichkeit, es geht nicht um die andere Person, es geht nicht um gestern oder morgen, es geht einzig und allein um den Moment. One-Night-Stands, Hook-ups, Booty Calls oder Freundschaft Plus – all diese Begegnungen können durchaus lustvoll und „sexuell horizonterweiternd“ sein, wie die 24-jährige Marie sagt. Aber wer seine Grenzen nicht kennt bzw. spürt oder über sie hinweggeht, weil er oder sie nicht uncool sein möchte, geht nicht den Weg der Freiheit, sondern läuft Gefahr, sich selbst zu verletzen oder verletzt zu werden.

Einige meiner Gesprächspartnerinnen erzählten mir stolz, dass sie kein Problem mit Sex ohne Liebe hätten – also „wie ein Mann“ fühlen könnten. „Wer es ist, ist egal, Hauptsache, ich habe Sex“, sagten besonders die jüngeren Frauen häufig, wenn sie sexuell erfahrener werden wollen – was auch immer das heißen mag. Es sind nicht mehr nur die Männer, die Frauen zu Objekten machen, es funktioniert auch umgekehrt.

Ist das Gleichberechtigung? Ohne Frage. Liebe ist heute für beide Geschlechter keine Voraussetzung mehr für sexuelle Aktivität, stattdessen gelten Aufgeschlossenheit und die Fähigkeit, Sexualität von Liebe und Intimität zu entkoppeln, als Werte.

Sexualität scheint so frei gelebt werden zu können wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte. Aber geht es hier wirklich um Lust und um Freiheit oder nicht viel eher um Leistung? Und wieso sprechen junge Frauen so oft von Macht und Kontrolle, wenn sie Männer befriedigen? Ist hier die Rede von einem sinnlichen Machtspiel, das beide in ihrer Lust befeuert? Oder handelt es sich nur um den altbewährten Tanz, der keine wirkliche Macht, aber immerhin die Abwehr der Ohnmacht mit sich bringt?

„Ich bin total befreit“, sagt die 26-jährige Miri, obwohl sie mir gerade einige Szenen geschildert hat, in denen sie ihren Sexualpartnern zuliebe für sie empfindliche Grenzen überschritten hatte. „Warum glaubst du, hast du etwas mitgemacht, was du eigentlich nicht wolltest?“, frage ich sie. Miri überlegt eine Weile. „Als ich jünger war, war ich noch naiv. Ich hab gedacht, wenn ich beim Sex alles gebe, was der Junge will, dann verliebt er sich vielleicht doch noch in mich. Das hab ich dann irgendwann kapiert, dass die zwar gern mit mir ins Bett gehen, aber eine Beziehung trotzdem nicht wollten. Und dann wird man halt abgebrühter. Heute ist es so, dass ich alles dafür tue, um nicht in die schwächere Position zu kommen.“ „Wie machst du das?“ „Ich bin halt genauso wie ein Mann. Ich verbiete mir jede Hoffnung, dass da mehr draus wird.“

„Ist es das, was ein Mann macht?“ „Na ja, wenn man genauer darüber nachdenkt, dann gibt es da einen Unterschied. Der Mann will ja gar keine Beziehung, sondern nur Sex. Die Frau will beides, verbietet sich aber eben die Hoffnung.“ Miri wirkt nachdenklich. „Eigentlich blöd. Ich mach sexuell immer noch das, was der Mann will, aber ich reiß mich emotional zusammen, um nicht so bedürftig rüberzukommen. Und auch, um mich selbst zu schützen.“

So sieht sexuelle Freiheit heute aus: Männer bekommen, was sie begehren. Frauen versuchen derweil, so wie Männer zu sein, was sie dazu zwingt, ihre emotionalen Bedürfnisse zu verschweigen und nach außen hin eine Fassade aufrechtzuerhalten, die sie nicht bedürftig wirken lässt. Es erinnert an das Märchen vom Kaiser ohne Kleider: Frauen machen gute Miene zum männlichen Spiel und zur uralten weiblichen Rolle, die lediglich in einem neuen Gewand erscheint.

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